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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Deutsche Litteratur
Für das Drama wurde zuerst eine realistischere Inscenierung angestrebt durch die Musteraufführungen der Opern N. Wagners in Bayreuth, die Vorstellungen der Meininger Hofschauspieler und des Deutschen Theaters in Berlin, was weiterhin ein Streben nach realistischeren Spiel zur Folge hatte. Von einschneidender Bedeutung für die dramat. Produktion wurde das Vorbild des Norwegers Ibsen, dessen die Alltagssprache kopierende Dialogführung, dessen Frauentypen, dessen Probleme und dessen Art, das Drama mit einem Fragezeichen abzuschließen, in gleicher Weise aufgegriffen wurden. Einflüsse Ibsens, des Zolaschen Romans und wohl auch Tolstojs kreuzen sich in G. Hauptmanns Erstlingsdrama "Vor Sonnenaufgang", dessen Aufführung auf der durch O. Brahm geleiteten Freien Bühne in Berlin (1889) einen Abschnitt in der Entwicklung des modernen Dramas bedeutete. In den spätern Dramen hat Hauptmann sich von diesen Einflüssen mehr und mehr frei gemacht, ohne sein von Anfangs an reiches Können in Bezug auf sein nuancierte Seelenschilderungen zu verleugnen. Einen lyrischen Charakter tragen die in der Mischung realistischer Milieuzeichnung und phantastischer Traumbilder eigenartig reizvollen Dramen "Hannele" (1894) und "Die versunkene Glocken (1896), während die "Weber" (1892) und mehr noch "Florian Geyer" (1895) episch zerfließen und sich in einer Reihe scenischer Bilder auflösen. Mehr dramat. Rückgrat zeigen die im übrigen gröber gearbeiteten Dramen des für schneidende Satire besonders talentierten Andermann, von denen "Die Ehre" (1889), "Sodoms Ende" (1890), "Heimat" (1891) eine aufsteigende Bahn bezeichnen. Wie Hauptmann mit Vorliebe in seine schles. Heimat führt, so bewegt sich Max Halbe mit Glück auf westpreuß.-poln. Boden. Er trug nach unsichern Ansätzen einen ersten Erfolg mit dem Trauerspiel "Eisgang" davon, das westpreuß. ländliche Verhältnisse vorführt, einen größern zweiten mit dem trotz mangelnden scenischen Geschicks durch frisches Leben und glückliche Charakteristik wirksamen Liebesdrama "Jugend"; seine neueste Schöpfung "Lebenswende", die auf Berliner Boden spielt und sich Hartlebens socialem Drama "Hanna Jagert" anreiht, ist eher ein Rück- als ein Fortschritt.
Dem realistischen Zuge haben sich übrigens auch ältere Dramatiker nicht entzogen, so Wildenbruch, der sowohl in seinen märk. Dramen seit den "Quitzows" (1888) den Dialekt verwertet, als auch in der "Haubenlerche" (1890) einen Stoff aus dem modernen Leben gestaltet hat, in seinen neuesten Dramen "Heinrich und Heinrichs Geschlecht" (1896) aber wieder auf den frühern Boden zurückgekehrt ist, oder Rich. Voß, der seine Dramen mit sensationellen Ereignissen überfüllt ("Alexandra", 1886; "Eva", 1889; "Schuldig", 1890 u. a.). Andere, wie Philippi, schwanken zwischen der Technik L'Arronges und Lubliners und der Sudermanns. Das alte Salonstück hat neuerdings in L. Fulda einen begabten Vertreter gefunden, der auch als kongenialer Übersetzer Molières und Verfasser graziös versifizierter satirischer Märchenspiele ("Der Talisman" und "Der Sohn des Chalifen") Bühnenerfolge erzielte. Andere Versuche, Dramen im Märchenstil zu dichten, sind minder glücklich ausgefallen.
Einen Überblick über die modernen Bestrebungen auf dem Gebiete der Litteratur geben unter anderm folgende Werke:
1) Darstellungen. Für die gesamte Litteratur: H. Bahr, Studien zur Kritik der Moderne (Frankf. a. M. 1894); Eugen Wolff, Geschichte der D. L. in der Gegenwart (Lpz. 1896). Für das Drama: B. Litzmann, Das deutsche Drama in den litterar. Bewegungen der Gegenwart (3. Aufl., Hamb. und Lpz. 1896). Für die Lyrik: Alfred Biese, Lyrische Dichtung und neuere deutsche Lyriker (Berl. 1896).
2) Sammlungen. Deutsche Lyrik der Gegenwart seit 1850. Eine Anthologie mit biogr. und bibliogr. Notizen, hg. von Ferd. Avenarius (2. Aufl., Dresd. 1884); Moderne Dichtercharaktere, hg. von Arendt (Berl. 1885; 2. Aufl. u. d. T. Jungdeutschland, Lpz. 1886); G. Dahms, Germania. Deutsche Dichter der Gegenwart. Bild und Wort (Berl. 1891); Cottascher Musenalmanach (für das J. 1891 und folgende, hg. von O. Braun, Stuttgart); Deutsche Lyrik von 1891, gesammelt und hg. von C. G. Bruno, Felix Montanus, Franz Servaes (ebd. 1892); Moderne Lyrik. Eine Sammlung zeitgenössischer Dichtungen, hg. von Leo Berg und Wilh. Lilienthal (Berl. 1892); Moderner Musenalmanach auf das J. 1893 (2. Jahrg., 1894), hg. von O. I. Bierbaum (München); Neuere deutsche Lyrik. Ausgewählt und hg. von Karl Busse (mit Einleitung, Halle a. S. 1895); Deutsche Lyrik von Heute und Morgen. Mit einer geschichtlichen Einleitung hg. von Alex. Tille (Lpz. 1896).
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Zeittafel der Deutschen Litteratur.
Um 100. Tacitus berichtet in der "Germania" und sonst über deutsche Dichtung.
341. Wulfila, der Verfasser der got. Bibelübersetzung, wird Bischof der Westgoten († 381).
350-600. Entstehung der Heldensage unter den Eindrücken der Völkerwanderung (374 Ermanrich †; 437 Niederlage und Tod des Burgundenkönigs Günther: 453 Attila †; 493 übergiebt Odoaker Ravenna an den Ostgoten Theoderich; 520 Raubzug des Dänen Chochilaich; 526 Theoderichs Tod; um 530 Niederlage Irminfrieds von Thüringen durch die Franken).
Seit 770 Bemühungen Karls d. Gr. um die Schulbildung.
Um 789. Der Weißenburger Katechismus. Karl d. Gr. veranlaßt die Anfänge deutscher geistlicher Prosa.
Um 800. "Muspilli". Aufzeichnung des "Hildebrandliedes". Isidorübersetzung.
804-847. Hrabanus Maurus Schulmeister und Abt in Fulda. Tatianübersetzung.
Um 810. "Wessobrunner Gebet".
Um 825. "Heliand" und "Altsächs. Genesis".
Um 870. Otfrieds "Evangelienharmonie".
881/82. Das "Ludwigslied" aus die Schlacht bei Saucourt.
912. Notker I. Balbulus, der St. Gallische Sequenzendichter †.
Um 925. Eckehart I., "Waltharius".
Um 965. Die lat. Dramen der Roswitha von Gandersheim.
1022. Notker Labeo der Deutsche in St. Gallen †.
Um 1025. Das lat. Epos "Ruodlieb".
Um 1050. Notkers "Memento mori". "Merigarto".
Um 1060. Der geistliche Lyriker Ezzo in Bamberg. Willirams († 1085) Paraphrase des Hohenliedes.
Um 1070. Wiener gereimte Genesisübersetzung.
Um 1110. "Annolied".
Um 1125. Lamprechts "Alexander". Mittelfränkisches poet. Legendär.
1127. Die geistliche Dichterin Frau Ava †.
Um 1130. "Rolandslied" des Pfaffen Konrad.
1146-48. Das lat. Tierepos "Isengrimus" des Magister Nivardus.
Um 1150. "Kaiserchronik".
Um 1160. Tegernseer "Ludus de Antichristo". Heinrich von Melk, der Dichter der "Erinnerung".
Um 1162. Der Archipoet ("Meum est propositum").
Um 1170. Eilhart von Oberge, "Tristan". Der Kürenberger. "Graf Rudolf".
Um 1175. Des Anonymus Spervogel Sprüche. Heinrich der Glichezare, "Reinhart Fuchs".
Um 1180. "Herzog Ernst". Friedrich von Hausen.
1184. Ein Hoffest zu Mainz konzentriert die Berührungen deutscher und franz. Dichtung. Heinrich von Veldeke, "Eneit".
Um 1185. Heinrich von Morungen. Reinmar der Alte.
Um 1188-1228 dichtet Walther von der Vogelweide.