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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Ritterorden - Ritterschaft
Ritterorden, Vereine, die zur Zeit der Kreuz-
züge im Orient unter mittelbarem und unmittel-
barem Einfluß des Klerus hervorgerufen wurden
und sich zunächst zum Schutz der Pilger, zur Ver-
pflegung der Kranken und zur Beschirmung der
heiligen Stätten verpflichteten. Nach dem Vorbild
der Mönchsverbände <s. Orden, geistliche) nahmen
diese Brüderschaften den Namen reli^io et oräo
oder geistlicher Orden an, legten wie jene ein-
fache oder feierliche Gelübde ab, beugten sich unter
eine der vier großen Ordensregeln des Basilius,
Augustinus, Benedikt und Franz, oder entwarfen für
sich eigene Regeln und Statuten, die ihnen außer
dem gewöhnlichen Mönchswandel den Kampf gegen
die Ungläubigen zur Pflicht machten. Ritterliche
Geburt war anfangs zur Aufnahme nicht erforder-
lich; doch stellte sich diese Bedingung fast von selbst
mit der Zeit ein, wo die geringern Stände ihr
Waffenrecht verloren. Die weltliche Aufsicht über
jeden Orden führte ein selbstgewählter Groß-
meister, Meister oder General, dem eine Art von
Senat aus Rittern und Geistlichen, der Ritterrat,
Ordensrat, beigegeben war. Alles Geistliche ver-
trat ein eigener Prior oder Propst. Bei ihren
fromm-ascetischen und humanitären Zwecken waren
diese R. in ihrer ursprünglichen Reinheit voll idea-
len Schwungs und demütiger Resignation eine der
herrlichsten Blüten des mittelalterlichen Rittertums.
Als jedoch ihre Zahl sich vermehrt, ihr Grundbesitz
und Reichtum in allen Ländern Europas eine er-
staunliche Höhe erreicht und ihre Häupter den Ho-
heitsrang mächtiger weltlicher Fürsten erlangt hat'
ten, trat allmählich äußerer Glanz, Anmaßung,
Habsucht und Pfründenjagd an die Stelle des alten
einfachen Hospitaliterwesens, was bei vielen Orden
noch dadurch vermehrt wurde, daß unter demselben
Namen, der nämlichen Oberhoheit und Ordens'
Meisterschaft weibliche Institute gleicher Tendenz,
ritterliche Klosterfrauenschaften, entstanden. Die
bedeutendsten und einflußreichsten geistlichen R.
waren der Johanniterorden (s. d.), die Deutschen
Ritter (s. d.) und die Tempelherren (s. d.). Sie sind
auch zugleich die ältesten. Unter den geistlichen Or-
den spätern Ursprungs sind die 1204 gestifteten
Schwertbrüder (s. d.) in Livland und die von Al-
cantara und Calatrava in Spanien hervorzuheben,
wo namentlich die Kämpfe gegen die Mauren der
Entstehung geistlicher R. günstig waren.
Als erste weltliche R., die keine mönchische Re-
gel auf sich nahmen, gelten der 1048 gestiftete Or-
den der heil. Maria von der Lilie in Spanien und
der 1080 gestiftete Orden vom Löwen in Frankreich.
Eine große Anzahl jetzt erloschener weltlicher Orden
verfolgte sittliche Zwecke, wie der Orden St. Chri-
stophs, der auf Mäßigkeit gerichtet war, der rein
ascetische Totenkopforden des Herzogs Silvms
Nimrod von Württemberg u. s. w. Andere Orden
dieser Art hatten, besonders gegen Ende des Mit-
telalters, mehr das Ansehen von Gesellschaften und
Vereinen. Länger erhielten sich, wenn auch in toten
Formen erstarrt, die von Fürsten besonders seit der
Mitte des 13. Jahrh, gestifteten Orden, da sie zum
arohen Teil mit den Interessen der Dynastie ver-
bunden waren. Aus den geistlichen und weltlichen
N. entwickelten sich, zum Teil durch Umwandlung
dieser Ritterverbindungen, die modernen Orden (s. d.)
zur Auszeichnung und Belohnung bürgerlicher oder
militär. Verdienste. - Vgl. Perrot, (^oiisction Iiig-
toi-i^uO äe3 0i'äl68 66 ckevalörie (Par. 1820);
Viedenfeld, Geschichte und Verfassung aller geist-
lichen und weltlichen R. (2 Bde., Weim. 1841).
Ritterorden des Heiligen Geistes, s. Hei-
liger-Geist-Orden.
Ritterpferde oder Lehnspferde, im Mittel-
alter, als die Ritterschaft des Deutschen Reichs und
die Vasallen vermöge der Lehnsverfassung gehalten
waren, dem Neichsoberhaupt oder, als Lehnsleute
eines Reichsvasallen, diesem Heerfolge zu leisten,
die von ihnen zu stellende Kriegsmannschaft, welche
damals nur in Berittenen bestand. Als später die
Einrichtung des Kriegswesens sich änderte, wurde
diese Obliegenheit der Lehnsleute in eine Geld-
leistung verwandelt, welche den eingeführten Namen
behielt. Mit der Errichtung stehender Heere fielen
die R. fort, doch wurde die Verpflichtung abgelöst.
Ritterpoesie, diejenigen poet. Schöpfungendes
Mittelalters, in denen die Weltanschauung und die
Ideale des Rittertums (s. Ritterwesen) zum Ausdruck
kommen. Insbesondere gehören dahin die Romane,
die die Thaten des Königs Artus (s. d.) und der Hel-
den seiner Tafelrunde erzählen.
Ritterprobe, s. Ahnen.
Ritterromane, s. Räuberromane und Roman.
Ritterschaft, ursprünglich die Gesamtheit der
Ritter. Sie bildete sich allmählich als polit. Stand
aus, indem diejenigen, welche sich dem ritterlichen
Kriegsdienste gewidmet hatten (s. Ritterwesen), auch
ohne die Ritterwürde erlangt zu haben, insofern
ihnen der gleichzeitig entstandene niedere Adel zu-
kam, die R. eines Landes vorstellten. Die R. wurde
nun ein besonderer Geburtsstand, wie der Bürger-
und Bauernstand, so daß sich der hohe Adel, die
eigentlichen Fürsten, von ihr ausschieden. Im all-
gemeinen ist sonach niederer Adel und R. gleich-
bedeutend. Wenn man von letzterer spricht, so
faßt man aber den Adel eines Landes in seinen
besondern korporativen Beziehungen als Besitzer
der Rittergüter, als Kreditverband (s. Landschaften)
u. s. w. auf. Vorzüglich von dieser letzten Seite
betrachtet, hat sich die R. in den deutschen Staa-
ten selbst bis auf die neueste Zeit noch erhalten;
nur kommt dann der Begriff derselben bald in
einer engern, bald in einer weitern Bedeutung
vor, indem man in jener nur die adligen Ritter-
gutsbesitzer, in dieser auch die bürgerlichen unter
der R. begreift. Zur Zeit des ehemaligen Deut-
schen Reichs wurde dieselbe (Reichsritterschaft)
in die reichsunmittelbare und die mittelbare oder
landsässige eingeteilt. Die R. eines Landes oder
einer Provinz ist häufig in einer Korporation ver-
eint und genießt dann deren Rechte, wodurch be-
sonders früher ihre Stellung auf den Landtagen
sehr einflußreich wurde. Oft hatten auch und haben
zum Teil noch jetzt die R. ihre eigenen Rechte, die
sog. Ritterrechte, daher z. V. das Bremer, das
Livländer Ritterrecht u. s. w. Früher hielten auch
die einzelnen R., gleich der Reichsritterschaft, be-
sondere Ritt er tage oder Versammlungen, auf
denen man über Standes- und Korporationsanae-
legenheiten beratschlagte. Außerdem finden sich bei
diesen R. auch eigene Stiftungen und Anstalten
sonstiger Art. In den Staaten, wo an die Stelle
der alten Landstände die wirkliche Repräsentativ-
verfassung getreten ist, hat natürlich die R. ihre polit.
Bedeutung verloren. - Vgl. Roth von Schrecken-
stein, Geschichte der ehemaligen freien Reichsritter-
schaft in Schwaben, Franken und am Rhein (2 Bde.,
Tüb. 1859-71).