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Illustrierte Kunstgeschichte

Johannes Emmer, Deutsche Volksbibliothek A.-G., Berlin, ohne Jahr [1901]

Schlagworte auf dieser Seite: Germanische Kunst

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Germanische Kunst.

Säulen oder Pfeilern, von deren Kapitäl sie aufstiegen. Dann begann man die Pfeiler, nach Anzahl der von ihnen aufsteigenden Bogen, mit Halbsäulen zu umkleiden und zwar so, daß den kräftigeren Hauptbogen stärkere, den leichteren Nebenbogen schwächere Halbsäulen entsprachen. Es entstand so ein Gebilde, welches Aehnlichkeit mit den zusammengesetzten romanischen Pfeilern hatte. Diese Halbsäulen, welche den zugehörigen Gewölbegurten und Rippen als Stützen dienten, erhielten einen eigenen Namen; man nannte sie "Dienste" und zwar die stärkeren "alte", die schwächeren "junge" Dienste. Zwischen den Diensten blieb der Pfeiler sichtbar, was bald als Störung empfunden wurde, da ja seine Rolle in der Baufügung zu einer ganz untergeordneten wurde; er sollte nur den Diensten Zusammenhang geben. Deshalb suchte man ihn durch Aushöhlungen verschwinden zu machen, so daß der Umriß des Pfeilerquerschnittes schließlich von einer in kleinen Halbkreisen nach innen und außen schwingenden Linie gebildet wurde. Bei der Abneigung der Baukünstler gegen schroffe Uebergänge schien es notwendig, den Stützen, anstatt diese gleich aus dem Boden wachsen zu lassen, ein vermittelndes Glied als Basis zu geben. Diese Basis bestand zumeist aus einer über Eck gestellten quadratischen Platte mit abgestumpften Ecken, von welcher sich die alten Dienste erhoben, während die jungen etwas höher begannen und zwar mit eigenen kleinen Basen von runder oder vieleckiger Form.

Kapitäl. Die Stelle des Ueberganges der senkrecht aufstrebenden Stütze in den Bogen erhielt eine leichte kelchförmige Anschwellung: das Kapitäl. Dieses diente nur als Schmuckteil und sollte gleichsam dem Auge einen Ruhepunkt geben, ehe es dem Bogenschwunge folgte. Die Umkleidung mit Blattwerk ist nur eine ganz lose und spärliche, so daß meist die Kelchform durchscheint. Eine schwache Platte unter dem Kapitäl und eine stärkere, meist vieleckige darüber, unterbrechen die senkrechten Linien nur leicht.

Gliederung der Bogen. Die Bogen bleiben nicht wie im romanischen Stil glatt, sondern erhalten durch den Wechsel von Halbrundstäben und Hohlkehlen eine reichere Gliederung; sie bilden also in der Form nicht eine einfache Fortsetzung ihrer Dienste, sondern lösen diese in gleichlaufende Rundstäbe auf. Dadurch wird nicht allein größere Leichtigkeit erzielt, sondern auch durch die vielen nebeneinander laufenden Linien der Eindruck des Emporstrebens erhöht. Der Querschnitt der Rippen wurde meist nach vorn ausgezogen, etwa herzförmig gebildet.

Die Wölbung. Die Wölbung beruht durchweg auf den Spitzbogen. Der Druck, welcher sich beim Rundbogen zum Teil in einen starken Seitenschub umwandelt, wirkt mehr auf die Pfeiler und vermindert den Seitenschub beträchtlich. (Dieser wird durch die Strebebogen wieder auf die Strebepfeiler übertragen.)

Wie schon oben gesagt, bilden die Pfeiler mit den Quer- und Längengurten, den Rippen, ein Gerüst, welches fähig ist, die ganze Gebäudelast zu tragen. Die Mauern werden nur als Füllungen benutzt und können mit der größten Freiheit durchbrochen werden, ohne die Bausicherheit zu gefährden.

Die Fenster. Von dieser Freiheit wird bei der Anlage der Fenster weitgehender Gebrauch gemacht, so daß bei manchen Großkirchen die ganzen Seitenwände in Fenster aufgelöst erscheinen. Das Bedürfnis nach großen Lichtöffnungen war im Norden schon zur

^[Abb.: Fig. 285. Thür aus dem Hofe des Hotel Cluny.]