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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Waisenkolonien; Waisenmädchenhaar; Waisenpflege; Waisenrat; Waisenversicherung; Waitz

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Waisenkolonien - Waitz

Fayard, Histoire administrative de l’œuvre des enfants trouvés, abandonnés et orphelins de Lyon (2. Aufl., Par. 1875); Lallemand, Histoire des enfants abandonnés et délaissés (ebd. 1885); Letchworth, Children of the State (Neuyork 1886).

Waisenkolonien, s. Waisenpflege.

Waisenmädchenhaar, Grasart, s. Stipa.

Waisenpflege, die Fürsorge für verwaiste unmündige Kinder, eine Hauptaufgabe der amtlichen Armenpflege. Es sind gerade in neuester Zeit auf diesem Gebiete gründliche Umwandlungen vollzogen worden, weil man sich in der Principfrage, ob Anstaltspflege oder Familienpflege der Waisen vorzuziehen sei, immer mehr für die letztere zu entscheiden pflegt. Der 1880 begründete «Deutsche Verein für Armenpflege und Wohlthätigkeit» hat eine besondere Untersuchung über diese Frage veranstaltet und gutachtliche Äußerungen von 77 deutschen Armenverwaltungen über ihre Erfahrungen in der W. in dem von ihm herausgegebenen Werk: Böhmert, «Das Armenwesen in 77 deutschen Städten» (Dresd. 1887), veröffentlicht, von denen die Mehrzahl der Familienerziehung den Vorzug giebt, ohne jedoch die Anstaltserziehung für bestimmte Arten von Kindern mit körperlichen, geistigen und schweren sittlichen Gebrechen auszuschließen, und in diesem Sinne hat sich auch die Generalversammlung dieses Vereins (Karlsruhe, Sept. 1888) ausgesprochen. Die Vorzüge der Familienpflege bestehen besonders darin, daß die Kinder in den Verhältnissen des wirklichen Lebens bleiben und sich wie andere Kinder an den Arbeiten der Pflegeeltern mit beteiligen. Insbesondere machen sich die Schattenseiten der Massenerziehung bei den Mädchen geltend, die der Gewöhnung an das Familienleben und an das Hauswesen vor allem bedürfen. Eine sehr gute, schon seit 1831 in Dresden bestehende Einrichtung ist das System der Waisenkolonien, wonach die Waisenkinder in den Landgemeinden bei kleinen Landwirten oder Häuslern untergebracht werden. Die Leitung der Kolonien untersteht den Ortsgeistlichen oder den Lehrern des Ortes als Waisenvätern, an die sich auch die Pflegeeltern mit Anfragen um Auskunft zu wenden haben. – Vgl. Der Wert allgemeiner Waisenanstalten (in den «Schriften des deutschen Vereins für Armenpflege und Wohlthätigkeit»), Heft 4, Lpz. 1887).

Waisenrat, nach neuern Gesetzen das von der Gemeinde eingesetzte Hilfsorgan der Obervormundschaft (im Deutschen Bürgerl. Gesetzb. §. 1849 Gemeindewaisenrat) bezüglich aller in der Gemeinde sich aufhaltender Mündel. Der W. schlägt als Vormünder, Gegenvormünder oder Mitglieder des Familienrats geeignete Personen vor und überwacht die Vormundschaftsführung. Diejenigen Staaten, welche die Leitung der Obervormundschaft (s. d.) Gemeindebehörden anvertrauen, kennen den W. nicht.

Waisenversicherung, s. Witwenkassen.

Waitz, Georg, Geschichtsforscher, geb. 9. Okt. 1813 zu Flensburg, widmete sich 1832‒36 zu Kiel und Berlin jurist. und histor. Studien, wandte sich aber bald den letztern ausschließlich zu, ging dann als Mitarbeiter an den «Monumenta Germaniae historica» nach Hannover und besuchte die Bibliotheken und Archive zu Kopenhagen, Paris, mehrerer franz. und lothr. Städte, von Luxemburg, Trier, Koblenz, Thüringen und Sachsen. Seine wichtigsten Arbeiten für die «Monumenta» aus dieser Zeit sind die Ausgaben des Widukind, einer Reihe Biographien der sächs. Zeit, ferner des Marianus Scotus, des Ekkehardus Uraugiensis, des Annalista Saxo, der «Gesta Treverorum», des Gottfried von Viterbo, der Bischofsgeschichten von Metz, Toul und Verdun sowie der franz. Autoren Ademar und Hugo von Fleury. 1842 wurde W. zum Professor in Kiel ernannt. Bei der Märzbewegung 1848 war er einige Zeit bei der provisorischen Regierung in Rendsburg thätig und wurde zur Vertretung der Interessen der Herzogtümer nach Berlin gesendet. In Kiel in die Deutsche Nationalversammlung gewählt, gehörte W. zur sog. Partei des Kasino und des Weidenbusches. Nachdem er mit Gagern, Dahlmann u. a. aus der Versammlung geschieden war, trat er im Sommer 1849 die Professur in Göttingen an, zu der er schon 1847 berufen worden war. 1875 als Mitglied der Akademie nach Berlin berufen, übernahm er die Leitung der «Monumenta Germaniae», machte Reisen nach Italien, England, der Schweiz und Paris und starb 24. Mai 1880 in Berlin.

Unter W.’ zahlreichen Schriften sind hervorzuheben: sein Hauptwerk, die «Deutsche Verfassungsgeschichte» (8 Bde., Kiel 1843‒78; Bd. 1 u. 2, 3. Aufl. 1879‒82; Bd. 3 u. 4, 2. Aufl. 1883‒85; Bd. 5, 2. Aufl., bearbeitet von Zeumer, 1893; Bd. 6, 2. Aufl., bearbeitet von Seeliger, 1896), «Schleswig-Holsteins Geschichte» (2 Bde., Gött. 1851‒54), «Lübeck unter Jürgen Wullenweber und die europ. Politik» (3 Bde., Berl. 1855‒56), «Grundzüge der Politik» (Kiel 1862), «Urkunden und Aktenstücke zur Geschichte der Herzogtümer Schleswig und Holstein» (ebd. 1863), «Jahrbücher des Deutschen Reichs unter König Heinrich Ⅰ.» (Berl. 1837; 3. Aufl., Lpz. 1885), «Über das Leben und die Lehre des Ulfila» (Hannov. 1840), «Das alte Recht der Salischen Franken» (Kiel 1846), «Urkunden zur deutschen Verfassungsgeschichte im 11. und 12. Jahrh.» (2. Aufl., Berl. 1886), «Deutsche Kaiser von Karl d. Gr. Bis Maximilian» (ebd. 1872). Von seinen «Gesammelten Abhandlungen» gab den 1. Band «Abhandlungen zur deutschen Verfassungsgeschichte» (Gött. 1896) Zeumer heraus. Bei Ausbruch des letzten schlesw.-holstein. Krieges veröffentlichte W. eine «Kurze schlesw.-holstein. Landesgeschichte» (Kiel 1864). Seit 1862 gab er, zuerst mit Häusser und Stälin, später mit Dümmler und Wegele, die «Forschungen zur deutschen Geschichte» heraus. Für die «Monumenta» hat er besonders den Band «Scriptores rerum Langobardicarum et Italicarum saec. Ⅵ-Ⅸ» (Hannov. 1878) herausgegeben. Über andere Arbeiten und das ganze Unternehmen giebt das «Neue Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde» (Bd. 1‒4, Hannov. 1876‒79) Auskunft. Ferner gab er heraus: «Caroline (Schlegel), Briefe» (2 Bde., Lpz. 1871) und «Caroline und ihre Freunde» (ebd. 1882). – Vgl. Steindorff, Bibliogr. Übersicht über Georg W.’ Werke, Abhandlungen u. s. w. (Gött. 1886); Kluckhohn, Zur Erinnerung an Georg W. (Hamb. 1887).

Waitz, Theod., Psycholog und Anthropolog, geb. 17. März 1821 zu Gotha, widmete sich zu Leipzig und Jena philol. und philos. Studien. Nachdem er sich 1844 als Docent zu Marburg habilitiert hatte, erhielt er 1848 eine außerord. Professur. Er starb 21. Mai 1864 zu Marburg. Seine bedeutendsten Arbeiten sind: eine Ausgabe des «Organon» des Aristoteles (2 Bde., Lp). 1844‒46); ferner «Grundlegung der Psychologie» (Hamb. und Gotha 1846), «Lehrbuch der Psychologie als Naturwissenschaft»