Anmerkung: Fortsetzung des Artikels 'Schiefwerden'
jemand immer eine schwere Last auf einem Arme trägt, wie manche Kindermädchen ihren Pflegling,
oder wenn der eine Fuß zu kurz, verbogen, steif oder beim Auftreten schmerzhaft ist. In den
allermeisten Fällen aber ist das S. (die Wirbelsäulenverkrümmung) eine Folge von schlechter
Körperhaltung, von einer aus Bequemlichkeit oder Schwäche angenommenen falschen Richtung der
Wirbelsäule. Diese sog. Gewohnheitsskoliose, auch unter dem
Namen hohe Schulter bekannt, findet sich am häufigsten bei
Kindern, die auf einem Beine (meist dem linken) zu stehen lieben, und bei jungen Mädchen, die
im Sitzen, beim Schreiben, Nähen, Sticken u. s. w. aus Ermüdung die linke Seite einsinken lassen
und die rechte hinauskrümmen. Solche Kinder sind zugleich auch meistens muskelschwach, blutarm,
bleichsüchtig und stubensiech. Je jünger die Kinder sind, um so ungünstiger wirken die
angeführten Schädlichkeiten ein. Die Verhütung dieser Verkrümmungen ist weit mehr Sache der
Erzieher und Eltern als der Ärzte. Vor allen Dingen muß das Kind täglich und stündlich zu Hause
und in der Schule nicht nur erinnert werden, die richtige Korperhaltung einzunehmen, sondern auch
häufig mittels Drücken auf Schulterblatt, Rippen u. s. w. in die richtige Stellung gebracht
werden. Von besonderer Wichtigkeit für die Verhütung der Skoliosen ist die Beschaffung
zweckmäßiger Schulbänke, durch die eine richtige Haltung des sitzenden und schreibenden Kindes
erstrebt wird. (S. Schulhygieine.) Zur Heilung der seitlichen
Rückgratsverkrümmungen sind zweckmäßige und lange Zeit hindurch fortgesetzte gymnastische Übungen
ganz unerläßlich (s. Heilgymnastik); bedeutendere Wirbelsäulenkrümmungen sind
den orthopäd. Heilanstalten (s. Orthopädie) zuzuweisen, oder erfordern das
Tragen genau angepaßter künstlicher Stützapparate, unter denen der Geradehalter von Bouvier, der
Bühringsche Apparat, die Nyropsche Maschine und das Gipskorsett am wirksamsten sind. Sehr gute
Erfolge sieht man auch von der länger fortgesetzten methodischen Massage der Rückenmuskeln. Auch
die für unheilbar erkannten Fülle bedürfen noch einer dauernden ärztlichen und gymnastischen
Behandlung und Aufsicht. – Vgl. Schildbach, Die Skoliose (Lpz.1872); Baginsky, Handbuch der
Schulhygieine (2. Aufl., Stuttg. 1883); Lorenz, Pathologie und Therapie der seitlichen
Rückgratsverkrümmungen (Wien 1886); Hoffa, Lebrbuch der orthopäd. Chirurgie
(2. Aufl., Stuttg. 1894).
Schielen (Strabismus), diejenige
fehlerhafte Stellung der Augen, bei der nur ein Auge central fixierend auf das Gesichtsobjekt
eingestellt ist, während das andere in irgend welcher Richtung an ihm vorbeisieht. Je nachdem in
dem die Stellung und Bewegung der Augen regulierenden Muskelapparate oder in den denselben
versorgenden Nerven die Ursache der fehlerhaften Stellung (und Bewegung) des Auges liegt, spricht
man von einem myopathischen (muskulären, konkomitiercnden)
und von einem neuropathischen (paralytischen) S. Das
muskuläre S. entsteht ohne Störung des nervösen Apparats dadurch, daß sich in einem bestimmten
Augenmuskel, am häufigsten dem innern oder äußern geraden, ein erhöhter Kontraktionszustand
entwickelt, infolgedessen das Auge entweder zu stark nach der Nase (Einwärtsschielen,
strabismus convergens) oder nach der Schläfe
(Auswärtsschielen, strabismus divergens) gestellt
↔ wird. (S. nachstehende Fig. 1 u. 2: a das fixierende, b das schielende Auge.)

Figur 1 und 2:
Nach neuern Forschungen liegen dem S. hauptsächlich Anomalien der Refraktion zu Grunde, nämlich
dem Einwärtsschielen die Hyperopie (s. d., Übersichtigkeit), dem
Auswärtsschielen die Myopie (Kurzsichtigkeit, s. d.). Alle Momente, die das
Zusammenwirken beider Augen dauernd oder vorübergehend stören, wie ungleiche Sehschärfe oder
Refraktion der beiden Augen, Entzündungen und Residuen derselben, begünstigen die Entwicklung des
S. Durch den Gebrauch geeigneter Brillen und Erleichterung des binokularen Sehaktes ist daher
in vielen Fällen das S. auf unblutige Weise zu beseitigen, um so mehr, als im Anfange seiner
Entwicklung das S. meistens ein periodisches ist, d. h. nur bei gewissen Anstrengungen der Augen
hervortritt, und erst allmählich durch eine gewisse Verkürzung des betreffenden Muskels
konstant wird.
Bei alledem ist die operative Behandlung des S. noch immer unentbehrlich. Angeregt wurde
dieselbe von L. Stromeyer, zum erstenmal 1839 von Dieffenbach ausgeführt, besonders entwickelt
indessen von A. von Graefe, nachdem die ursprüngliche Methode Dieffenbachs und seiner
Zeitgenossen zu vielen Mißerfolgen, namentlich zu Sekundärschielen (s. d.),
Veranlassung gegeben hatte und die Schieloperation wieder zu verdrängen drohte. Die Operation
besteht darin, daß der Ansatz eines Muskels von dem Augapfel losgelöst wird und entweder weiter
nach hinten, entfernter vom Hornhautrande (Rücklagerung) oder weiter nach vorn, näher an die
Hornhaut (Vorlagerung) zum Anheilen gebracht wird.
Beim paralytischen S. besteht zunächst eine Lähmung eines
Augenmuskels, die rheumatischen Ursprungs oder von einer Störung der Augenmuskelnerven oder
ihrer Centralorgane bedingt sein kann. Anfangs tritt die falsche Stellung des Auges nur bei
solchen Blickrichtungen ein, in denen die Thätigkeit des gelähmten Muskels in Anspruch genommen
wird; allmählich aber entwickelt sich eine Kontraktion des Antagonisten und dann ist S. in
allen Blickrichtungen, wenn auch in verschiedenem Grade, vorhanden. Hier ist auch durch eine
Schieloperation nur ein teilweiser Erfolg zu erzielen.

Figur 3:
Frisch entstandenes, daher namentlich das paralytische S. ist fast immer mit störendem
Doppelsehen verknüpft. Wenn z. B. in vorstehender Fig. 3 das linke Auge den Punkt A fixiert,
das rechte nach ein-
Anmerkung: Fortgesetzt auf Seite 428.