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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Agrarfrage (Mittel zur Abhilfe)

samkeit in dieser Richtung wesentlich durch die Verbindung mit der Einbürgerung der Lebens- und Ausstattungsversicherung, noch mehr, wenn Leibrenten oder wenigstens Amortisationsrenten an die Stelle von Kapitalabfindungen treten würden, da jene nur zeitlich begrenzte Leistungen enthalten und keine ewigen Lasten dem Betriebe aufbürden. (S. Anerbe.)

Da das bestehende Erbrecht nur eine Verschuldungsursache unter mehrern ist, so bedarf es, um den Übeln abzuhelfen, eventuell noch einer Beschränkung der freiwilligen Verschuldung. Diese konnte möglicherweise erstrebt werden durch das Mittel der Feststellung einer obern Verschuldungsgrenze, wie mehrfach vorgeschlagen wird. Eine solche kann indessen nur gezogen werden für die Immobiliarpfandverschuldung, nicht für die Verschuldung überhaupt. Bei der Bestimmung einer solchen Grenze ergiebt sich von vornherein die Schwierigkeit, den Ertragswert eines Gutes (denn nur der Ertrags- und nicht der Verkaufswert könnte die Grundlage abgeben) maßgebend zu bestimmen und, da eine mechanisch gezogene Grenze zu den größten Ungerechtigkeiten und Unzuträglichkeiten führen würde, die individuell zu bestimmende Grenze richtig zu finden. Abgesehen aber von diesen Schwierigkeiten, wird nicht ohne Grund befürchtet, daß jede feste Verschuldungsgrenze in Zukunft die Kreditfähigkeit des Landwirts allgemein schädigen, dadurch die gesunde Entwicklung des Betriebes benachteiligen und insbesondere im gegenwärtigen Zeitpunkte die latente Krisis zu einer akuten machen könnte. Irgend welche Beschränkung der Verschuldungsmöglichkeit würde daher ihre Bedeutung nur darin haben, daß sie einer weitern Ausdehnung der Verschuldung für die Zukunft vorbeugt, wenn zur Zeit die Verschuldung das gesunde Maß noch nicht überschritten hat. Einem zur Zeit schon überschuldeten Besitze vermag eine Schuldgrenzziehung nicht zu helfen. Ihn vermöchte lediglich eine teilweise Schuldentlastung vor dem Untergange zu bewahren. Der Versuch, eine solche Entlastung durch Amortisation in regelmäßiger Form herbeizuführen, ist in ungünstigen Zeiten wie den gegenwärtigen um so weniger ausführbar, je größer das Mißverhältnis zwischen der Größe des Einkommens und der Schuldenlast ist. Denn jede Amortisation fügt zunächst und für längere Zeit der bestehenden drückenden Zinsenlast eine neue Last hinzu. Unter diesen Umständen hat man in Österreich den Plan gefaßt, auf anderm Wege eine Entlastung zu erzielen. Es sollen die zu bildenden größern Zwangsberufsgenossenschaften bei allen in ihrem Bezirk vorkommenden Zwangsversteigerungen bis zu einer gewissen Wertgrenze mitbieten und die erstandenen Liegenschaften als sog. Rentengüter wieder ausgeben, und zwar in erster Linie an die frühern Besitzer selbst oder ihre Familie. Für das durch Ausgabe von Rentenbriefen beschaffte Erwerbs- und Meliorationskapital hätte der neu eingesetzte Besitzer eine entsprechende mäßige Amortisationsrente zu zahlen, und wäre ihm nicht nur eine über das Rentenkapital hinausgehende hypothekarische Verschuldung, soweit es sich nicht um Meliorationskapitalien handelt, verboten, sondern wären ihm auch im übrigen die weitestgehenden Verfügungsbeschränkungen auferlegt. Außerdem wurde allen Grundeigentümern die Möglichkeit gewährt, ihren derzeitigen Besitz behufs Umwandlung in ein Rentengut freiwillig der Genossenschaft anzutragen, welche im Falle der Überschuldung die gerichtliche Versteigerung veranlaßt.

Der österr. Entwurf hängt inhaltlich teilweise zusammen mit weiter ausgreifenden Ideen, die in jüngerer Zeit zur Erörterung gestellt wurden. Diese wollen die Kreditgewährung zu einem Monopol öffentlicher Korporationen oder Kreditanstalten machen. Sie allein sollen Pfandrechte am Boden und nur bis zu einer gewissen Wertgrenze erwerben können, ihnen allein auch für die Regel das Recht der Exekution in die Grundstücke des Schuldners zustehen. Hieraus ergab sich die Konsequenz, die ganze Kreditgebarung des einzelnen Landwirts der Genoßenschaftskontrolle zu unterstellen, so daß jede Kreditaufnahme der Genehmigung seitens der genossenschaftlichen Organe bedurfte. Verbunden wurde damit wohl die Forderung, daß in Zukunft der Besitzkredit, d. h. der durch Erbteilung und Ankäufe bedingte Kredit, völlig auszuschließen und nur der Meliorations- und Notkredit noch zuzulassen sei. Auf solche Weise entstünde eine Gebundenheit in moderner Form. Am weitesten ging das Verlangen, daß der Hypothekarkredit völlig beseitigt und lediglich der Personalkredit noch zugelassen, die vorhandenen Hypothekenschulden aber ohne Rücksicht auf ihren Ursprung sämtlich im Zwangswege gleich den grundherrlichen Lasten zur Ablösung gebracht würden. Selbst vor dem Vorschlage einer allgemeinen Verstaatlichung des ganzen Grund und Bodens und einer Umwandlung aller selbständigen Landwirte in staatliche Zeitpächter schreckte man auch auf dem Kontinent nicht zurück.

Andere Projekte gingen auf die Ermöglichung einer Umwandlung der Besitzungen in Erbgüter nach Art der Fideïkommisse aus. Es soll die Begründung von sog. Heimstätten gesetzlich gestattet werden, die bis zur Hälfte des Ertragswertes verschuldbar und unter Zustimmung der Ehefrau auch veräußerlich wären. Die Heimstätte soll unteilbar sein und auch bis zu der vorgeschrittenen Grenze nur mit behördlicher Genehmigung verschuldet werden dürfen. Da die Begründung der Heimstätten lediglich von dem freien Entschluß der Eigentümer abhängig gemacht wird, dürfte der Vorschlag ebenso wenig auf praktischen Erfolg zu rechnen haben wie die Versuche, die vor wenigen Jahrzehnten in Bayern und Hessen mit der Schaffung bäuerlicher Fideïkommisse gemacht worden sind.

Sieht man von diesen mehr oder minder weitgehenden, teilweise extremen und kritiklosen Maßregeln und Plänen ab, so ergiebt sich als eine Hauptaufgabe der gegenwärtigen Agrarpolitik, die Umwandlung der kündbaren und teuren Privathypotheken in unkündbare und zugleich billigere Anstaltskredite und der nicht amortisablen in amortisable in geeigneter Verbindung mit einer weitgehenden Schadenversicherung nach Möglichkeit zu fördern. Ferner empfiehlt es sich, neben der Kapitalsverschuldung die Form der Rentenschuld zuzulassen, die, wenn sie auch nicht geeignet ist, die Kapitalsschuld völlig zu ersetzen, so doch in vielen Fällen den Vorzug vor jener verdient. Ein solches Vorgehen würde die in der Grundverschuldung liegende Gefahr wesentlich abschwächen können. Dem gleichen Zwecke würde eine vorsichtige, aber nicht nach mechanischer Regel erfolgende Eindämmung der Grundverschuldung ohne Beschränkung des gesunden Meliorationskredits sowie eine planmäßige Förderung des Personal- und Mobiliarpfandkredits