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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Arbeiterwohnungen
*Arbeiterwohnungen. In Deutschland kann den Invaliditäts- und Altersversicherungsanstalten gestattet werden (Gesetz vom 22. Juni 1889, §. 129, Abs. 2), ein Viertel (nach der im Aug. 1896 veröffentlichten Novelle zum Gesetz vom 22. Juni 1889 die Hälfte) ihres Vermögens in Grundstücken oder auch in andern als mündelsichern Papieren anzulegen. Sie sind dadurch in die Lage versetzt, Bau und Verwaltung von A. in die Hand zu nehmen oder unter Einhaltung angemessener Beleihungsgrenzen Darlehen für A. zu gewähren.Hauptsächlich mit Hilfe dieser Darlehen zu billigem Zinsfuß bauen A. neuerdings vorzugsweise die als Genossenschaften mit beschränkter Haftpflicht zuerst in Hannover, dann in Göttingen, Berlin, Hamburg, Harburg und Altona begründeten Spar- und Bauvereine, deren weitere schon in Stettin, Danzig,Posen, Breslau, Görlitz, Magdeburg, Braunschweig entstanden sind. Dadurch, daß diese Vereine sich dazu eignen, die von ihnen errichteten Häuser in dauerndem Eigentum der Genossenschaft zu erhalten und die Wohnungen ihren Genossen unter Bedingungen zu vermieten, die beinahe ein Besitzrecht verleihen, ist es möglich geworden, auch im Innern der Städte billige A. zu erbauen. In Hannover waren bis Ende 1895 schon 45 Häuser mit 368 Wohnungen errichtet, die zum kleinern Teile entweder aus 1 Stube und 1 Kammer für 120 bis 155 M. jährliche Miete oder aus 2 Stuben und 2 Kammern für 240 bis 260 M. jährliche Miete, zum weitaus größern Teile aber aus 1 Stube und 2 Kammern für 160 bis 260 M. jährliche Miete bestehen. Zu jeder Wohnung gehört durchweg noch 1 Küche und das sog. Zubehör. Die Einlagen der Genossen verzinsen sich dabei zu 4 Proz. In Berlin ist ein Grundstück von 18 m Breite und 80 in Tiefe nur zur Hälfte (also um ein Sechstel weniger, als die Baupolizei gestattet) bebaut worden und zwar mit Wohnungen von Stube, Kammer, Küche und Zubehör zu 240 bis 300 M. und solchen von Stube, Küche und Zubehör zu 180 bis 240 M. Unter Zubehör wird hier Speisekammer, Abort, Keller- und Bodenverschlag verstanden. Der Spar- und Bauverein zu Hamburg hat schon 40 Häuser errichtet, deren Vorderwohnungen mit je 3 Stuben, Küche, Speisekammer, Abort, Vorplatz und Balkon zu 240 bis 300 M. und deren Hinterwohnungen, die eine Stube weniger enthalten, zu 190 bis 235 M. vermietet werden. 1 qm Grundfläche eines Vorderhauses, aus Keller, Erdgeschoß und 3 Obergeschossen oder aus Erdgeschoß und 4 Obergeschossen bestehend, hat 228 M. Baukosten, 1 qm Grundfläche eines Hinterhauses, aus Erdgeschoß und 2 Obergeschossen bestehend, hat 138 M. Baukosten erfordert, d. h. für 1 cbm Baukörper 15,10 M. Bei einem Herstellungspreise von 78,60 M. und einem Mietpreise von 5 M. für 1 qm Wohnungsgrundfläche ergiebt sich eine Verzinsung des Anlagekapitals zu 6 1/2 Proz., wovon auf Tilgung, Verwaltung und Unterhaltung 2 Proz. entfallen. Ähnliche Erfolge sind in Altona erzielt worden in drei viergeschossigen Häusern mit je 24 Wohnungen, die teils 2, teils 3 Stuben nebst Küche, Keller- und Bodenraum umfassen und zu 195 und 210 M. Miete abgegeben werden. Für 1 qm Wohnungsgrundfläche betragen hier die Baukosten 57,50 M. und der Mietpreis 4,26 M.; das Anlagekapital wird zu 5,3 Proz. verzinst.
Die Form der Genossenschaft bewährt sich aber auch für die Herstellung von Häusern, die in das Eigentum der Genossen übergehen sollen. Der Kredit-, Konsum- und Bauverein zu Harburg baut Doppelhäuser mit je einer Wohnung für 11000 M. und stellt den Mietpreis so, daß das Anlagekapital mit 6 Proz. verzinst wird. Allerdings legt in diesem Falle die Stadtgemeinde die Straße mit Gas- und Wasserleitung auf eigene Kosten an und stundet die Pflasterkosten der Baugenossenschaft 10-15 Jahre.
Den Spar- und Bauverein zu Wilhelmsburg hat die Erfahrung dazu gebracht, nur noch kleine Einzelhäuser zu bauen, welche Stube, Kammer, Küche im Erdgeschoß sowie Dachkammer und Keller enthalten und mit Garten verbunden sind. Diese Häuser können sowohl gemietet als auch erworben werden. Die Baukosten betragen bei einfachster Ausstattung 58-62 M., bei Einführung der Wasserleitung und Einbauung eines Windfangs 62-68 M. für 1 qm Hausgrundfläche. Bei einem Mietpreise von 228 und 261 bis 300 M. ergiebt sich dann eine Verzinsung des Anlagekapitals zu 6 Proz.
Wie stark die örtlichen Verhältnisse die Frage beeinflussen, wie groß ein zur Erwerbung geeignetes Haus sein darf, läßt die Kolonie Ostheim bei Stuttgart erkennen. Der Verein für das Wohl der arbeitenden Klassen hat dort Dreifamilienhäuser erbaut, von denen die kleinern gegen Ratenzahlungen in den Besitz der Bewohner übergehen können. Es verbleiben dann dem Besitzer immer zwei Wohnungen zum Vermieten. Ob das gerade für Arbeiter empfehlenswert ist, dürfte sonst in Deutschland meistens verneint werden. Um die Kolonie ihrem ursprünglichen Zwecke möglichst zu erhalten, wird der Besitzwechsel der Grundstücke durch Vorbehalt eines Rückkaufrechtes erschwert und die Erhöhung der Häuser sowie die Überbauung der Gärten von der Genehmigung des Vereins abhängig gemacht. 22 Proz. der Koloniebevölkerung gehören aber jetzt schon andern socialen Schichten an. Im übrigen zeigt sich auch hier wieder, daß mit der Errichtung von Häusern, die vom Arbeiter eigentümlich erworben werden sollen, vor die Stadt gegangen werden muß; innerhalb der Stadt kann es sich fast immer nur um die Errichtung von Mietshäusern handeln. Aber auch vor der Stadt werden niemals Mietswohnungen zu entbehren sein. Für die industriellen Arbeiter auf dem Lande liegt die Sache, im Falle nicht der Brotherr für Wohnungen sorgt, wie in den Vorstädten, nur pflegt der Drang nach einem eigenen Hause größer zu sein. Für die in der Landwirtschaft beschäftigten Arbeiter sucht jetzt die deutsche Landwirtschaftsgesellschaft bessere Wohnungsbedingungen durch die Empfehlung von in Wettbewerben gewonnenen Bauplänen zu schaffen.
Die Erbauung von A. wird besonders von den Invaliditäts- und Altersversicherungsanstalten Hannover, Schlesien, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Königreich Sachsen, Großherzogtum Hessen, Baden, Braunschweig und Württemberg unterstützt, und bis zum Ende des J. 1894 waren von ihnen schon 5741125 M. gewährt und weitere Beträge in Bereitschaft gestellt. Für Baugenossenschaften, die sich ausschließlich oder doch vorwiegend aus Beamten und Arbeitern der preuß. Staatseisenbahnen zusammensetzen, giebt die Eisenbahnpensionskasse Darlehen zu denselben Bedingungen. Wie in Harburg, kommen dazu noch zuweilen Beihilfen seitens der Stadtgemeinden, so in Danzig, Elberfeld, Essen, Frankfurt a. M., Freiburg i. Br., Hamburg u. s. w. durch Überlassung von