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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Wunde

Einwirkung ein in Schnitt-, Stich- und Hiebwunden, gequetschte und gerissene W., zu welchen ietztern auch die Biß- und Schußwunden gehören. (S. auch Quetschung.) Unter penetrierenden W. versteht man solche, durch die eine der drei großen Körperhöhlen oder ein Gelenk eröffnet ist. Außer der charakterisierenden Eigenschaft der Gewebstrennnng bietet fast jede W. Blutung, Schmerzen, Klaffen der Wundränder und Entzündung in sehr verschiedenem Grade dar, Merkmale, die zur Gefährlichkeit derselben durchaus nicht immer in geradem Verhältnis stehen. Der Wundschmerz entsteht teils durch die Verletzung der sensiblen Nervenäste, teils durch deren Kompression bei der nachfolgenden Schwellung der Wundränder und ist je nach dem Nervenreichtum des verletzten Teils und der Empfindlichkeit des Verwundeten verschieden; gequetschte und gerissene W. pflegen am schmerzhaftesten zu sein. Je rascher die Verwundung geschieht, je schärfer das verwundende Werkzeug ist, um so geringer pflegt der Schmerz zu sein, ja bei hochgradiger psychischer Erregung (z. B. in der Schlacht, bei Schlägereien u. dgl.) werden beim Empfang der W. oft gar keine Schmerzen gespürt. Zur Beseitigung sehr heftiger Wundschmerzen (bei Operationen u.dgl.) wendet man anästhetische Mittel (s. Anästhesieren) an. über die Behandlung der Blutung (s. d.). Das Klaffen der Wundränder sucht man bei kleinen W. durch Kollodium, durch Englisches Pflaster oder durch Heftpflaster, bei größern durch die Naht (s. d.) zu beseitigen. Von dem Grade der Entzündung, die häufig auf größere Verwundungen folgt, hängt der Eintritt des Wundfiebers (febris traumatica) ab, das meist am zweiten oder dritten Tage nach der Verletzung als Ausdruck der Mitleidenschaft des ganzen Organismus eintritt und eine verschieden lange Dauer besitzt. Das Wundfieber stellt sich als sog. aseptisches oder Resorptionsfieber zuweilen auch bei ganz normalem Wundverlauf ein und entsteht in solchen Fällen durch die Aufsaugung der normalen Wundsekrete in das Blut. Bisweilen treten auch gleichzeitig mehr oder minder heftige Nervenzufälle auf, wie Schlaflosigkeit, Aufregung, Ohnmachten, Zuckungen, selten Wundstarrkrampf, der das Leben des Verwundeten gefährdet.

Die Heilung erfolgt entweder in kürzester Zeit durch unmittelbare Verklebung und Verwachsung der Wundränder infolge Ausschwitzung einer geringen Menge klarer, eiweißhaltiger, lymphatischer Flüssigkeit (unmittelbare Wundheilung, prima intentio), oder in langsamerer Weise durch Eiterung und Narbenbildung, indem sich auf der Wundfläche unter beständiger Eiterabsonderung eine Menge kleiner rundlicher warzenähnlicher Hervorragungen bilden, sog. Fleischwärzchen oder Granulationen (s. d.), die nach und nach die ganze W. ausfüllen, sich mit einer zarten Oberhaut bedecken und dann in ein festes Narbengewebe verwandeln (mittelbare Wundheilung, secunda intentio). Die erste Form der Wundheilung erfolgt vorzugsweise bei glatten, nicht komplizierten Schnittwunden, wenn die W. nicht durch Schmutz und Krankheitserreger (Bakterien) verunreinigt und vor äußern Schädlichkeiten (Druck, Reibung, Erschütterung) hinreichend geschützt wurden, wogegen gequetschte W. und namentlich mit ausgedehntern Substanzverlusten, zumal wenn sie nicht gehörig gereinigt und desinfiziert wurden, gewöhnlich unter Eiter- und Narbenbildung heilen. Die meisten Störungen und Unregelmäßigkeiten während der Heilung einer W. finden ihren Grund in einer durch Eindringen von Fäulniserregern, insbesondere Staphylokokken, Streptokokken und verwandten Bakterien, veranlaßten Zersetzung der Wundsekrete (s. Bakterien sowie Eiter und Eiterung). Dieselben werden von den Lymph- und Blutgefäßen aufgesaugt und in die allgemeine Säftemasse übergeführt und können hier eine mehr oder minder schwere Allgemeininfektion, hohes Fieber (septisches Wundfieber, Faulfieber, Pyämie), Schüttelfröste, Erysipel, selbst tödliche Blutvergiftung erzeugen. (S. Pyämie und Septichämie.) Auch andere schwere Allgemeinerkrankungen, z.B. Milzbrand, Wundstarrkrampf u. s. w., können von einer Wunde aus nach Aufnahme des betreffenden Kranheitsgiftes (Bakterien) entstehen. (S. Milzbrand und Starrkrampf.) Aber selbst wenn eine solche allgemeine Verbreitung der Krankheitserreger im ganzen Körper nicht stattfindet, können sie an Ort und Stelle noch durch Veranlassung umfangreicher Eiterung und Nekrose wichtige Organe schädigen sowie durch Produktion heftiger Gifte, Ptomaïne, Toxine, Allgemeinerkrankung bewirken.

Aus diesem Grunde gehört es zu den wichtigsten Aufgaben der Wundbehandlung, einen möglichst schnellen organischen Verschluß der W. herbeizuführen, neben der erforderlichen absoluten Ruhe des verwundeten Teils auf einen allseitig freien Abfluß der gebildeten Wundflüssigkeiten Bedacht zu nehmen und unter allen Umständen von vornherein deren jauchige Zersetzung und Fänlnis zu verhüten, oder mit andern Worten, den Wundverlauf zu einem aseptischen zu gestalten. Zunächst versucht man zu diesem Zwecke in den meisten Fällen durch eine möglichst frühzeitige genaue Vereinigung der Wundränder vermittelst der Naht die Wundfläche selbst zu verkleinern und dadurch eine möglichst ausgedehnte unmittelbare Heilung zu erreichen. Hinsichtlich der weitern Behandlung standen sich verschiedene Methoden gegenüber. Die offene Wundbehandlung suchte durch vollkommenes Freiliegen der W., die höchstens zum Schutz gegen den Staub mit einem Öl- oder Wasserläppchen bedeckt wurde, und durch Einlegen von durchlöcherten Gummiröhren in die Wundhöhle (sog. Drainage) von Anfang an den freiesten Abfluß der Wundsekrete zu erreichen, während im Gegensatz hierzu die Deck-, Occlusions- oder Occlusivverbände die W. durch eine fest anschließende Bedeckung mit feuchten Kompressen oder mit absorbierenden Stoffen (Watte, Mull, Leinwand, Charpie) vor dem Luftzutritt zu schützen und unter diesem Schutze die Vernarbung herbeizuführen strebten. Beide Methoden vermochten nicht in allen Fällen die faulige Zersetzung der Wundflüssigkeiten zu verhüten und sind deshalb durch Listers antiseptische Wundbehandlung verdrängt worden, bei der die W. selbst, ihre Umgebung und alle mit ihr in Berührung kommenden Instrumente und Gegenstände sorgfältig desinfiziert werden. Die W. werden mit keimfreien Verbandstoffen (Mull, Watte u. s. w.) bedeckt, wodurch der Zutritt der in der Luft schwebenden Fäulniskeime zum Wundsekret verhütet wird. Die gebräuchlichsten und wirksamsten antiseptischen Flüssigkeiten sind die Carboisäure- und Quecksilbersublimatlösungen. Auch antiseptische Pulver, z. B. Jodoform, Wismut, Zinkoxyd, Dermatol u. s. w. werden als Streupulver bei