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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Handwerkerfrage (Centralstellen für Gewerbe. Neueste Organisationspläne)
17, 1895:17, 1896: 21. Auch in ihncn stecken Ver-
bindungen, die zum Teil entfernter liegende Zwecke
verfolgen, wie die Schlächter- und Tienstmanncr-
vereine. Bei den erstern ist der Zweck die gemein-
schaftliche Beschaffung von Scklachtstätten für Groß- !
vieh, weniger der Ankauf von Geräten, Maschinen
n. dgl. Die letztern wiederum beabsichtigen ibre,
Mitglieder von den Dienstmannsinstituten frei zu !
macken, die gewöbnlich nur gegen überhöbe Miete !
die Gerätschaften, als Wagen, Seile, Mützen u. s. w., z
zilr Verfügung stellen.
Es geht aus solcher Statistik hervor, dah das
Handwerk bisher nocb reckt wenig Sinn für Ge-
nossenschaften gezeigt hat. Die Gründe dafür liegen
in der Scbwierigteit der Sache selbst. Tie Genossen-
schaft verlangt Hintansetzung der Sonderinteressen
und Hingebung an ein allgemeines Interesse. Diese
Eigenschaften geben den Kleinmeistern zunächst noch
ab. In ihnen berrscht noch ein zu großes Selb-
ständigkeitsgefübl, das sie davon abbält, sich unter
die Vorschriften anderer zu fügen. Bei den Rob-
stoffgenossensckaften zeigen sich bei der Durcbfübrung
groß^ Sckwicrigteiten in der gerechten Verteilung
des Stoffes und in der Wabl der Persönlickteit des
Lagerhalters. Sie werden vorzugsweise nur beiden
Gewerben vorteilhaft, wo die Robstoffe einen erbeb-
lichen Teil des Wertes der spätern Erzeugnisse bil-
den; da verspricht eben der Bezug im großen Ge-
winn. Die Magazingenossenschaften wiederum find
für alle Gewerbe, die Waren von geringem Umfange
herstellen, von vornberein bedeutungslos. Die
zweckmäßigste Organisation zu finden ist nicht ganz
lcicbt, und die Wabl des Verwalters muß mit Be-
dacht geschehen. Denn ein sachverständiger Hand-
werksmann versiebt nicht immer den Verkauf und
die Buchführung ausreichend, und ein kaufmännisch
Gebildeter beherrscht wiederum die tecbnisebe Seite
nicht vollkommen. Produktivassociationen, die scbon
Schulze-Delitzsck als die höckste Stufe oder den
Scklußstein des genossenschaftlichen Systems bin-
stellt, sind erst recbt schwer ins Leben zu rufen. Ver-
hältnismäßig am leichtesten scheinen die Werkge-
nossenfckaften sich organisieren zu lassen, obwohl
gerade sie erst selten versucht sind. Scbon in Ge-
stalt eines Konsumvereins, von dem auf gemein-
schaftliche Rechnung Kleinmotoren und Werkzeuge
bezogen und zu Einkaufspreisen mit geringem Zu-
schlag an die Mitglieder abgegeben werden, können
sie gut wirken. Das Maß persönlicher Vorteile für
den Einzelnen ist sehr groß, obne viele Schwierig-
keiten leicht bestimmbar und von Aufopferung von
feiten der Genossen wenig oder gar nickt die Rede.
^ Daß man mit der Zeit hoffen darf, alle diese
Schwierigkeiten überwinden zu können, wird man
nickt bestreiten. Wenn jetzt der gute Wille allent-
halben bei der Ausführung noch mit großer Sckwäche
aepaart ist, so hat man doch nicht nötig, am Erfolge
zu verzweifeln. Vielleicht dürfte auch eine Verkaufs-
genossenschaft, wie sie die Wiener Handwerker am
1l>. Okt. 1895 eröffnet haben, Anklang finden. Väb-
rend sonst nur Gewerbetreibende desselben Berufen
sick vereinigt batten, baben nun 50 Meister der ver-
schiedensten Handwerkszweige eine geineinsame Ans-
stellungs- und Vcrkaufsballe eröffnet, um so den
Bazaren mit der Mannigfaltigkeit ibrer Waren am
besten das Gegengewicht halten zu können.
Zentralstellen für Gewerbe. Eine dritte Reform-
maßregel bestünde endlich darin, daß man in allen
deutscken Staaten, in Prensicn etwa nach Provinzen,
Vrockhaus' Konversatimls^l'l'itun. l4. Aufl.. XVII.
staatlicke Mittelpunkte zur Beförderung des gewerb-
lichen Bebens begründete. Veranstaltungen, wie die
Centralstellc für Gewerbe in Württemberg, die Lan-
desgewerbeballe in Karlsruhe, der Landesgewerbe-
verein in Hessen-Darmstadt, müßten auch in andern
Staaten gesckasfen werden. Es mühte in jedem
Lande eine Stätte geben, von der aus wirtschaftlicher
und gewerblicher Beirat den Handwerkern erteilt
werden könnte, die über gewisse Mittel verfügte,
um Lcbrturse, Fachschulen u. dgl. m. begründen zu
können, die gesetzgeberische Maßregeln vorzubereiten
im stände wäre, ausgerüstet mit der ganzen Sach-
und Fackkenntnis, wie sie für solche Zwecke erforder-
lich ist. Dann könnten am besten in der eingangs an-
gedeuteten Weise je nach dem Bedürfnis des betref-
fenden Bezirks oder Gewerbszweigs die entsprechen-
den Maßregeln ergriffen werden. Von diefem
Mittelpunkte aus könnte überall hin technisch-wirt-
sckaftlicke Aufklärung sich verbreiten. Handelt es
sich um endgültige Feststellung der Zweckmäßigkeit
einer angeregten technischen Verbe^erung, so wird
die Centralstelle mit der Kenntnis des Verfahrens
dem Gewerbetreibenden zu Hilfe kommen. In wirt-
schaftlicher Hinsicht kann es vielleicht auf die Anre-
gung zur Verarbeitung vorbandener, aber noch nicht
ausgenutzter Rohstoffe ankommen. Oder es muß
bestehenden Gewerbszweigen derart kräftig unter die
Arme gegriffen werden, daß sie einen Grad von
Vollkommenbeit erreichen, der sie befähigt, jeden
Wettbewerb im Inlande auszuhalten und unter
Umständen sogar auf dem Weltmarkte zu erscheinen.
Neueste Organisationspläne. Weit entfernt, auf
den angedeuteten drei Wegen die Rettung des Hand-
werts zu versuchen, sckeint man in Prenßen und im
Reich den Wünschen der Handwerker nackgeben zu
wollen und die Abhilfe lediglich in einer die ältere
^unftverfassung wieder ziemlick unverändert her-
stellenden Innungsorganisation der Handwerker zu
finden. Am 18. Aug. 18W veröffentlichte der preusi.
Minister für Handel und Gewerbe einen Entwurf
betreffend die Organisation des Handwerks und die
Regelung des Lehrlingswesens. Er gipfelte einer-
seits in der Bildung von Fachgenossenschaften und
Handwerkerkammern, andererseits in Einführung
einer ordnungsmäßigen Lehrzeit, einer Gesellenprü-
fung, und in Beschränkungen im Halten voll Lehr-
lingen. Dieser Entwurf fand keineswegs überall
Anklang und wurde daher 1895 in einer neuen Ver-
arbeitung der obenerwähnten Konferenz vom ^7. bis
:N. Juli 1895 in Berlin zur Begutachtung vorge-
legt. Die zweite Vorlage beruhte nach wie vor auf
dem Grundsatze der Zwangsgenossenschaft, ließ aber
diese Bezeichnung fallen und sprach von Innungen
und Innungsausschüssen. Die Einrichtung der
Innungen war ganz den Grundsätzen angepaßt, die
schon jetzt in der Gewerbeordnung vorgesehen sind.
übrigens sollten diesen Innungen die Handwerker,
die in der Regel ohne Hilfskräfte arbeiten, nicht sich
! anzufcklieftcn veranlaßt werden.
! An diese mehr unverbindlichen Entwürfe zur
^ Handwerksorganisation hat sich 1896 ein von Preu-
ßen vorgelegter Entwurf eines Gesetzes zur Abän-
derung der Gewerbeordnung angeschlossen. Er
wurde im Aug. 1896 im "Reichsanzeiger" veröffent-
licht und ist dazu ausersehen, wenn Bundesrat und
Reichstag ihn gutgeheißen haben, all die Stelle der
jetzigen §K. 82-1W der Gewerbeordnung zu treten.
Dieser Entwurf bringt eine Gliederung des Hand-
werks in Innungen, Handwerksausschüssen und
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