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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Seidel

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Seidel (Flüssigkeitsmaß) – Seidel (Heinrich)

die Seidenfabrikation gedeihlich entwickelt hat, die Gewinnung der S. eine besondere Bedeutung erlangen können. Einen empfindlichen Stoß erlitt die Seidenzucht und die von ihr abhängige Industrie durch die Französische Revolution, indem nicht nur die ungeordneten Zustände an sich störend wirkten, sondern auch der Luxus, dem ja die S. fast ausschließlich dient, eingeschränkt wurde, so daß feine baumwollene Gewebe vielfach an die Stelle der seidenen traten. Erst nach 1815 nahmen diese Industriezweige einen neuen Aufschwung.

Für die Rohseide wie für die verarbeitete S. sind noch jetzt in Asien China und Indien, in Europa Italien und Frankreich die wichtigsten Produktionsgebiete. In Frankreich sind die Hauptfabrikationsorte Lyon, St. Etienne, Nîmes, Avignon, Paris; in Großbritannien Macclesfield, Manchester, Glasgow, Dublin; in der Schweiz Basel und Zürich; in Deutschland Krefeld, Elberfeld. Der Hauptsitz der Florettspinnerei ist gegenwärtig die Schweiz, doch wird auch in Südfrankreich, im Elsaß, in Baden sowie in England und Nordamerika viel Florettseide produziert. Zahlreiche Verbesserungen sind an dem Seidenhaspel sowie an den Spul- und Zwirnmaschinen und den Hilfsvorrichtungen angebracht worden; die günstigsten Resultate sind aber in der Verwertung der Abfälle dadurch erreicht worden, daß man die Principien der für die Baumwoll- und Wollspinnerei ausgebildeten Maschinen auf die Seidenfabrikation übertragen hat. (S. Seidenraupe.)

Nach dem Jahresberichte des Lyoner Syndikats der Seidenindustriellen wurde die Gewinnung von S. (in Tonnen) veranschlagt für:

Länder

Frankreich 640 852

Italien 2965 3984

Spanien 72 77

Österreich-Ungarn 220 243

Anatolien 206 228

Europäische Türkei 135 140

Griechenland 18 18

Kaukasus 65 85

Syrien 350 520

China 3856 4556

Japan 2858 2685

Indien 250 287

Zusammen 11635 13675

In der Seidenindustrie steht Frankreich (s. d. Bd. 7, S. 66 a) obenan. – Großbritannien führte 1894 nahezu 2 Mill. kg Rohseide ein. Vorhanden waren (1890) 623 Fabriken mit 846575 Zwirn-, 182778 Doublierspindeln und 11464 mechan. Webstühlen. Die Einfuhr überwiegt die Ausfuhr. – Über Italien s. d. Bd. 9, S. 746 a. – Die Schweiz führt durchschnittlich 2,6 Mill. kg Rohseide ein und für 120 Mill. Frs. Seidenwaren aus. Beschäftigt waren 1892 über 4300 mechan. Stühle, 700 Hand-Jacquard- und eine kleine Anzahl Sammetstühle. Die Zahl der Spindeln in den 25 Spinnereien belief sich auf 85342. – In Deutschland ist Krefeld (s. d. und Deutschland und Deutsches Reich, Bd. 5, S. 134) Hauptsitz der Seidenindustrie. – Die Österreichisch-Ungarische Monarchie besitzt über 70000 Seidenspindeln, 4200 Hand- und etwa 2000 mechan. Webstühle in Schlesien, Tirol und Ungarn mit einer Jahresproduktion von etwa 32 Mill. M. Wert. – Endlich ist noch Nordamerika nennenswert. 1890 waren 472 Fabriken der Seidenindustrie mit einem Anlagekapital von 51 Mill. Doll. und 50913 Arbeitern vorhanden. Mit 1254798 Spindeln und 22569 Webstühlen wurden für 50,9 Mill. Doll. Rohseide in 87,3 Mill. Doll. Seidenwaren veredelt.

Vgl. Reh, Der mechan. Seidenwebstuhl (Weim. 1891); Schmoller und Hintze, Die preuß. Seidenindustrie im 18. Jahrh. und ihre Begründung durch Friedrich d. Gr. (3 Bde., Berl. 1892); Natalio Rondot, L’Art de la soie (2 Bde., Par. 1885‒87); von Juraschek und Lexis, S. und Seidenindustrie (im «Handwörterbuch der Staatswissenschaften», Ⅴ, Jena 1893); Bujatti, Geschichte der Seidenindustrie Österreichs (Wien 1893); Yoshida, Entwicklung des Seidenhandels und der Seidenindustrie vom Altertum bis zum Ausgang des Mittelalters (Heidelb. 1895).

Seidel, auch Seitel, ein früheres Flüssigkeitsmaß in Österreich und Bayern. In Österreich (bis Ende 1875) war es ¼ Maß = 0,354 l (ein Gemäß von 1½ S. hieß hier Großseitel); in Bayern (bis Ende 1871) war es ½ Maßkanne = 0,535 l. Der bis Ende April 1854 gesetzlich gültige ungarische S. (Meszely) war ½ ungar. Halbe = 0,424 l. – In einigen Gegenden Deutschlands bezeichnet man mit S. (Bierseidel) das zum Bierausschank benutzte gläserne Trinkgefäß von in der Regel 0,5 oder 0,4 l.

Seidel, Gustav, Kupferstecher, geb. 28. April 1819 zu Berlin, Schüler von Buchhorn und Mandel, besuchte zugleich die dortige Akademie. Seine meist in Linienmanier ausgeführten Stiche ragen hervor durch die Sicherheit der Zeichnung und die Charakteristik der Gewandstoffe. Er stach zumeist nach Gemälden neuerer Meister, wie Gustav Richter (Dame mit der Maske), Schrader, Magnus, A. von Klöber (Amor und Psyche), W. von Kaulbach; außerdem Tizians Tochter nach Tizian. Ferner fertigte er eine Anzahl von Bildnisstichen sowie Stiche für Banknoten deutscher Staaten und Städte.

Seidel, Heinrich, Schriftsteller und Dichter, geb. 25. Juni 1842 in Perlin bei Wittenburg in Mecklenburg, lernte in Schwerin als Maschinenbauer, studierte seit 1860 auf dem Polytechnikum in Hannover, war dann in Güstrow praktisch thätig und siedelte 1866 nach Berlin über. Hier studierte er noch einige Jahre auf der Gewerbeakademie und war dann als Ingenieur an den Dach- und Brückenkonstruktionen der Berliner Bahnhöfe hervorragend beteiligt. Seit 1880 ist er nur noch als Schriftsteller thätig. S. gehört zu den besten Humoristen der Gegenwart; seine Dichtungen sind mit ihrer naivoptimistischen Weltanschauung, mit ihrer durchweg frischen, ungekünstelten Stimmung und ihren innigen Herzenstönen schnell allgemein beliebt geworden. Hervorgehoben seien: «Aus der Heimat» (Novellen, Bresl. 1874; 7. Aufl., Lpz. 1894), «Vorstadtgeschichten» (Berl. 1880; 12. Aufl., Lpz. 1895), «Leberecht Hühnchen, Jorinde und andere Geschichten» (Lpz. 1882; 20. Aufl. 1894), «Neues von Leberecht Hühnchen und andern Sonderlingen» (ebd. 1888; 13. Aufl. 1893), «Die goldene Zeit» (Novellen, ebd. 1888; 7. Aufl., 1894), «Ein Skizzenbuch» (Novellen, ebd. 1889; 6. Aufl., 1894), «Glockenspiel. Gesammelte Gedichte» (ebd. 1889; 4. Aufl., 1893), «Leberecht Hühnchen als Großvater» (ebd. 1890; 10. Aufl. 1894), «Sonderbare Geschichten» (ebd. 1891; 6. Aufl. 1894); «Der Schatz» (Erzählung, ebd. 1892; 6. Aufl. 1894), «Neues Glockenspiel. Gesammelte Gedichte» (ebd. 1893; 4. Aufl. 1894), «Berliner Skizzen» (2. Aufl., ebd. 1894), «Kinkerlitzchen» (ebd. 1895). S.s Lebenserinnerungen enthält «Von Perlin nach Berlin» (Lpz. 1894). Seine «Gesammelten Schriften» erscheinen seit 1889 (Lpz., bis 1894