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Illustrierte Kunstgeschichte

Johannes Emmer, Deutsche Volksbibliothek A.-G., Berlin, ohne Jahr [1901]

Schlagworte auf dieser Seite: Germanische Kunst

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Germanische Kunst.

schon bei einzelnen Bauten im 13. Jahrhundert angewandt und Gewölbe aus Holz anstatt aus Stein gebildet; dies leitete zu dem Versuche, das Gewölbe durch ein künstliches Hängewerk aus Holz zu ersetzen, welches ganz malerisch wirkte und daher dem englischen Geschmacke entsprach. Dann aber ahmte man die Erscheinung desselben wieder in Stein nach und kam so zur Bildung der eigenartigen krausen Fächergewölbe, oft mit freischwebenden Schlußsteinen, nicht unähnlich den arabischen Stalaktitengewölben; ferner gab die beliebt gewordene Anlage riesig großer Fenster den Anstoß zur Umbildung des Maßwerks durch Einfügung geradliniger Pfosten und Querstäbe, die zur Stütze notwendig wurden; und weiterhin gab man überhaupt die Wellenlinien auf und fügte das ganze Maßwerk aus rechtwinklig verschlungenen, geradlinigen Stäben. Dies führte nun wieder zu einer Abänderung des Spitzbogens; schon bei dem "verzierten Stil" hatte man den Lanzettbogen durch den stumpfen Spitzbogen ersetzt und auch den geschweiften Bogen angewendet. Nun führte man einen flachen und breiten Bogen ein, welcher bezeichnend für die spätenglische Gotik ist und Tudorbogen genannt wird. Diese Veränderungen sind die wesentlichsten Eigenheiten jener Richtung, für welche der Name englischer "Perpendikularstil" (Pendelstil) üblich ist. Sie wurde seit 1390 herrschend; ihre völlige Ausbildung geht auf den Meister Wilhelm v. Wykeham zurück, der später Bischof von Winchester wurde. Als Baumeister des Königs, dann als Bischof selbst Bauherr, führte er eine Reihe von Werken aus, unter welchen die Hauptkirche von Winchester das bedeutendste ist.

Weitere bedeutsame Schöpfungen dieses Stiles sind das Langhaus der Hauptkirche von Canterbury, dann jene von Gloucester, die Halle im Schloß Westminster und die Georgskapelle in Schloß Windsor.

Ebenso wie in den Niederlanden hat auch in England der gotische Stil in den weltlichen Bauten ganz hervorragend sich entfaltet. Dort sind es namentlich die Rathäuser und Kaufhallen, hier jedoch die Schlösser des Adels, in welchen die Baukunst dieser Zeit und Richtung sich beteiligte. Der normannische Adel, welcher als Eroberer ins Land gekommen war, hatte in dem vorigen Zeitraum allenthalben feste Zwingburgen errichtet; nun aber war seine Herrschaft gesichert, und man brauchte nicht mehr alles Gewicht auf

^[Abb.: Fig. 293. Schloß Windsor mit der Kapelle.]