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Illustrierte Kunstgeschichte

Johannes Emmer, Deutsche Volksbibliothek A.-G., Berlin, ohne Jahr [1901]

Schlagworte auf dieser Seite: Germanische Kunst

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Germanische Kunst.

bedingungen der germanischen Hoch-Kunst hat er geschaffen. - Das karolingische Zeitalter bis zu Beginn des 10. Jahrhunderts - ist für die germanische Kunst eine Uebergangszeit, richtiger gesagt, eine Schulzeit, in welcher sie, noch der Freiheit und vollen Selbständigkeit entbehrend, Fremdes aufnehmen und im eigenen Geiste arbeiten lernt. Karl der Große hatte in Italien die Denkmale der antiken und der altchristlichen Kunst aus der früheren besseren Zeit kennen und bewundern gelernt. Daß letztere Kunst seinem Empfinden näher stand, ist bei dem "Christen"-Kaiser begreiflich, und auf sie wies er daher seine Leute hin. Die Bauten in Ravenna, das ja auch unter einem germanischen Herrscher, dem Goten Theodorich, eine Pflegestätte der Kunst gewesen war, scheinen besonderen Eindruck auf Karl gemacht zu haben, denn für die Hofkirche zu Aachen, dem ersten germanischen Prachtbau, dienten sie als Vorbild. Mehr Verbreitung als die ravennatische Rundbauanlage fand jedoch die Basilikaform, die dem gottesdienstlichen Zwecke mehr entsprach.

Die eine wie die andere wurde aber von den germanischen Baumeistern ziemlich selbständig behandelt, und wenn auch manche Unvollkommenheit mit unterlief, so zeigt sich doch eine lebendige Fortentwicklung der übernommenen Grundlage im neuen Geiste.

In Aachen, das Karl zu seinem Lieblingssitz erkoren hatte, entstand auch ein prächtiger kaiserlicher Palast, und ähnliche "Pfalzen" ließ er an allen Orten bauen, wo er Hof zu halten pflegte. Sie wurden auch reichlich mit Wandmalereien geschmückt, die allerdings verloren sind, in den alten Beschreibungen aber hoch gerühmt werden. Selbst an Versuchen in der Bildnerei fehlte es nicht, wie ein kleines Reiterbildnis aus Erz beweist, welches wahrscheinlich Karl selbst darstellt.

Die Kunst im 9. und 10. Jahrhundert. Die Anregungen, welche Karl gegeben hatte, wirkten unter seinen Nachfolgern fort. Im Laufe des 9. und 10. Jahrhunderts entstanden weitere Kirchen- und Palastbauten, und in den Klöstern wurde die Miniaturmalerei und Elfenbeinschnitzerei lebhaft gepflegt. In diesen Arbeiten spricht sich der germanische Kunstgeist dieser Zeit am besten aus und läßt sich auch die fortschreitende Entwicklung erkennen. Dies gilt namentlich von den Ziermustern der Miniaturen, die sich durch Schönheit der Zeichnung und Farbe auszeichnen und ein feines Gefühl für edle Formen verraten. In der Darstellung der Gestalten sind die Künstler allerdings noch unselbständig, aber die meisten erweisen sich doch geschickt in der

^[Abb.: Fig. 232. Eingangshalle des Klosters Lorsch.]

^[Abb.: Fig. 233. Kleines bronzenes Reiterstandbild Karls des Großen.

Paris, Museum Carnavalet.]