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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Vis; Visa; Visage; Vis-à-vis; Visaya; Viscacha; Viscĕra; Viscerālbogen; Vischer

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Vis – Vischer

Vis (lat.), Gewalt (s. d.); V. ablatīva, zwingende Gewalt (s. Raub); V. armāta, die bewaffnete Macht; V. attractīva, die Anziehungskraft; V. comĭca, die Kraft der Komik; V. compulsīva, Drohung; V. inertĭae, Beharrungsvermögen (s. d.); V. justa und V. injusta, s. Gewalt; V. legis, Gesetzeskraft; V. major, s. Höhere Gewalt; V. motrix, die bewegende Kraft; V. privāta und V. publĭca, s. Gewalt; V. probandi, Beweiskraft; V. vitālis. s. Lebenskraft; Crimen vis, das Verbrechen der Gewaltthätigkeit (Nötigung u. s. w.).

Visa, soviel wie Visum (s. d.).

Visage (frz., spr. wisahsch’), Gesicht.

Vis-à-vis (frz., spr. wisawih), gegenüber; auch das Gegenüber (Wohnung, Person u. s. w.). – Über V. als Musikinstrument s. Doppelflügel.

Visaya (span. Schreibweise, eigentlich Wissaja oder Bissaja), Volksstamm auf den Philippinen (s. d.).

Viscacha (spr. wiskátscha, Lagostomus), Gattung der Nagetierfamilie Chinchilla (s. d.) mit 2 Backzähnen jederseits, großen abgerundeten Ohren und langem buschigem Schwanze, an den vordern Füßen mit 5, an den hintern mit 4 Zehen und kurzen Nägeln. Die Gattung umfaßt nur eine Art, das Feldviscacha (Lagostomus trichodactylus Brookes).

Viscĕra (lat.), die Eingeweide; viscerāl, zu den Eingeweiden gehörig, diese betreffend; Visceralneuralgie, die Neuralgie der sensiblen Eingeweidenerven; Visceralsyphilis, die Syphilis der innern Organe.

Viscerālbogen, s. Kiemenbogen.

Vischer, eine von der Mitte des 15. bis in die erste Hälfte des 16. Jahrh. zu Nürnberg blühende Künstlerfamilie.

Hermann V. der Ältere, erhielt 1453 in Nürnberg als Rotschmied das Bürger- und Meisterrecht und starb 1487. Von ihm rührt unter anderm das reich mit figürlichem und ornamentalem Schmuck ausgestattete Taufgefäß in der Pfarrkirche zu Wittenberg (1457) her. Man schreibt ihm auch einige der Bronzegrabplatten in den Kirchen zu Bamberg zu.

Peter V. der Ältere, Sohn Hermanns, geb. um 1455, gest. 1529, übernahm 1487 die väterliche Gießhütte. Zu seinen ersten Arbeiten gehört die frei auf einem Löwen stehende Statue des Grafen Otto Ⅳ. von Henneberg in der Stiftskirche zu Römhild, vermutlich 1493 aufgestellt. Im letzten Jahrzehnt des 15. Jahrh. führte V. auch die Grabdenkmäler für verschiedene Domherren und drei Bischöfe von Bamberg für den dortigen Dom aus. Der Ruhm seiner Arbeiten verschaffte dem Künstler Aufträge aus den fernsten Gegenden, aus Breslau, Krakau, Meißen. Eine vollständige Tumba (mit fast runder Figur, Baldachin über architektonischem Aufbau und reichstem Schmuck) bildet das noch ganz im got. Stil gehaltene Grabmal des Erzbischofs Ernst im Dom zu Magdeburg (1497). Von ähnlicher Ausführung, nur kleiner und einfacher, ist das Grabmal des Grafen Hermann von Henneberg und seiner Gemahlin Elisabeth von Brandenburg in der Stiftskirche zu Römhild, desgleichen das des Grafen Eitel Friedrich Ⅱ. von Hohenzollern und seiner Gemahlin Magdalena von Brandenburg in der Stadtkirche zu Hechingen. Auch für das Grabdenkmal Kaiser Maximilians Ⅰ. in Innsbruck modellierte und goß er zwei Figuren (König Arthur und Theodorich; Figur des letztern s. Tafel: Deutsche Kunst Ⅳ, Fig. 3). Die bedeutendste Leistung V.s ist das tempelförmige Gehäuse um den silbernen Sarkophag des heil. Sebaldus in der Kirche dieses Namens zu Nürnberg, an dem er mit seinen fünf Söhnen zwölf Jahre (1508‒19) arbeitete. Dieses Denkmal, der hervorragendste deutsche Erzguß, besteht aus einem Unterbau, auf welchem, etwa in Gesichtshöhe, der silberne Sarg ruht, und einem darüber errichteten, von zwölf Pfeilern getragenen Baldachin von 2,57 m Länge, 1,37 m Breite und 4,71 m Höhe. Der Unterbau ist mit Reliefs aus dem Leben des Heiligen, der Baldachin mit vielen biblischen, mytholog., allegorischen und phantastischen Figuren geschmückt. (S. Tafel: Deutsche Kunst Ⅳ, Fig. 1.) Auch der Künstler hat sich in seiner Tracht, wie er in der Gießhütte umzugehen pflegte, angebracht (s. Taf. Ⅳ, Fig. 4). Ein noch größeres Werk war ein von der Familie Fugger bestelltes, von V. jedoch nicht mehr vollendetes Gitter, das später im Rathause zu Nürnberg aufgestellt und 1806 als altes Metall verkauft wurde, nach Frankreich wanderte und dort verschollen ist. Andere Arbeiten V.s sind ferner ein Epitaph der Frau Margarete Tucher im Dom zu Regensburg, ein Epitaph in der Egidienkirche zu Nürnberg, die Gedächtnistafel des Propstes Anton Kreß in der Lorenzkirche daselbst.

Unter seinen Söhnen zeichneten sich Hans, Hermann und Peter V. der Jüngere aus. Dem letztern scheinen namentlich ein Epitaph des Kardinals Albrecht, Erzbischofs von Mainz, in der Stiftskirche zu Aschaffenburg, das Grabmal des Kurfürsten Friedrich des Weisen in der Schloßkirche zu Wittenberg, ein Bogenschütze im Rathause zu Nürnberg anzugehören. Bezüglich der Frage, wer die Modelle zu den Vischerschen Arbeiten gefertigt, hat man sich neuerlich dahin entschieden, daß der ältere Peter V. sich anfangs der Nürnberger Bildschnitzer bediente; doch ist es erwiesen, daß seine Söhne, von denen Hermann in Italien war, zum Teil eine künstlerische Ausbildung erhalten hatten und selbst Modelle fertigten. Schon beim Sebaldusgrab scheint dies der Fall gewesen zu sein.

Vgl. Bergan, Peter V. und seine Söhne (Lpz. 1878); Peter V.s Werke (photogr. Publikationen mit Text von Lübke, Nürnb. 1875 fg.); Seeger, Peter V. der Jüngere (Bd. 23 der «Beiträge zur Kunstgeschichte», Lpz. 1897).

Vischer, Friedr. Theod., Ästhetiker, geb. 30. Juni 1807 zu Ludwigsburg, studierte seit 1821 im Seminar zu Blaubeuren, seit 1825 in dem zu Tübingen Theologie, wurde 1830 Pfarrvikar in Horrheim bei Vaihingen und im Herbst 1831 Repetent im Seminar zu Maulbronn. Im Winter 1832‒33 und folgenden Sommer besuchte er Göttingen, Berlin, Dresden, Wien, Tirol, München, wo besonders seine Neigung für die Kunst Nahrung fand. 1836 habilitierte er sich in Tübingen und erhielt 1837 eine außerordentliche Professur in der philos. Fakultät; seit 1838 wandte er seine ganze Kraft ausschließlich der Ästhetik und der deutschen Litteratur zu. Die Reisen, die er im Aug. 1839 bis Herbst 1840 durch Italien, Sicilien und Griechenland wie im Herbst 1843 durch Oberitalien unternahm, waren ganz dem Kunststudium gewidmet. V. wurde 1844 zum ord. Professor ernannt, aber infolge seiner freimütigen Antrittsrede (Tüb. 1844) und einiger in den vorher erschienenen «Kritischen Gängen» (2 Bde., Tüb. 1844) enthaltenen Stellen auf Betreiben der kirchlichen und pietistischen Partei auf zwei Jahre suspendiert. Ostern 1847 trat er seine akademische Thätigkeit als Lehrer wieder an. 1848 wurde V. in die