Schnellsuche:

Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

716

Wiener Konkordat - Wiener Rot

die endlich zu der Bundesakte vom 8. Juni 1815 führten. Die Verfassung, die nach langem Streit und Hader zuletzt in überstürzter Hast festgestellt oder vielmehr nur in Umrissen skizziert wurde, war die kläglichste, die Deutschland je besessen. Sogar die preuß. Forderung, daß alle deutschen Staaten verpflichtet sein sollten, dem Bunde beizutreten, ward abgelehnt. Die wichtigste Bestimmung, daß in allen Bundesstaaten Ständeversammlungen eingerichtet werden sollten, hat später zu heftigen Zerwürfnissen geführt. Baden hielt sich bis zum Hochsommer, Württemberg bis zum Herbst 1815 von dem Beitritt zum Bunde zurück; erst als der Sturz Napoleons zum zweitenmal entschieden war, traten sie bei. Die Bundesakte wußte nichts von einem deutschen Volke, sie kannte nur Preußen, Bayern, Oldenburger, Waldecker u. s. w., Unterthanen von 39 Fürsten, die zu einem völkerrechtlichen Verein zusammentraten, dem auch die Könige von Dänemark und Holland angehörten. Die Grundgesetze des Bundes sollten erst späterhin fest bestimmt werden; doch ist dies niemals geschehen. Jeder kleine Fürst erhielt das Recht, durch seinen Einspruch eine Weiterentwicklung des Bundes zu verhindern. Das Bundesgericht, dessen Einsetzung Preußen beantragt hatte, war von Bayern zu Fall gebracht worden. Alle nationalen Hoffnungen der Patrioten waren zu Schanden geworden. Das ganze Elend des alten Regensburger Reichstags lebte wieder auf in der neuen Gesandtenkonferenz, dem «Bundestag». (S. Deutscher Bund.)

Eine große Bedeutung hat der W. K. für die Entwicklung des internationalen Völkerrechts. Auf ihm bildete sich das System der fünf europ. Großmächte aus. Auch Fragen des Handels und Verkehrs, Fragen der Humanität und zahlreiche andere kamen zur Verhandlung; so wurde unter anderm eine internationale Flußschiffahrtspolitik durch Verträge der beteiligten Uferstaaten geschaffen, der Sklavenhandel, wenigstens im Princip, für aufgehoben erklärt und die äußern Formen des diplomat. Verkehrs, die früher soviel Anlaß zu Differenzen gegeben, endgültig festgestellt.

Da eine allgemeine Plenarversammlung nicht in der Absicht der Großmächte lag, so bereitete der Ausschuß die sog. Wiener Schlußakte vom 9. Juni 1815 vor, die die Ergebnisse des Kongresses zusammenfaßte und von den fünf Großmächten sowie von Portugal und Schweden unterzeichnet wurde. Der zweite Pariser Friede (20. Nov. 1815) änderte die Schlußakte insofern ab, als Frankreich mehrere Abtretungen zu machen hatte: Saarlouis und Saarbrücken an Preußen, Landau an Bayern, einige Festungen an die Niederlande, einen Teil von Savoyen an Sardinien. Durch besondere Verträge wurde die immerwährende Neutralität der Schweiz sanktioniert und die Ionischen Inseln unter das Protektorat Großbritanniens gestellt. Damit kam endlich die Neugestaltung Europas, die durch die sog. Heilige Allianz (s. d.) besiegelt wurde, zum Abschluß.

Vgl. Klüber, Akten des W. K. (6 Bde., Erlangen 1815‒35); ders., Übersicht der diplomat. Verhandlungen des W. K. (ebd. 1816); Flassan, Histoire du congrès de Vienne (3 Bde., Par. 1829; deutsch von Hermann, 2 Bde., Lpz. 1830); Häusser, Deutsche Geschichte, Bd. 4 (4. Aufl., Berl. 1869); H. von Treitschke, Deutsche Geschichte im 19. Jahrh., Bd. 1 (6. Aufl., Lpz. 1897); A. Schmidt, Geschichte der deutschen Verfassungsfrage während der Befreiungskriege und des W. K. 1812‒15 (hg. von A. Stern, ebd. 1890); Tagebuch des Freiherrn vom Stein während des W. K., mitgeteilt und erläutert von M. Lehmann (in der «Histor. Zeitschrift», Nr. 862, ⅬⅩ).

Wiener Konkordat, s. Konkordat.

Wiener Lack, s. Karminlack.

Wiener Leinwand, soviel wie Gingham (s. d.).

Wiener Mode, monatlich zweimal in Wien erscheinende illustrierte Modenzeitung mit der belletristischen Beilage «Im Boudoir» und der monatlichen Beilage «Wiener Kinder-Mode». Verlag: «Wiener Mode» Verlags-Aktiengesellschaft, seit 1897 «Gesellschaft für graphische Industrie». Es erscheinen auch Ausgaben in franz. (Paris), engl. (London), ungar. (Budapest), czech. (Prag), poln. (Warschau), niederländ. (Amsterdam), dän. (Kopenhagen) und span. (Madrid) Sprache. Die W. M. besteht seit 1887.

Wiener Nachtpfauenauge, s. Nachtpfauenauge.

Wiener-Neustadt. 1) Bezirkshauptmannschaft in Niederösterreich, hat 1197,09 qkm und (1890) 64609 (32258 männl., 32351 weibl.) E. in 58 Gemeinden mit 109 Ortschaften und umfaßt die Gerichtsbezirke Ebreichsdorf, Gutenstein und W. – 2) Stadt mit eigenem Statut und Sitz der Bezirkshauptmannschaft W. (Umgebung) sowie eines Kreis- und eines Bezirksgerichts (346,49 qkm, 28767 E.), an der Fischa und einem Schiffahrtskanal nach Wien sowie an den Linien Wien-Triest, Wien-Pottendorf-Ebenfurth-W. (54 km) und W.-Groß-Kanizsa-Barcs (282 km) der Österr. Südbahn und Wien-Aspang der Aspangbahn, mit Lokalverkehr nach Wien, ist nach dem Brande vom 8. Sept. 1834 neu aufgebaut und hat (1890) 25040 (13089 männl., 11951 weibl.) E., in Garnison 1 Bataillon des 84. Infanterieregiments «Alfred, Herzog zu Sachsen-Coburg und Gotha» und 4 Eskadrons des 4. Dragonerregiments «Kaiser Ferdinand», viele merkwürdige Gebäude, darunter die alte herzogl., später kaiserl. Burg, seit 1752 Sitz der Theresianischen Militärakademie (s. d.) mit dem Standbild der Kaiserin von Gasser und Fernkorn sowie einem Denkmal für die gefallenen Zöglinge der Akademie im Vorhof, schönen Sammlungen, einer großen Bibliothek und einem prachtvollen Park. Am Hauptplatze findet sich eine ausgemauerte Stelle, auf der 1552 Fitzinger und andere Rebellen enthauptet wurden. Außerdem sind zu erwähnen die Pfarrkirche (13. Jahrh.) mit Presbyterium (15. Jahrh.), das Neukloster (ein Cistercienserkloster, gegründet 1444, seit 1880 mit dem Kloster Heiligenkreuz vereinigt, mit einer Bibliothek von mehr als 20000 Bänden und schönem Museum) und das Rathaus (mit reichem Archiv). Ferner bestehen ein Obergymnasium, eine Landes-Oberrealschule und Fachschule für Maschinenwesen, Lehrerbildungsanstalt (Landes-Lehrerseminar), Gremialfachschule, gewerbliche Fortbildungsschule und zahlreiche Anstalten und Vereine; eine große Munitionsfabrik, Maschinen-, Eisen-, Thonwaren-, Seiden-, Bänder- und Lederfabriken, große Mühlen, Klenganstalten für Waldsamen, Zuckerraffinerie, große Brauerei, Handel und ein bedeutender Borstenviehmarkt. Von Herzog Leopold Ⅵ. um 1190 gegründet, spielte W. in den Türkenkriegen wiederholt eine wichtige Rolle und wurde 1529 und 1683 vergeblich belagert. – Vgl. Boeheim, Chronik von W. (neue Ausg., Wien 1863‒64); Hinner, Wandelbilder aus der Geschichte W.s (Wiener-Neustadt 1892).

Wiener Rose, s. Rose.

Wiener Rot, soviel wie Karminlack (s. d.).