Schnellsuche:

Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

166

Spinnereischulen - Spinnorgane

verschiedenen Vorspinnverfahren (Vorbereitungen, Präparation) liegt darin, daß das sog. englische Verfahren zu der schrittweisen Verfeinerung der Vorgespinstfäden Maschinen mit Flügelspindeln ohne selbständige Spulendrehung (Waterprincip), das sog. deutsche Spindelbänke (Flyer), das sog. französische Streckbänke (bobinoirs) mit Würgelwerken anwendet. In Deutschland wird heutzutage hauptsächlich das franz. Verfahren benutzt und beträgt die Anzahl der nacheinander angewendeten Streckungen (Passagen) 5-11.

Das Feinspinnen erfolgt sowohl auf Waterspinnmaschinen, wie Taf. II, Fig. 11 eine solche aus der Sächsischen Maschinenfabrik in Chemnitz darstellt, als auch auf Selfactors. Beide Systeme unterscheiden sich von den für die Baumwollspinnerei gebräuchlichen in der Hauptsache nur durch den wegen der Faserlänge erforderlichen Abstand und durch die Anzahl der Streckwalzen.

Halbkammgarne (Sagetten- oder Sayettgarne, Strick-, Stick- oder Tapisserie- und Strumpfwirkergarne) werden aus mittellangen Wollen meist ähnlich wie Kammgarn (s. d.), mit Hinweglassung der das Spinnen sehr verteuernden Kämmmaschine, oder ähnlich wie Streichgarn, jedoch mit Hinweglassung des gekreuzten Auflegens erzeugt.

Sehr oft wird die Schafwolle mit Baumwolle vermischt; es geschieht dies hauptsächlich zur Erreichung eines billigern Erzeugnisses. Diese Garne bezeichnet man mit dem Namen Vigogne. Anfänglich fügte man der Schafwolle 5, dann 10, 15 u. s. w. Prozent Baumwolle bei, heute kommen Vigognegarne vor, welche 70, 80, 90, ja 95 Proz. Baumwolle ausweisen, und nur das übrige ist Schafwolle. (Die Menge der beigemischten Baumwolle läßt sich leicht bestimmen, indem man aus einer abgewogenen Menge Vigogne die Wolle durch Kochen mit Kalilauge herauslöst.) Die in jüngster Zeit viel begehrten Imitatgarne bestehen nur aus Baumwolle. Die Herstellung dieser Garne erfolgt wie jene des Streichgarns; es wird das Spinngut ebenfalls gefärbt und vor dem Krempeln findet das benötigte Mischen der Farben und Sorten statt. Von dem Vigognegarn, ebenso wie von dem Imitatgarn verlangt man das gekräuselte und moosige Aussehen, was dem Streichgarn eigen ist, es ist in dieser Beziehung also stark abweichend von dem gewöhnlichen glatten Baumwollgarn.

Über Kunstwolle s. d.

Für viele Zwecke muß das Garn noch gezwirnt werden, d. h. zwei oder mehrere Fäden werden durch starkes Drehen zu einem einzigen vereinigt. Hierfür braucht man die Duplier- oder Zwirnmaschinen, von welchen in Taf. II, Fig. 4 eine Konstruktion der Sächsischen Maschinenfabrik veranschaulicht ist. Auf derselben werden z. B. je vier Fäden zu einem Gezwirn zusammengedreht, welches auf eine Spule der in Fig. 4a gezeichneten Form aufgewickelt wird. Dieses Aufwickeln erfolgt in der abgebildeten Maschine mittels des Ringmechanismus, also ähnlich wie bei den Ringspinnmaschinen; es sind indes auch viele Zwirnmaschinen im Betrieb, die auf Spindeln mit Waterflügel spulen. Mehrfarbige Garne und Noppengarne werden auf den Zwirnmaschinen durch Vereinigung verschiedenartiger Garne oder durch Einfügung besonderer Mechanismen hergestellt.

Vgl. Ganswindt, Katechismus der S.und Weberei (Lpz. 1885); Nieß, Die Baumwollspinnerei (2. Aufl., Weim. 1885); Marshall, Der praktische Flachsspinner (ebd. 1888); Hentschel, Praktisches Lehrbuch der Kammgarnspinnerei (Stuttg. 1889): E. Müller, Handbuch der S. (Lpz. 1892); Brüggemann, Theorie und Praxis der rationellen S. (Tl. 1, Stuttg. 1897).

Spinnereischulen, Anstalten, die Spinnereibeflissenen Gelegenheit zur praktischen und theoretischen Ausbildung in ihrem Fache geben sollen. Während sich dies früher nur auf das Handspinnen bezog, bezieht es sich jetzt ausschließlich auf das Maschinenspinnen. Die 1850 gegründeten 3 Spinnschulen in der sächs. Lausitz sowie 5 Spinnschulen in Hessen, welche Schulkinder im Flachs- und Wergspinnen unterrichteten, sind seit kurzem eingegangen. Andererseits hat man in den bereits 1755 in Österreich gegründeten Spinnschulen, die aber schon Anfang dieses Jahrhunderts unter dem Einfluß des Maschinenspinnens wieder aufgegeben worden sind, wohl die ältesten Fachschulen überhaupt oder die Anfänge zu unserm jetzigen Fachschulwesen zu erblicken. S. für Maschinenspinnerei giebt es zwei, zu Mülhausen (Elsaß) seit 1861 und zu Reutlingen (Württemberg), beide in der Hauptsache für Baumwollspinnerei bestimmt und als Gesellschaftsunternehmungen mit Staats- und Gemeindeunterstützung verwaltet und mit Webschulen verbunden. Erstere hat als Aufnahmebedingung ein Alter von 17 J. und eine Vorbildung, welche ungefähr dem Einjährig-Freiwilligenzeugnis entspricht, einjährigen Kurs und verlangt ein jährliches Schulgeld von 800 M., letztere verlangt ein Alter von 16 J., ungefähr dieselben Vorkenntnisse, 300 M. Schulgeld jährlich und hat auch einjährigen Kurs. Beide besitzen Arbeitssäle mit sämtlichen zur Baumwollspinnerei verwendeten Arbeitsmaschinen. In beiden Schulen wird der Unterricht über die gesamte Spinnereitechnologie ergänzt durch Unterricht in technischer Mechanik und allgemeiner Maschinenkunde.

Spinnerin am Kreuz, Denkmal, s. Inzersdorf.

Spinnfasern, soviel wie Gespinstfasern (s. d.).

Spinnfelder, s. Spinnorgane.

Spinnhütte, s. Seidenraupe.

Spinnlappen, s. Seilerei.

Spinnlaus, s. Spinnmilbe.

Spinnmaschinen, s. Spinnerei.

Spinnmilbe (Tetranychus tellarius L.), Spinnlaus, eine etwa 1 mm lange, rotgelbe Laufmilbe (s. d.), die auf Linden von dem Safte der Blätter lebt und deren Unterseite mit feinen Fäden überzieht. Möglicherweise ist die Grasmilbe (s. d.) ihre Larve.

Spinnmühle, s. Filatorium, Seide und Bortenweberei sowie Fadenmühle (Bd. 17).

Spinnorgane, Apparate, die aus einer Drüse eine an der Luft meist sofort verhärtende, als Seide, Spinnweb u. s. w. bekannte, dem Chitin nahe verwandte Feuchtigkeit absondern und sich bei einer ganzen Reihe von Gliedertieren finden. Es sind dies gewissermaßen Kutikularbildungen, die indessen am Körper des Produzenten nicht haften bleiben. Bei den Insekten, wo sie ausschließlich den Larven zukommen, und bei den Tausendfüßern münden sie mit je einem einfachen Ausführungsgang in den Schlund; bei den Spinnen liegen diese sehr verschieden großen und verschieden gestalteten Drüsen im Hinterleib zwischen den Eingeweiden und münden mit zahlreichen Ausführungsgängen oben in den Spinnwarzen auf den sog. Spinnfeldern, siebartigen Gebilden, deren Löcher nach außen in sehr zarte Röhren führen. Die Zahl der Spinnwarzen