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Romantische Schule - Romanze
schaftsidealen, seiner phantastischen Wunderfreudigkeit, seinem Übergewicht von Glauben, Phantasie und Gefühl über Kritik und Verstand angewendet. Im Gegensatz dazu heißt die heiter diesseitige und doch ideale Harmonie antiken Geistes klassisch. Die R. ist eine natürliche und berechtigte Reaktion des Geistes gegen einseitige Aufklärung, platten Militarismus und dürre zersetzende Verstandesmäßigkeit, die den Bedürfnissen des Gemüts- und Phantasielebens nicht gerecht wird. So nennt man romantisch Empfindungen, die die Bahnen des Alltagslebens in gesteigerter ahnungsvoller, phantastischer, ideal oder gemütlich erregter Stimmung verlassen. Das ganze große Reich des Wunderbaren gehört der R. Da sie in der Vergangenheit ihre Ideale besser verwirklicht meint als in der Gegenwart, so ist R. oft mit einer Vorliebe für die Geschichte verknüpft; selbst der geschichtliche Sinn, der vergangene Zeiten liebevoll zu begreifen sucht, ist recht eigentlich romantisch.
Im engern Sinne heißt R. (Romantische Schule) eine geistige und litterar. Richtung, die von Deutschland ausging und um den Anfang dieses Jahrhunderts maßgebende Bedeutung erhielt. Sie zerfiel in der deutschen Litteratur in eine mehr individualistische und ästhetisch-philos. ältere Gruppe (die Brüder Schlegel, Novalis, Schleiermacher, Tieck, Wackenroder) und einen mehr nationalen histor. jüngern Kreis (Arnim, Brentano, die Brüder Grimm, Uhland u. s. w.); beiden ist die Vorliebe für das phantastisch Zerflossene, für das Form- und Zwecklose, für das Mittelalter, für das Volkstümliche gemein. (S. Deutsche Litteratur, Bd. 5, S. 18 u. 19.) Noch in Eichendorffs Wanderpoesie und in Heines Liebeslyrik herrscht die R., die andererseits bei der Wissenschaft der deutschen Philologie Pate gestanden, die Blüte der neuern Geschichtsforschung heraufgeführt hat. Weit über Deutschlands Grenzen hinaus hat sie gewirkt. In England hat sie den histor. Roman Walter Scotts, die Lyrik der Seeschule (s. Lakisten), den Weltschmerz Byrons bestimmt; in Frankreich bekannte sich zu ihr eine junge stürmische Poetengruppe, die die steifen Regeln des franz. Klassicismus sprengte, voran Ch. Nodier und Victor Hugo, dann Alfr. de Musset, Theoph. Gautier u. a.; in Italien war Manzoni Romantiker. - Vgl. Haym, Die romantische Schule (Berl. 1870); Th. Gautier, Histoire du romantisme (Par. 1872); Brandes, Die romantische Schule in Deutschland (3. Ausg., Lpz. 1892); ders., Die romantische Schule in Frankreich (3. Ausg., ebd. 1892).
Romantische Schule, s. Romantik.
Romanus, Papst, folgte 897 auf Stephan VII., starb aber nach vier Monaten.
Romanze, Bezeichnung für lyrische oder epische Gedichte, die entweder eigentliche Volkslieder oder im Volkstone gehalten sind. Schon der ursprünglich provençal. Name deutet dies an, denn romance, romanzo, roman hießen sowohl die roman. Volkssprachen zum Unterschied von der lat. Schriftsprache, als auch alles in diesen Vulgärsprachen Verfaßte. Noch hat im Spanischen, woraus zunächst der Name und Begriff dieser Dichtungsgattung hervorgegangen, romance eine dreifache Bedeutung, die ursprüngliche von Vulgärsprache, die von lyrisch-epischen Gedichten im Volkston und die von der in solchen Gedichten üblichsten Versart, den achtsilbigen Versen mit trochäischem Rhythmus (versos de redondilla mayor, s. Redondillas) und mit durchgehender Assonanz in den gleichen Zeilen. Die dritte Bedeutung herrscht in Spanien, die zweite in Deutschland. Der Grundcharakter der spanischen R. ist der des Volksliedes, mit nationaler Färbung, also möglichste Objektivität bei allem Ergriffensein von dem zu Erzählenden oder zu Schildernden, dramatisch-lebendige, gedrängte, ja sprunghafte Darstellung und naive Einfachheit, jedoch mit der nationalen Nuancierung der südl. Leidenschaftlichkeit und Sinnlichkeit. In den ältesten spanischen R. war das Epische vorherrschend. Sie besangen zuerst die Großthaten und merkwürdigen Ereignisse im wirklichen und nationalen Leben, wie die R. vom Cid, wenn sie auch durch die Tradition mit sagenhaften Zügen und mythischen Personen verschmolzen wurden, und diese R. nennt man mit Recht die historischen, von denen man jedoch jene Gattung historischer R., die nach den Chroniken von Sepúlveda, Alonso de Fuentes und andern Gelehrten gemacht wurden, wohl unterscheiden muß. Dann drangen aber auch, durch Volksberührung, Einwanderung und fahrende Sänger, die Heldensagen ihrer Nachbarn jenseit der Pyrenäen zu den Spaniern und kamen als R. in den Volksmund, wie die von Karl d. Gr. und seinen Paladinen, die man gewöhnlich die Ritterromanzen nennt. Als endlich nach der Eroberung Granadas die christl. Spanier mit den Mauren in dauernde friedliche Verbindung traten, wurde es üblich, ritterliche Thaten, verliebte Abenteuer und galante Feste im maur. Kostüm auch in R. zu besingen, und diese nennt man gewöhnlich die maurischen oder moresken R. Schon diese waren Produkte der span. Kunstdichter, die sich gefielen, Selbsterlebtes oder auch Reinerdichtetes unter dieser Maske und in diesen Volksweisen zu besingen. Ebenso gehören die Schäferromanzen der Kunstpoesie an, und gegen Ende des 16. und zu Anfang des 17. Jahrh. wurde die Romanzenform die typische der Erzählung im Drama, übrigens zu allem Möglichen gebraucht und die R. von ihrem objektiv-epischen Grunde auf das Feld des ganz Subjektiv-Lyrischen verpflanzt. Ausgezeichnete Kunstromanzen im ältern Sinne hat im 18. Jahrh. Nicolas Fernandez de Moratin, im 19. besonders Angel de Saavedra und Zorrilla gedichtet. Seit der Mitte des 16. Jahrh. begann man auch eigene Sammlungen von R. (s. Romancero) anzulegen, die früher nur durch mündliche Überlieferung oder durch fliegende Blätter fortgepflanzt wurden. In Deutschland trugen die ältesten R. einen tragikomischen Charaker^[richtig: Charakter] mit bänkelsängerischen Effekten, so bei Gleim, Schiebeler, Löwen. Erst seit Herder wird die R. eine ernst genommene Dichtung, so bei Stolberg, Schiller, Goethe, Tieck, den beiden Schlegel, Schwab, Uhland, Rückert, Chamisso, Zedlitz, Lenau, Brentano u. a., während bei Heine der ironische Beigeschmack oft wieder durchbricht. Von der R. unterscheidet sich dem Ursprung nach die Ballade (s. d.). Bei den Franzosen heißt romance eine rein lyrische Gattung von Liebesliedern, nur in der altfranz. Litteratur und dem Volksgesang finden sich Lieder, die dem Charakter und Tone nach den spanischen nahe stehen. Bei den Engländern heißen romances größere Rittergedichte und Romane, bei den Italienern romanzi die Ritterepen. - Vgl. F. Wolf, Studien zur Geschichte der span. und portug. Nationallitteratur (Berl. 1859).