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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Volkswohl; Volkszählungen

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Volkswohl - Volkszählungen

Mittel verweigerte. Die erste Berufung des V. erfolgte im Jan. 1881 zur Begutachtung des Unfallversicherungsgesetzes und der Novelle zur Gewerbeordnung, eine weitere im Dez. 1887 zur Begutachtung des Alters- und Invaliditätsversicherungsgesetzes.

Volkswohl, in Dresden erscheinende Wochenschrift, eine allgemeine Ausgabe der nur an Zeitungen (wöchentlich zweimal) verschickten «Social-Correspondenz», Organ des Centralvereins für das Wohl der arbeitenden Klassen, das sich zur Aufgabe stellt, unter Ausschluß jeder polit. oder kirchlichen Parteirichtung den gemeinnützigen Bestrebungen zur Förderung der Volkssittlichkeit, Volksbildung, Volksgesundheit und materiellen Volkswohlfahrt zu dienen und namentlich die Versöhnung zwischen Unternehmen und Arbeiter zu fördern. Begründer (1876) und Redacteur des V. wie der «Social-Correspondenz» ist Victor Böhmert in Dresden; den Verlag haben Duncker & Humblot in Leipzig (Auflage 950). Es erscheinen auch monatliche Sonderausgaben u. d. T. «Der Helfer, Blätter für Armenpflege und Wohlthätigkeit» (Auflage 2400), und «Volksgesundheit, Blätter für Mäßigkeit und gemeinnützige Gesundheitspflege» (Auflage 3300).

Volkszählungen, statist. Erhebungen, die die Ermittelung des Standes der Bevölkerung (s. d.) zum Gegenstand haben. Sie bilden eine der umfassendsten und bedeutendsten Unternehmungen der amtlichen Statistik. Die auf die Feststellung der Volkszahl gerichteten Bestrebungen reichen weit in das Altertum zurück. Namentlich haben die Chinesen, Juden und Ägypter Aufnahmen veranlaßt, die an unsere heutigen V. erinnern. Die Bürgerlisten in Griechenland und Rom, hier von den Censoren auf dem Laufenden erhalten und im Lustrum regelmäßig abgeschlossen, vertraten das Ergebnis einer Volksaufnahme; eine förmliche allgemeine Volkszählung ordnete zwar der Kaiser Augustus an, indessen scheint sie nicht durchgeführt worden zu sein. Dem Mittelalter waren allgemeine, über ein größeres Gebiet sich erstreckende V. unbekannt. Wohl aber haben damals einige Städte erfolgreiche Versuche zur Feststellung ihrer Einwohnerzahl gemacht (wie z. B. Nürnberg 1449 und Straßburg i. E. etwa um 1475), die um so wichtiger sind, als sie vorzugsweise geeignet erscheinen, die bisher noch wenig bekannten Bevölkerungszustände des Mittelalters zu beleuchten. Dem gleichen Zweck dienen heute unter anderm die überlieferten Steuerrollen und Bürgerverzeichnisse sowie die ältern Kirchenbücher mit ihren Nachweisungen über Eheschließungen, Geburten und Sterbefälle, aus deren Zahl nach einem anzunehmenden festen Verhältnis die Bevölkerung annähernd berechnet werden kann. Brauchbares Material zu deren oberflächlicher Schätzung bieten die auf uns gekommenen Angaben über den Nahrungsmittelverbrauch, die Zahl der waffenfähigen Mannschaften, der Handwerker gewisser Gewerbe u. s. w. Die erste allgemeine Volkszählung fand nicht vor dem 18. Jahrh. statt. Preußen und Hessen unter den deutschen Staaten, ferner Schweden (seit 1748) und England legten darauf verhältnismäßig früh Wert. Weil jedoch die Ermittelungen ohne allgemein gültige und genaue Vorschriften vollzogen wurden und sich auf zu wenige Fragen bezogen, leisteten sie geringe Dienste; auch der in diesen Dingen am weitesten vorgegangene preuß. Staat beschränkte sich nach 1816 längere Zeit auf die Erhebung weniger Thatsachen. Seit 1853 hat der Internationale statist. Kongreß die Theorie und Praxis der V. wiederholt behandelt, nachdem Quételet in Belgien 1846 ausführliche Haushaltungslisten (bulletins de ménage) ausgeteilt und damit eine wichtige Verbesserung durchgeführt hatte. In den letzten Jahrzehnten ist die Technik des Volkszählungswesens noch weiter vervollkommnet worden, und wenn auch jetzt noch das Zählungswesen, selbst innerhalb des Deutschen Reichs, nicht völlig einheitlich gestaltet ist, so sind die Ergebnisse der neuern V. doch als eine der wertvollsten Quellen für die Kenntnis unserer socialen Verhältnisse und als ein unentbehrliches Hilfsmittel der Verwaltung anzusehen.

Die erste, bei V. zu entscheidende Frage betrifft den Gegenstand der Zählung. Man kann in dieser Hinsicht die Bevölkerung von drei verschiedenen Gesichtspunkten aus betrachten, je nachdem sie während des Zählungstages entweder an einem Orte thatsächlich sich vorfindet (faktische oder ortsanwesende Bevölkerung), oder dort ihren dauernden Wohnsitz hat (Wohnbevölkerung), oder endlich in irgend einer rechtlichen Beziehung zu demselben steht (rechtliche Bevölkerung). Welche von diesen drei Arten der Bevölkerung zu zählen sei, war lange ein Gegenstand des Streites; der Statistische Kongreß und mit ihm die meisten Staaten haben die ortsanwesende Bevölkerung als die am leichtesten zu erfassende schon früher vorgezogen, während im Zollverein noch bis 1867, in den Staaten des spätern Norddeutschen Bundes nur bis 1864, die sog. Zollabrechnungsbevölkerung, die ungefähr der Wohnbevölkerung entspricht, erhoben wurde. Seitdem wird die ortsanwesende Bevölkerung als eigentlicher Gegenstand der V. ermittelt, wenn auch daneben die Elemente zur Feststellung der Wohnbevölkerung (Angabe der vorübergehend An- oder Abwesenden) erhoben werden. Die außerhalb des Reichs sich aufhaltenden Reichsangehörigen werden bei den V. außer acht gelassen.

Für den Umfang der V. gilt allgemein die Regel, daß solche Fragen gestellt werden müssen, die man zur Herstellung einer guten Volksbeschreibung für notwendig hält; ein Übermaß ist wegen der Belästigung des Volks und der Behörden ebenso schädlich wie ein zu geringes Maß, und es sollte insbesondere nicht mehr erfragt werden, als die statist. Landesstelle zu verwerten gedenkt. Name, Wohnung, Geschlecht, Alter (nach Geburtsjahr und möglichst auch nach dem Geburtstag) und Familienstand gelten als die in erster Linie zu erfragenden Thatsachen, wogegen eine Reihe anderer Punkte nur in jüngern Zeitabschnitten einmal ermittelt zu werden brauchen, z. B. das Verhältnis des Einzelnen zum Familienhaupt und zum Wohnungsinhaber, der Geburtsort, der Wohn- und Heimatsort, gewisse körperliche und geistige Mängel (Blindheit, Taubstummheit, Blöd- und Irrsinn u. s. w.), die Familiensprache oder Stammeszugehörigkeit, der Beruf und die Beschäftigung, die Art des Aufenthalts, der Bildungsgrad und bei Kindern der Schulbesuch. In Deutschland wird auch meistens nach dem Religionsbekenntnis gefragt. Bei der 2. Dez. 1895 im Deutschen Reiche vorgenommenen Volkszählung ist ebenso wie bei der 14. Juni desselben Jahres vorausgegangenen Berufszählung die Arbeitslosigkeit ermittelt worden. Noch andere Fragen aufzustellen wird für unzweckmäßig gehalten, weil zu tiefes Eindringen in die Vermögens- und Familienverhältnisse unzuverlässige Unterlagen liefern und viele