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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Zwangsbewegungen; Zwangsdienst; Zwangserziehung; Zwangsgemeinwirtschaft; Zwangshypothek; Zwangsjacke

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Zwangsbewegungen – Zwangsjacke

Zwangsbewegungen, eigentümliche krampfhafte, nach abnormen Richtungen erfolgende Bewegungen, die bei Menschen und Tieren nach einseitigen Verletzungen des Mittelhirns (besonders des Sehhügels, des Hirnschenkels, der Brücke) eintreten. Hierher gehören die Reitbahn- oder Manègebewegung, bei der das verletzte Tier unausgesetzte Bewegungen in der Peripherie eines Kreises ausführt; die Wälz- oder Rollbewegung, wobei es sich beständig um seine Längsachse wälzt; die Zeigerbewegung, wobei das Tier sich als Radius eines Kreises bewegt, in dessen Centrum die Hinterbeine bleiben; endlich krampfhaftes Vorwärts- oder Rückwärtseilen. Auch Verdrehungen (Strabismus, s. Schielen) und unwillkürliche Schwankungen (Nystagmus, s. Augenzittern) der Augen werden als Z. beobachtet. Während die einen Forscher annehmen, daß es sich bei diesen Bewegungen um halbseitige, unvollkommene Lähmungen handle, infolge deren der Patient bei der Tendenz, sich fortzubewegen, mit der gelähmten Seite etwas zurückbleibe, glauben andere gerade im Gegensatz hierzu, daß eine Reizung durch den Akt der Verletzung die Ursache einer übermäßigen Thätigkeit der einen Körperseite sei. Wahrscheinlich handelt es sich aber bei den Z. nur um abnorme Schwindelempfindungen, die durch die stattgefundene Verletzung erregt wurden.

Zwangsdienst, soviel wie Frone (s. d.).

Zwangserziehung, diejenige Maßregel, wodurch auf Grund gesetzlicher Bestimmungen den Eltern oder sonstigen Fürsorgern sittlich verwahrloster jugendlicher Personen das ihnen zustehende Erziehungsrecht entzogen und der zuständigen Staatsbehörde übertragen wird. Die Z. ist geboten, wenn das sittliche Wohl der verwahrlosten Kinder durch Mißbrauch oder durch grobe Vernachlässigung des Erziehungsrechts gefährdet ist, oder wenn sich die Erziehungsgewalt der Eltern und die Zuchtmittel der Schule als unzulänglich erwiesen haben. Die Z. kann also zur Anwendung gebracht werden bei schon bestraften jugendlichen Verbrechern oder bei solchen, die wegen Strafunmündigkeit (s. d.) überhaupt nicht strafrechtlich verfolgt werden oder wegen mangelnder Erkenntnis freigesprochen sind, oder auch bei noch nicht bestraften jugendlichen Personen, deren sittliche Verwahrlosung aber schon einen hohen Grad erreicht hat. 1) Gegen strafunmündige Kinder, d. h. solche unter 12 Jahren, verzichtet das Strafgesetz (§. 55) auf Strafe überhaupt, gestattet aber (Novelle vom 26. Febr. 1876) Maßregeln zur Besserung und Beaufsichtigung, insbesondere Unterbringung in einer Erziehungs- und Besserungsanstalt, nachdem die Vormundschaftsbehörde die Unterbringung für zulässig erklärt hat. Die nähern Vorschriften enthalten die Landesgesetze (Preußen vom 3. März 1878 und 23. Juni 1884), die Altersgrenze nach unten ist in der Regel das 6. Lebensjahr; die Unterbringung in der Anstalt ist in Preußen Sache des Provinzial-Kommunalverbandes, in Berlin und Frankfurt a. M. der Stadt, auf deren Kosten auch die Anstalten unterhalten werden. Hinsichtlich der Personen von 12 bis 18 Jahren, welche wegen Mangels der zur Erkenntnis der Strafbarkeit erforderlichen Einsicht freigesprochen sind, kann nach §. 56 des Strafgesetzbuchs im Urteil bestimmt werden, daß solche in einer Erziehungs- oder Besserungsanstalt unterzubringen seien. Die Staatsanwaltschaft giebt dann die Akten an den Landrat, dieser an den Regierungspräsidenten ab; letzterer trifft die Vollzugsanordnung. Die Kosten trägt regelmäßig der Staat. – 2) Können auch ohne strafrechtliche Unterlage Kinder den Eltern zum Zwecke der Z. weggenommen werden. Nach Deutschem Bürgerl. Gesetzbuch (Einführungsgesetz Art. 135) ist dies zulässig: a. wenn das geistige oder leibliche Wohl des Kindes durch die elterliche Erziehung gefährdet wird (§. 1666), b. bei Mündeln, wenn das Vormundschaftsgericht es für zweckmäßig hält (§. 1838), c. allgemein, wenn die Z. zur Verhütung des völligen sittlichen Verderbens notwendig ist. Im übrigen ist die Regelung der Z. dem Landesrecht überlassen. In Bayern, Sachsen und Württemberg hat man sich bisher mit Vorschriften begnügt, die ein Einschreiten der Polizei oder Vormundschaftsbehörde in den dringendsten Fällen zulassen. Das preuß. Gesetz von 1878 ist das älteste, aber deshalb unzureichend, weil es die Z. von dem Vorliegen einer Strafthat abhängig macht. Dagegen legt das bad. Gesetz vom 4. Mai 1886 den Schwerpunkt auf die sittliche Verwahrlosung, ohne zwischen Bestraften und Nichtbestraften einen Unterschied zu machen. Dem letztern sind die Gesetze in Hessen, Braunschweig und Elsaß-Lothringen nachgebildet. – Darüber, ob verwahrloste Kinder in Familien oder in besondern Anstalten unterzubringen seien, gehen die Ansichten und die gesetzlichen Vorschriften auseinander; jedenfalls müssen, falls man sich für letzteres entscheidet, die Anstalten selbständig und von den für die strafrechtliche Nachhaft (Strafgesetzb. §. 362) bestehenden Korrigendenanstalten streng gesondert sein. So auch die Gesetze. – Die Landesgesetze können die Entscheidung darüber, ob der Minderjährige, dessen Z. angeordnet ist, in einer Familie oder in einer Anstalt unterzubringen sei, einer Verwaltungsbehörde übertragen, wenn die Unterbringung auf öffentliche Kosten zu erfolgen hat. Neben den staatlichen oder kommunalen Besserungsanstalten stehen in weitem Umfange in Deutschland die privaten Rettungshäuser (s. d.). In Hamburg besteht eine besondere Behörde für Z., gebildet aus Beamten und Bürgern, in Preußen haben die Waisenräte die Überwachung der Z. Die Altersgrenze ist teils das 16., teils das 18. Lebensjahr, teils ist eine solche überhaupt nicht bestimmt; die Gesetze sind in diesem Punkt sehr verschieden, Preußen hat als äußerste Grenze der Z. verwahrloster Kinder den Termin der Großjährigkeit; allgemein ist auch eine vorläufige Entlassung auf Probe vorgesehen und endlich haben die Gesetze teilweise noch Bestimmungen über Fürsorge auch nach der endgültigen Entlassung. – Vgl. Artikel Z. in Stengels «Wörterbuch des deutschen Verwaltungsrechts» (2 Bde., Freib. i. Br. 1889‒90); Aschrott, Die Behandlung der verwahrlosten und verbrecherischen Jugend (Berl. 1892); Appelius, Die Behandlung jugendlicher Verbrecher und verwahrloster Kinder (ebd. 1892).

Zwangsgemeinwirtschaft, s. Wirtschaft.

Zwangshypothek, Judizialhypothek, die Hypothek, welche der Gläubiger, der ein Urteil oder einen andern vollstreckbaren Titel für sich hat, dadurch erlangt, daß auf seinen Antrag die Forderung auf das Grundstück des Schuldners im Grundbuch (s. d.) eingetragen wird (Code civil Art. 2117, 2148; preuß. Subhastationsgesetz vom 13. Juli 1883, §§. 1, 6‒12; bayr. Gesetz vom 29. Mai 1886, Art. 40 fg.; Sächs. Bürgerl. Gesetzb. §. 394; Österr. Exekutionsordnung vom 27. Mai 1896, §§. 87 fg.).

Zwangsjacke, eine meist aus Segeltuch gefertigte Jacke mit sehr langen, die Armlänge um das