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Illustrierte Kunstgeschichte

Johannes Emmer, Deutsche Volksbibliothek A.-G., Berlin, ohne Jahr [1901]

Schlagworte auf dieser Seite: Die hellenische Kunst

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Die hellenische Kunst.

Nicht einseitige kleinliche Naturnachahmung, sondern eine freie Nachbildung war maßgebend.

Jonischer (Insel-)Stil. Dadurch unterscheiden sich ihre Werke vorteilhaft von den obenerwähnten der Inselkünstler, welche viel mehr Wert auf Einzelheiten legen und in diesen ihre, allerdings hohe Kunstfertigkeit kundzugeben suchen. Man ersieht dies namentlich an den bekleideten Figuren in der Behandlung der Gewandung, die, an und für sich betrachtet, meisterhaft ist. Das ganze Werk erscheint infolgedessen zwar von zierlicher Pracht - das Schmuckhafte tritt in den Vordergrund -, aber es fehlt die Kraft und der geistige Ausdruck. Dagegen waren die Inselkünstler ein wenig voraus in der Durchbildung der Köpfe, welche bei den Peloponnesiern die schwächsten Teile sind.

Attischer Stil. Die männliche Kraft der peloponnesischen Kunst mußte auch auf die Athener Eindruck machen; äginetische Meister arbeiteten ja auch für die Akropolis. Dem Weibisch-Weichlichen, der Zierlichkeit und auf schmuckhafte Gefälligkeit ausgehenden Formkünstelei der jonischen Stilrichtung stand die dorische mit ihrer etwas herben und scharfen Einfachheit gegenüber. Es ist das Verdienst der athenischen Kunst, daß sie aus den beiden Richtungen das Gute herausholte und - nicht blos einseitig nachahmend, sondern den Anregungen nur folgend - zu einem selbständigen - attischen - Stile verarbeitete. (Attika ist der Name der Gaulandschaft, deren Hauptstadt Athen war.) Nach der siegreichen Beendigung des Kampfes mit den Persern nahm das ganze geistige Leben auf dem griechischen Festlande einen ungeheuren Aufschwung, und Athen stand an der Spitze, natürlich auch auf dem Felde der Kunst.

Meister des ersten Zeitraums. Die oben erwähnte Verbindung der beiden Richtungen gab schon in den Werken einiger Künstler sich kund, die in den ersten Jahrzehnten des 5. Jahrhunderts thätig waren und als Vorläufer der großen Meister des Perikleischen Zeitalters erscheinen. Als solche werden vor allem Kalamis und Pythagoras (aus Rhegion) genannt, von denen zwar keine Werke erhalten blieben, deren Wirken aber nach den Berichten und aus wahrscheinlichen Nachbildungen beurteilt werden kann. Verschiedene auf uns gekommene Standbilder, aus dieser Zeit lassen noch deutlicher den Stand der Kunstübung während dieses Ueberganges erkennen. Nicht ohne Einfluß auf die Bildnerei blieb auch die hohe Entwicklung der Malerei, die sich an den Namen Polygnots knüpft. Die freie Durchbildung der Formen, die Beseelung und das edle Maß in der Bewegung, welche die Werke des Malers auszeichneten, mußte auch die Bildhauer zur Nacheiferung anspornen.

^[Abb.: Fig. 106. Wettkämpfer. Aus der Schule Myrons.

München, Glyptothek. (Nach Photographie von Bruckmann.)]