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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Agrarfrage (Mittel zur Abhilfe)

die mit ihm teilweise verbundenen Mißstände durch neue reformierende Maßregeln schwer zu erfassen seien, ist in das deutsche Börsengesetz (s. Börse) vom 22. Juni 1896 (§. 50) auf Veranlassung des Reichstags das gänzliche Verbot des Terminhandels in Getreide und Mühlenfabrikaten aufgenommen worden. Ob die Unterdrückung des Terminhandels eine wesentliche Hebung des allgemeinen Preisniveaus bewirken werde, wie die Landwirte hoffen, bleibt abzuwarten. Wahrscheinlich ist der Eintritt dieser erhofften Wirkung nicht, da es schwer denkbar ist, daß irgend welche Spekulation dauernd eine Preisbewegung durchsetzen kann, welche mit den wirklichen Verhältnissen des Angebots und der Nachfrage in völligem Widerspruche steht. Jedenfalls wäre bei dem ausgebildeten Welthandel in dieser Ware und bei der hierdurch bedingten wechselseitigen Abhängigkeit der einzelnen Weltbörsen voneinander eine internationale Ausdehnung des Verbots die Vorbedingung für eine derartige Wirkung. Ein auf einen einzelnen Staat beschränktes Verbot wird kaum irgend welche Wirkung äußern; die Bemühungen aber um die Erzielung einer internationalen Vereinbarung über diesen Punkt haben einstweilen geringe Aussicht auf Erfolg. Möglich wäre es, daß, wenn das Verbot eine Wirkung hervorriefe, diese Wirkung sich vor allem in einer Vergrößerung der Preisschwankungen äußern würde. Ein Modus der Kursfeststellung, welcher deutlicher als bisher die an den Börsenplätzen zu den angegebenen Preisen gehandelten Qualitäten und Mengen erkennen läßt, ist deshalb von Wichtigkeit, weil allerorten die Verkaufsabschlüsse auf Grund der Börsennotizen vollzogen zu werden pflegen.

Größern Erfolg verspricht vielleicht die in neuester Zeit in Angriff genommene genossenschaftliche Organisation des Getreideverkaufs. In Süddeutschland haben bestehende landwirtschaftliche Genossenschaften oder besonders gebildete Kornverkaufsgenossenschaften an geeigneten Bahnstationen mit staatlicher Unterstützung Getreidelagerhäuser errichtet. In Preußen sind durch Gesetz vom 3. Juni 1896 3 Mill. M. zur Errichtung staatlicher Getreidelagerhäuser (s. d.) bewilligt worden, die geeigneten größern Genossenschaften versuchsweise zur Verwaltung und zum Betriebe überlassen werden sollen. Diese Genossenschaften verfolgen den Zweck, den einzelnen Landwirt nach Möglichkeit aus der Abhängigkeit vom Zwischenhandel zu befreien und hierdurch, wie durch zweckmäßige und billige Lagerbehandlung und größere Konzentrierung des Angebots ihm eine vorteilhaftere Verwertung seiner Erntevorräte zu sichern. Durch Sammlung der kleinen Einzelvorräte eines größern Bezirks, sorgfältige Reinigung und Behandlung, Sortierung nach Qualitäten und Herstellung größerer Mengen gleichmäßiger Ware wollen sie dem Ernteprodukt der Genossen größere Marktfähigkeit und somit größere Konkurrenzfähigkeit gegenüber dem hierin bisher meist günstiger gestellten ausländischen Getreide verschaffen; eventuell könnten sie einen günstigen Einfluß auf den Anbau gewinnen in der Richtung, daß mehr die Herstellung bestimmter, gleichmäßiger, für den Absatz besonders geeigneter Sorten verfolgt würde. Dem einzelnen Landwirt würden sie die oft hohen Kosten eigener Lagerung und Lagerbehandlung zum großen Teil zu ersparen vermögen; vor allem aber würden sie die Möglichkeit einer Beleihung des lagernden Getreides gewähren, sei es, daß sie selbst aus eigenen Mitteln, sei es, daß andere Kreditinstitute genossenschaftlicher oder nichtgenossenschaftlicher Art Vorschüsse leisteten. Hierdurch wären die Landwirte in den Stand gesetzt, nach der Ernte ihr Betriebskapital zu ergänzen, ohne alsbald ihre Ernte ganz oder teilweise zu jedem Preis auf den Markt werfen zu müssen, wie es gegenwärtig vielfach der Fall ist. Wenn auch die staatlichen Behörden jetzt schon bemüht sind, ihren Bedarf an landwirtschaftlichen Produkten möglichst direkt, unter Umgehung des Zwischenhandels, bei den Produzenten selbst zu decken, so würde ihnen eine genossenschaftliche Verkaufsorganisation zum Vorteil der Produzenten diese Aufgabe wesentlich erleichtern können. In der Natur der Sache liegt es, daß diese Neueinrichtungen, wenn sie auch ebenso dem größern wie dem kleinern Besitz zur Verfügung gestellt werden, vorzugsweise den mittlern und kleinern Betrieben zu gute kommen. Im übrigen stellen sich diese neuen Organbildungen nur als eine weitere Fortbildung des seit einigen Jahrzehnten in lebhafter Entwicklung begriffenen landwirtschaftlichen Genossenschaftswesens dar, das auch sonst schon in letzter Zeit hier und da Absatzgenossenschaften für verschiedene Feldfrüchte gezeitigt hatte, wenn auch deren Zahl geringfügig geblieben war. Zu weit größerer Bedeutung dagegen sind bisher schon die Bezugsgenossenschaften gediehen. Vorzüglich organisiert, teilweise landwirtschaftlich zu Centralverkaufsgenossenschaften zusammengefaßt, verfolgen sie die Aufgabe, ihren Mitgliedern die für den landwirtschaftlichen Betrieb erforderlichen Rohstoffe, wie Düngemittel, Futtermittel und Sämereien, unter Garantie für die wertbestimmenden Bestandteile zu einem möglichst billigen Preise zu liefern, indem sie ihnen die Vorteile des direkten Einkaufs im großen verschaffen und auf solche Weise erhebliche Verminderung der Produktionskosten des Betriebes ermöglichen.

Indessen die größte Verbreitung erlangten die Spar- und Darlehnskassen, und nächst ihnen die Produktivgenossenschaften, vorzugsweise in der Gestalt von Genossenschaftsmolkereien. Jene Kreditvereine, in der Regel auf kleine Bezirke nach Raiffeisenschem Muster beschränkt und dadurch in ihrer Solidität gestärkt, sammeln Spareinlagen, um sie ausschließlich an ihre Mitglieder ohne hypothekarische Sicherheit lediglich nach Maßgabe ihrer persönlichen Kreditwürdigkeit, aber unter solidarischer unbeschränkter Haftung auszuleihen und ihnen so teils einen Kredit zur Verfügung zu stellen, der ihnen andernfalls völlig fehlen würde, teils die Inanspruchnahme des unsichern und teuern privaten Personalkredits zu ersparen, oder sie vollends vor wucherischer Ausbeutung zu bewahren. Centralgenossenschaften mit beschränkter Haftpflicht vermitteln vielfach den Kapitalsausgleich zwischen den einzelnen Genossenschaften eines größern Bezirks, indem sie die verfügbaren Kapitalsbestände der einen der kapitalbedürftigen andern zuführen. Die Kreditgenossenschaften verhalfen den modernen Wuchergesetzen, welche in Deutschland und in Österreich erlassen worden sind, zur vollen Wirkung. Die Genossenschaftsmolkereien bezwecken unter Verwertung der Vorzüge des Großbetriebes, ihren Mitgliedern die höchstmögliche Verwertung der Milch in verarbeitetem Zustande zu sichern. In den letzten Jahren haben sich sogar einzelne Molkereigenossenschaften ebenfalls zu Centralgenossenschaften vereinigt, die den gemeinschaftlichen Absatz der Butter vermitteln.