Anmerkung: Fortsetzung des Artikels 'Stenographie (Geschichtliches und Systematisches)'
stabförmig endigenden Konsonantenzeichen (sog. Konsonantenstäbe) buchstäblich angefügt werden. Dieser Grundsatz ließ sich
aber bei der beschränkten Zahl der zur Konsonantenbildung vorhandenen Elemente nicht durchführen. Die vielen Ausnahmen von
dieser Regel, die Verwendung zahlreicher Hilfszeichen für Konsonanten, besondere Schriftbestimmungen für eigentümliche
Bezeichnung gewisser Konsonanten u. a. m. erschweren die Erlernbarkeit; dagegen verzichtete Arends zuerst auf Verstärkung
und Höherstellung der Konsonanten, indem er so die Einzeiligkeit ermöglichte, und beschränkte die Zahl der Sigel. Auch bei
Arends machten sich Bestrebungen nach Vereinfachungen immer mehr geltend, die endlich, nachdem sich 1875 Roller und
später Matschenz («Ganz vereinfachtes System») von den Alt-Arendsianern getrennt und diesen über die Hälfte der Anhänger
genommen hatten, 1894 zu einer besonders von Engelbrecht in Magdeburg geförderten offiziell anerkannten Umarbeitung
führten. Christian Heinrich Roller (11 der
Tafeln) schuf unter Beibehaltung Arendsscher Principien, aber wesentlicher
Abänderung der Lautzeichen und Vereinfachung der Vokalbezeichnung ein eigenes System, dessen Anhängerzahl jetzt die des
Muttersystems überflügelt hat. Größere Selbständigkeit bewahrte die Monographie (1875)
Faulmanns (s. d. und 12 der
Tafeln), die 1880 und 1883 als «System der phonetischen S.» von Faulmann
selbst verbessert wurde. Dieses System verbindet die Zeilenmäßigkeit des Gabelsbergerschen mit der Konsequenz in der
Vokalnotierung des Stolzeschen, beschränkt die Zahl der Sigel auf wenige und sucht besonders durch einfache Vokalsymbolik
Vorteile zu erzielen, die dann auch Schrey angenommen hat. Schreys (13 der
Tafeln) «Vereinfachte deutsche S.» (1887) strebt eine Vereinigung der Systeme
Stolzes und Gabelsbergers an; sie vermeidet die Dreizeiligkeit und Dreistufigkeit Stolzes, behält aber die Satzkürzungslehre
Gabelsbergers bei. Statt der bisher meist üblichen Vokalsymbolik im auslautenden Konsonanten verwandte zum erstenmal die
Stenotachygraphie (Engschnellschrift, 14 der
Tafeln) die Symbolisierung im Anlaut. Als Erfinder wird meist A.
Lehmann genannt; doch hat sich hierüber ein Streit entsponnen, da auch andere, wie
besonders Dahms, darauf Anspruch machen; sie wurde 1875 veröffentlicht und 1888 stark
vereinfacht. Die Vokale werden nur symbolisch dargestellt durch Vergrößerung, Verstärkung (früher auch Schlängelung) der
sonst gleich großen Konsonanten, ebenso werden auch die häufigsten Konsonanten symbolisch ausgedrückt. Unter den vielen
andern neuern Systemen der S., deren es in Deutschland gegen 150 giebt, von denen aber kaum ein Dutzend nennenswerte
Verbreitung gefunden hat, verdient noch genannt zu werden die Arbeit von Julius Brauns
(15 der Tafeln), der nachzuweisen sucht, daß keins der bisher bestehenden
Systeme den Hauptanforderungen in jeder Beziehung genüge. Auf Grund seiner Untersuchungen über die Häufigkeit der
verschiedenen Lautgruppen sowie über die Schreibflüchtigkeit der verfügbaren Zeichen stellte er dann selbst (1888) einen
Entwurf einer Kurz- und Schnellschrift auf, der 1893 in verbesserter Gestalt erschien, aber schon 1895 einer neuen Revision
unterworfen wurde. Die Vokale werden nur durch meist geradlinige Aufstriche ausgedrückt, und durch nur sinnbildliche
Darstellung der Auslautkonsonanten wird die freie Satzkürzung ↔ Gabelsbergers ersetzt. Die Gebrüder
von Kunowski wollten (1893) die Vokale durch Grundstriche, die Konsonanten durch
Aufstriche, oder letztere an den Vokalzeichen symbolisch darstellen, doch gelang es ihnen nicht, eine eigene Schule zu
begründen. Bessern Erfolg hatten (1896) Buschhorn und Ziemer mit ihrem System «Fortschritt», das auf Grundlage von Stolze,
Merkes und Schrey aufgebaut, aber einzeilig ist und keine Unterlängen benutzt. 1896 bahnten die Vertreter der Schreyschen und
Stolzeschen Systeme, denen sich noch Velten anschloß, eine Verschmelzung zur Schaffung eines Einheitssystems an. Im Aug
1897 tagte in Berlin ein Ausschuß zur Einigung dieser Systeme und nahm den Entwurf an, der ein zeilenloses, noch unerprobtes
System aufstellt. Viele dieser Systeme sind auch in fremde Sprachen übertragen.
Die Stärke der verbreitetsten Stenographiesysteme im J.1896:
System | Zahl der | Zahl der |
| Vereine | Mitglieder |
Gabelsberger . . . . . . . . . . . . . . . | 1064 | | 37 428 | |
Alt - | ┐ | | | | | |
Mittel - | ├ | Stolze. . . . . . . . . . | 650 | | 19 993 | |
Neu - | ┘ | | | | | |
Schrey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . | 427 | | 8 401 | |
Roller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . | 279 | | 4 644 | |
Arends . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . | 209 | | 5 050 | |
Stenotachygraphie . . . . . . . . . . | 174 | | 4 079 | |
Velten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . | 91 | | 1 311 | |
Merkes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . | 48 | | 1 295 | |
Faulmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . | 18 | | 1 803 | |
Brauns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . | 11 | | 243 | |
Fortschritt . . . . . . . . . . . . . . . . . | 10 | | 112 | |
Die meisten der genannten Vereine haben sich zu größern Verbänden zusammengeschlossen. Zur Zeit sind diese eifrig an der
Arbeit, die Schule für die S. zu erobern, doch verhalten sich die Regierungen teilweise noch ablehnend, teils aus dem Grunde,
weil angeblich die phonetisch schreibende S. der Befestigung einer richtigen Orthographie beim Schüler entgegenwirken würde,
teils auch wegen der Schwierigkeit, unter den vielen Systemen eine Wahl zu treffen. Amtlich in Mittelschulen eingeführt ist die S.
und zwar das Gabelsbergersche System in Österreich, Bayern, Sachsen, Oldenburg und Sachsen-Weimar, neben dem
Gabelsbergerschen auch das Stolzesche in Ungarn, neben beiden das Rollersche und Schreysche in Baden. Vertreter der S. an
Universitäten giebt es in Berlin (Lektor), Heidelberg (Lehrer) und Wien (Lehrer). Kädings «Häufigkeitswörterbuch der deutschen
Sprache» (Berl. 1897 fg.) giebt der wissenschaftlichen Weiterbildung der S. die nötigen statist. Grundlagen.
Litteratur.
-
1) S. des Altertums: Kopp, Paleographia critica (Tl. 1 u.
2, Mannh. 1817; Tl. 3 u. 4, 1829); Schmitz, Beiträge zur lat. Sprach- und Litteraturkunde (Lpz. 1877); O. Lehmann, Die tachygr.
Abkürzungen der griech. Handschriften (ebd. 1888) und Die Kurzschriften der alten Völker (Dresd. 1889). –
-
2) Geschichte: Pitman, A history of shorthand (Lond.
1852); Panstenographikon. Zeitschrift u. s. w. (Bd. 1, Lfg. 1–4; Dresd. 1869–74); Zeibig, Geschichte und Litteratur der
Geschwindschreibekunst (2. Aufl., ebd. 1878); Mitzschke, Beiträge zur Geschichte der Kurzschrift (Berl. 1876); Anderson,
History of shorthand (Lond. 1882); Westby Gibson,
The bibliography of shorthand (Lond. und Bath 1887); Faulmann, Histor. Grammatik der S.
(Wien 1887); Krieg, Katechismus der S. (2. Aufl., Lpz. 1888); Moser, Allgemeine Ge-
Anmerkung: Fortgesetzt auf Seite 317.