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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Volkszählungen

Gegner erwecken würde. Auch ist genaue Begriffsbestimmung der oben erwähnten Gegenstände schon schwierig und kann dem Verständnis der Ortsbehörden, namentlich aber der einzelnen Haushaltungsvorstände und Zähler nicht leicht angepaßt werden, so daß die Leiter der V. auf eine weitere Ausdehnung der Fragen desto lieber verzichten, je vollkommener im übrigen die Methode eingerichtet ist. Hingegen läßt sich mit der Volkszählung, weil sie auf das Wohnen gestützt ist, immer eine ziemlich ausführliche Grundstücks-, Wohnungs- und Gebäudestatistik verknüpfen; die Großstädte, welche eigene statist. Ämter besitzen, haben denn auch diesen Nebengewinn der großen Landesunternehmung für Zwecke der Gemeindeverwaltung verwertet. Eine Abart der V. sind die Berufszählungen (s. Berufsstatistik).

Als Zeit für die V. ist eine ruhige, d. h. eine solche zu wählen, in der die Bevölkerung sich größtenteils zu Hause befindet; für den Zollverein war der Dezember vorgeschrieben, und zwar galt der 3. Dez. bei den seit 1834 alle drei Jahre vorgenommenen V. 1846‒67, der 1. Dez. bei den fünf deutschen V. 1871, 1875, 1880, 1885 und 1890. Für die Volkszählung von 1895 wurde, weil der 1. Dez. auf einen Sonntag fiel, der 2. Dez. gewählt. Übrigens ist nicht zu verkennen, daß gewichtige wissenschaftliche Gründe, namentlich die erwünschte Übereinstimmung mit den fortlaufenden Ermittelungen über die Bewegung der Bevölkerung, für die Verlegung des Termins auf den 31. Dez. sprechen, welcher unter anderm in Österreich-Ungarn, Italien, Schweden und Norwegen als Zählungstag gilt. Im Deutschen Reich und Frankreich finden alle fünf Jahre, in den meisten andern Staaten alle zehn Jahre V. statt; die letzte Volkszählung in Italien war 1881.

Die roheste Form der Erhebung beruht auf der Auswahl von Stichobjekten, d. h. solchen Häusern, Wohnplätzen oder Räumen, die eine mittlere, der Landessitte am meisten entsprechende Personenzahl umfassen; man ermittelt diese und vervielfacht sie mit der Zahl der im Lande vorhandenen Objekte gleicher Art; so verfahren z. B. Reisende unter wilden und halbwilden Völkern. Besser ist schon die Zusammenberufung der Familienhäupter oder ihrer Vertreter an einen einzigen Ort und deren öffentliche Befragung durch den Gemeindevorstand, wobei vorausgesetzt wird, daß die Nachbarn falsche Angaben berichtigen. Üblicher war die polizeiliche Begehung der Häuser und die unmittelbare Eintragung des Befundes in je eine Zeile der Ortsliste, welches einfache Verfahren aber unmöglich wurde, als die Spalten zunahmen und Zweifel an der Richtigkeit der statist. Angaben der Ortsbehörden entstanden. Weil namentlich Einwohnerlisten eine größere Gewähr der Richtigkeit geben, auch zu vielen Zwecken der laufenden Verwaltung nützlich sind, wurden sie für die Volkszählung schon im 18. Jahrh. anbefohlen, aber nicht überall angelegt und fortgeführt. Mit der Entwicklung des Verkehrs steigerten sich aber die Zu- und Abgänge, so daß die Berichtigung der Einwohnerlisten sehr beschwerlich und sogar auf dem platten Lande unzuverlässig wurde; man verfügte deshalb, im Zollverein 1846, die Anlegung besonderer Volkszählungsurlisten mit namentlicher Eintragung jeder Person. Um die Mitte des 19. Jahrh. begann die Selbsteintragung in Haus- oder Haushaltungslisten mit Revision und Ergänzung durch die Ortsbehörden Platz zu greifen, ein Verfahren, das einen ziemlich hohen Bildungsstand der Bevölkerung voraussetzt und in Preußen erst seit 1867 auf Betreiben Ernst Engels eingeführt wurde. Als Vermittler zwischen der Behörde und den Familienhäuptern wirken dabei Zähler, die in den meisten Staaten für ihre Leistungen bezahlt werden, in Deutschland aber meist unentgeltlich arbeiten. Der preuß. Staat, der in Angelegenheiten der V. den Vortritt genommen hatte, führte 1871 als weitere Verbesserung individuelle Zählkarten neben abgekürzten Haushaltungslisten und einfachen Ortslisten ein, und diese sog. Zählkartenmethode, zu deren Einführung bei der Aufnahme ein dem Namen nach nicht bekannter Bürgermeister aus der Rheinprovinz die Anregung gegeben hat, hat sich sowohl für die Erhebung der Nachrichten wie für deren spätere Verarbeitung trefflich bewährt, ist in Preußen bei allen V. beibehalten und auf viele andere statist. Aufnahmen ausgedehnt und von einer Reihe anderer Staaten angenommen worden.

Die Verwertung der Urmaterialien zu statist. Tabellen erfolgte früher allgemein zunächst seitens der Gemeinde, wozu die ursprünglich tabellarische Gestalt der Urlisten bequeme Gelegenheit bot, und dann stufenweise durch die höhern Verwaltungsbehörden für die Kreise, Regierungsbezirke, Provinzen und den ganzen Staat. Die Vergrößerung und Umgestaltung der Liste machte dann aber den Gemeinden die Last der Übertragung so schwer, daß dieser Weg in vielen Staaten aufgegeben ist; entweder stellen dann bezahlte Agenten die Tabellen für bestimmte Gebietsteile auf, oder die statist. Landesstellen nutzen das gesamte Urmaterial unmittelbar aus. Im letztern Falle, zuerst in großartiger Weise bei der Volkszählung von 1871 in Preußen durchgeführt, können je nach Maßgabe der verfügbaren Mittel alle Kombinationen der Einzelergebnisse zusammengestellt werden, sei es für den ganzen Staat oder seine einzelnen Teile. Ist die Aufnahme selbst mittels Individualzählkarten erfolgt, so können auch noch während der Aufbereitung des Zählungsergebnisses jederzeit neue Kombinationen der beobachteten Einzelthatsachen, je nachdem inzwischen deren Kenntnis wünschenswert geworden, mit geringem Aufwand an Zeit und Arbeitskraft zusammengestellt werden, was jedoch nicht thunlich ist, wenn man die V. mittels Listen, die die Einzelthatsachen schon in gewissen Kombinationen (z. B. nach Haushaltungen) enthalten, bewirkt hat. Im Deutschen Reich sind dem kaiserl. Statistischen Amt gewisse, von diesem zu veröffentlichende Hauptergebnisse der V. seitens der Einzelstaaten mitzuteilen, während diesen die weitere Ausnutzung des Zählungsmaterials überlassen bleibt. Das Gebiet, über das sich V. erstreckt haben, ist aus der Tabelle zu dem Artikel Bevölkerung ersichtlich, wo auch die letzten Zählungsjahre aller Staaten angegeben sind. Es hat durch die Volkszählung von 1897, welche sich über das ganze russ. Reich, also über das größte jemals von einer Volkszählung erfaßte Gebiet ausdehnte, eine wesentliche Erweiterung erfahren. Besonders hervorgehoben zu werden verdient der groß angelegte ind. Census, der in die persönlichen Verhältnisse von fast 300 Mill. Menschen eindringt und der überaus ausführliche Census der Vereinigten Staaten von Amerika.

Vgl. Engel, Die Methoden der V. (Berl. 1861); die betreffenden Bände der Statistik des Deutschen Reichs, der preuß. Statistik und der Zeitschrift des königlich preuß. Statistischen Bureaus; die offiziellen