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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Romanischer Stil

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Romanischer Stil

für den Baustil des frühen Mittelalters, wie er sich aus dem altchristl. Stil entwickelte. Früher nannte man ihn byzantinischen Stil, weil man ihn für unmittelbar von diesem abhängig wähnte, was jedoch nur in sehr bedingter Weise zutreffend ist. Auch hat man den Ausdruck Rundbogenstil (im Gegensatz zur Gotik als den Spitzbogenstil) gewählt, der aber das Wesen des R. S. keineswegs erschöpft. Auch vorgotischer und lombardischer Stil wurde er genannt. Die Bezeichnung R. S. geht von der Ansicht aus, daß der betreffende Stil sich zum antik-römischen verhalte wie die roman. Sprachen zu der des Cicero und Tacitus, daß die Grundelemente des Stils altrömisch, das belebende Neue aber mittelalterlich sei. Auch diese Annahme ist sehr anfechtbar, doch hat aus Mangel einer bessern die Bezeichnung in Deutschland allgemeine Annahme gefunden. Das charakteristische Gebiet für den R. S. ist der Kirchenbau. In diesem nahm er sowohl die Basilika (s. d.) als den Centralbau (s. d.) auf, jedoch nicht ohne beide wesentlich umzugestalten. Die Basilika, welche er anfangs und in gewissen Landstrichen bis in seine spätere Zeit hinein flach abdeckte, bildet er in der Regel als Pfeilerbasilika, oft mit einem Stützenwechsel von Pfeiler und Säule, welcher dann der Überwölbung entspricht. Diese ist nämlich im Rundbogen gehalten, mit starken Quer- und Diagonalgurten, die später rippenartig ausgebildet werden. Um nun nicht verschiedene Stichhöhe für die Gurte zu erhalten, mußte jedes Gewölbfeld quadratisch gebildet werden, erhalten demnach vielfach die Seitenschiffe der Basilika genau die halbe Breite des Mittelschiffs und werden daher solche (alte) Pfeiler nötig, welche die Gewölbe zweier Schiffe, und solche (junge) Pfeiler, welche nur dasjenige des Seitenschiffs tragen. Der quadratischen Grundform der Gewölbe entsprechend wird das Querschiff und das Altarhaus so breit wie das Langhaus, somit dem ganzen Grundriß eine strenge Systematik zu eigen. Besondere Aufmerksamkeit wird der Chorbildung zugewendet, welche früh statt der einfachen halbkreisförmigen Apsis reichere Gebilde, Umgänge mit Nebenkapellen erhält. Im Aufriß zeigt die Basilika des R. S. in der Regel ein hohes Mittelschiff mit seitlichem Oberlicht. Die Seitenschiffe werden anfangs, namentlich im südl. Frankreich, mit einem halben Tonnengewölbe überdeckt, haben später überall ihre eigenen Kreuzgewölbe, oft auch (namentlich in Frankreich und Spanien) Emporenanlagen. Über der Kreuzung von Lang- und Querschiff (Vierung) erscheint vielfach ein kräftiger Turm, ebensolche an den Enden der Kreuzschiffe, so daß sich deren bis zu sieben an einem Bau (Dom zu Limburg, s. Tafel: Deutsche Kunst I, Fig. 7) finden. Mit besonderer Pracht wird in der Regel die Westfront ausgebildet, in welcher sich die Haupteingänge finden. Diese bestehen aus Rundbogenstellungen auf Säulen, die sich nach innen zu immer kleinerm Radius zusammenziehen, so daß endlich eine meist reich geschmückte Reliefplatte das Halbkreisfeld über der in der Regel rechtwinkligen Thür abschließt. Auch die Fenster sind rundbogig und meist von Säulen eingefaßt, haben nach innen sich abschrägende Gerände. Die Gesimse sind von einfacher und derber Bildung, vielfach jedoch ausgezeichnet durch reichen ornamentalen Schmuck, in dem sich Blattreihen mit Bandverschlingungen und phantastischem Tierwerk mischen. An hervorragenden Stellen sind oft Heiligenfiguren angebracht, die vielfach eine schablonenhafte, streng stilisierte Gestalt, oft von außerordentlicher Länge, erhalten, vielfach aber sich zu hoher Vollendung und Schönheit erheben. Die Stützen des R. S. sind meist als Pfeiler gebildet, selbst wenn sie, wie dies oft vorkommt, runden Querschnitt haben. An sie legen sich schwache Säulen, in welchen die Rippen und Gurte der Gewölbe ihren Stützpunkt finden. Bei reicherer Entwicklung des Gewölbebaues lösen sich die Pfeiler mehr und mehr in solche unter sich durch einen starken Kern verbundene Säulen auf (Pfeilerbündel). Eigentümlich ist der roman. Säule das Eckblatt (s. d.) am Fuß und das Kapitäl, welches entweder aus einer fünfseitig zum Würfel abgeschnittenen Halbkugel (Würfelkapitäl), andererseits als Kelch gebildet ist, in der Regel aber durch Blattreihungen, Bandverschlingungen oder Tier- und Menschengestalten reich geschmückt wird.

Im Aufbau der Façaden zeigt sich überall kräftiges Abwägen der lot- und wagerechten Glieder, namentlich gilt dies bei den Westfaçaden und den sie einrahmenden Türmen. Der Rundbogen bildet überall die Grundlage der Konstruktionen. Er offenbart sich in den großen Radfenstern (s. d.) ebenso wie in den gekuppelten Fenstern, in welchen eine Reihe kleiner Rundbogen die Steintafel trägt, welche die Öffnung der sie verbindenden größern abschließt.

Der Centralbau hat nur in geringerm Maße Verwendung gefunden und zumeist nur für bestimmte Zwecke, für Taufkirchen (Baptisterien) oder Grabkirchen (Karner). Dagegen findet sich in den Doppelkapellen eine eigentümliche Anordnung zweier central entworfener Kirchen übereinander.

Die Profanarchitektur äußert sich in Klöstern, Burgen und Wohnhäusern, überträgt aber auf diese die kirchlichen Formen im Aufriß. Im Grundriß bringt sie es in der Anlage namentlich der Cistercienserklöster zu hoher künstlerischer Vollendung, wie denn auch die Burgen jener Zeit, namentlich die kaiserl. Pfalzen, ein hochentwickeltes Kunstempfinden verraten.

Räumlich ausgedehnt war der Stil über die ganze kath. Welt seit dem 10. Jahrh. Er entwickelte sich vorzugsweise am Rhein und in Niedersachsen, durch die Cistercienser in Burgund, ferner in Südfrankreich. Seine höchste Blüte erlangte er am Rhein, in Franken, Sachsen, Thüringen, an der obern Donau, ferner in der Languedoc, in der Normandie, in Burgund; in England, Skandinavien, in Spanien, und zwar nur in den damals christlichen nördl. Teilen, und in eigenartiger Ausbildung in Italien, namentlich in Oberitalien. Er endete in der ersten Hälfte des 13. Jahrh., vom got. Stil langsam verdrängt und mit diesem einen an großartigen Werken reichen Übergangsstil bildend.

In der Bildnerei und Malerei äußert sich der R. S. in der langsamen Herausbildung des künstlerischen Individualismus aus der Fessel einer mit den Resten antiker Kunsttradition kämpfenden rein technischen Fertigkeit. Die Strenge des Stilgesetzes, welche ursprünglich die Künstler zu rein systematischen Gedankenreihe den und Anordnungen zwang, wird erst gegen Ende des Stils von der frischen Naturbeobachtung durchbrochen. Doch bleibt den Darstellungen in der Regel eine starke Übertreibung des Ideellen und somit eine körperschwache Durchgeistigung und ein übertriebener Gestus eigen. Dabei zeigt sich aber ein starker Sinn für Monumentalität und Schönheit des Umrisses. Im allge-^[folgende Seite]