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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Thor; Thora; Thoraccise; Thoracostraca; Thorakocentese; Thorakometer; Thorakopagen; Thorax; Thoraxfistel; Thorbecke

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Thor (altnordischer Gott) - Thorbecke

s. Taf. I, Fig. 3), das Ünglinger T. zu Stendal u. a. Hierher gehört auch das durch seine spitzen Türme charakterisierte Holstenthor in Lübeck (s. Taf. I, Fig. 4). In der Zeit der Renaissance bildete man die T. häufig den antiken Triumphbogen (s. d.) nach. Die Porta Capuana zu Neapel, Porta San Pietro zu Perugia sind die ersten Versuche; die T., die Sanmicheli als Festungsbaumeister Venedigs dort und in Verona errichtete, stellen den Typus fest. Die deutschen Renaissancethore behalten zunächst den got. Baustil, nehmen aber um die Mitte des 16. Jahrh. ähnliche Formen wie in Italien an; desgleichen auch in Spanien, wo unter anderm zu Burgos 1539 ein festungsartiges, mit Türmen und Statuen geschmücktes T. als Triumphbogen für Fernan Gonzalez errichtet wurde. Die spätern Renaissancestile legten zum Teil großes Gewicht auf die künstlerische Ausbildung der T.; einzelne davon sind bei Zerstörung der Festungsgürtel als besondere Prunkstücke stehen geblieben (z. B. in Stettin, s. Taf. II, Fig. 3; in Madrid, s. Taf. II, Fig. 1). Eine antik-klassische Bauart zeigen das Brandenburger T. in Berlin (s. Taf. II, Fig. 2) und die Propyläen in München (s. Taf. II, Fig. 4), die beide nach dem Vorbild der Propyläen (s. d.) in Athen erbaut sind.

Thor, der alte Hauptgott der Skandinavier vor der Einwanderung des Odinkultes, der altdeutsche Donar (s. d.). Er ist der Freund der Menschen und ihr kräftiger Beschützer vor den Riesen. Als solchen behandelt ihn besonders die norweg. Volksdichtung. In der skaldischen Dichtung ist T. der Sohn Odins und der Jörd. Als seine Frau nennen dieselben Quellen die Sif, beider Söhne sind Magni (d. i. Kraft) und Módhi (heftiger Sinn), ihre Tochter Thrúdh. In demselben Kreise von Dichtern ist ein beliebtes Thema T.s Kampf mit der die Erde umfassenden Midgardsschlange, mit der er auch beim Göttergeschick zu kämpfen hat und von der er getötet wird. In seiner Begleitung befinden sich das blitzschnelle Geschwisterpaar Thyálsi und Röskva. Mit seinem Hammer weihte T. die Rechtsverträge und besonders die mit Runen (s. d.) versehenen Steine, die Toten gesetzt wurden. Als die Odinsverehrung am königl. Hofe immer mehr zur Geltung gelangte, blieb T. der Gott der freien Bauern; in dieser Stellung hat er sich erhalten bis zum Untergang des Heidentums. Verehrt wurde T. besonders in Norwegen, wo ihm überall Tempel errichtet waren. - Vgl. L. Uhland, Der Mythus von T. nach nordischen Quellen (Stuttg. 1836; neu gedruckt in Uhlands "Schriften zur Geschichte der Dichtung und Sage" und im 2. Bande der Uhland-Ausgabe von Friedr. Brandes, Lpz. 1893).

Thora (hebr., d. h. Lehre), bei den Juden Bezeichnung für das Mosaische Gesetz und den dasselbe enthaltenden Pentateuch (s. d.). Sefer-Thora, d. i. Buch des Gesetzes, heißt die mit großer Genauigkeit geschriebene Synagogenrolle (Gesetzrolle), aus der die Abschnitte der Bücher Mose vorgelesen werden.

Thora, der 299. Planetoid.

Thoraccise, Thorsteuer, die Aufwandsteuern, die beim Eingang von Waren in bewohnte oder geschlossene Orte zur Erhebung kommen. (S. Octroi.)

Thoracostraca, s. Krustentiere.

Thorakocentese (grch.), der Bruststich, die operative Entfernung der wässerigen Exsudate der Brusthöhle, s. Brustfellentzündung.

Thorakometer (grch.), Apparat zur Messung des Brustumfangs.

Thorakopagen (grch.), s. Mißbildungen.

Thorax (grch.), der Brustharnisch; in der Anatomie der Brustkasten, bei Insekten (s. d.) das Bruststück.

Thoraxfistel, s. Brustfellentzündung.

Thorbecke, Andreas Heinrich, Orientalist, geb. 14. März 1837 zu Meiningen, studierte 1854-58 klassische Philologie in Erlangen, Göttingen, Berlin, Jena und Heidelberg, darauf in München, später 1864 in Leipzig orient. Sprachen. 1868 habilitierte sich T. in Heidelberg, wurde 1873 daselbst außerord. Professor, 1885 in derselben Eigenschaft nach Halle berufen, wo er 1887 ord. Professor wurde. Er starb 3. Jan. 1890 in Mannheim. T.s Studien bewegten sich vorzugsweise auf dem weiten Gebiete der arab. Sprache und Poesie, auf welchem er als Autorität anerkannt war. Er veröffentlichte: "Antarah, ein vorislamitischer Dichter" (Heidelb. 1867), "Al-Harîrîs Durrat al-gawwâß" (Lpz. 1871), "Al-A'schâs Lobgedicht auf Muhammad" (in den "Morgenländ. Forschungen", ebd. 1875), "Ibn Duraids Kitâb al-malâhin" (Heidelb. 1882), "Die Musad-dalîjât" (Heft 1, Lpz. 1885), "Mihail Sabbâgs Grammatik der arab. Umgangssprache in Syrien und Ägypten" (Straßb. 1886) und viele kritische Aufsätze über arab. Texte in der "Zeitschrift" der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft.

Thorbecke, Joh. Rud., niederländ. Staatsmann, geb. 15. Jan. 1798 zu Zwolle, studierte in Leiden die Rechte, auf mehrern deutschen Universitäten Philosophie, habilitierte sich zuerst in Gießen, dann in Göttingen als Privatdocent und kehrte im Herbst 1824 nach Amsterdam zurück. Er wurde 1825 Professor der polit. Wissenschaften an der Universität zu Gent und trat 1830 in die jurist. Fakultät zu Leiden ein. Nachdem er durch seine Schriften "Aanteekening op de Grondwet" und "Proeve van eene herziening der Grondwet" für eine Verfassungsänderung eingetreten war, wurde er 1840 in die Kammer gewählt, der er bis 1844 angehörte. 1844 machte er einen Vorschlag zur Verfassungsrevision, der abgelehnt wurde. Nach der franz. Februarrevolution 1848 wurde er Mitglied einer Kommission zur Revision der Verfassung, deren Entwurf vom König und den Kammern genehmigt wurde. 1849 ward T. Minister des Innern und bald Haupt des Kabinetts, was er bis 1853 blieb. (S. Niederlande, Geschichte.) Seitdem war T. als Mitglied der Zweiten Kammer Führer der Opposition, dann 1862 bis März 1866 wieder Chef des Ministeriums, worauf er wieder die Leitung der Opposition übernahm. Er griff die Politik des konservativen Ministeriums Zuylen-Heemskerk in der Luxemburger Frage (5. April 1867) scharf an. Am 23. Mai 1868 mit der Bildung eines Ministeriums beauftragt, brachte T. 2. Juni das Kabinett Fock zu stande, ohne selbst einzutreten. Nach dem Rücktritt desselben übernahm T. 4. Jan. 1871 zum drittenmal das Ministerium des Innern. Die Ablehnung eines Gesetzentwurfs über die Einkommensteuer veranlaßte jedoch 2. Mai 1872 ihn und seine Kollegen, um Entlassung zu bitten. Während der bis 1. Juli dauernden Ministerkrisis starb T. 4. Juni 1872 im Haag. Seine Parlamentsreden erschienen als "Parlementaire redevoeringen" (6 Bde., Deventer 1867-70), nach seinem Tode seine Korrespondenz mit Groen van Prinsterer aus den J. 1830-32 (Amsterd. 1873). Sein Standbild in Amsterdam wurde 18. Mai 1876 enthüllt. - Vgl. Olivier, Herinneringen aan T. (Haag 1872); Buys, Mr. Jan Rudolf T. herdacht (Tiel 1872); Levy, Joh. Rud. T (Haag 1876).