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Illustrierte Kunstgeschichte

Johannes Emmer, Deutsche Volksbibliothek A.-G., Berlin, ohne Jahr [1901]

Schlagworte auf dieser Seite: Germanische Kunst

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Germanische Kunst.

die Wehrhaftigkeit zu legen, welche die Eigenart des normannisch-romanischen Burgbaues kennzeichnet. Wohl erscheinen auch jetzt noch die Schlösser als Vesten, doch tritt schon mehr ihre Eigenschaft als Herrensitz hervor, der stattlich im Aeußeren und wohnlich im Innern, mit seinen weiten Hallen als Festräumen und mit den Zierformen an Thoren, Fenstern, Türmen und Giebeln, kurz durch die Pracht des Besitzers Macht kundthun soll. Das Schloß Windsor (mit der St. Georgskapelle), welches König Eduard III. (um 1350) umbauen ließ (der oben erwähnte William war dabei beschäftigt), zeigt die Art des englischen Schloßbaustiles in schöner Weise. (Fig. 294.)

Spanien und Portugal. Der Einfluß der französischen Gotik erstreckte sich nicht nur nordwärts, auch die pyrenäische Halbinsel unterlag ihm. Diese hatte den romanischen Stil von Südfrankreich übernommen und mit Hinzufügung arabischer Formen eigentümlich ausgebildet; diesmal aber wird nicht die südfranzösische Auffassung, sondern die nordfranzösische maßgebend. Die Hauptkirche von Burgos (1221 gegründet), welche als erster gotischer Bau erscheint, ist ganz nach nordfranzösischem Muster angelegt (die Stirnseite wurde jedoch erst 1442-56 von einem deutschen Meister, Hans von Köln, ausgebaut); das Gleiche ist der Fall bei den Hauptkirchen von Toledo (1227 begonnen), die bereits ein spanischer Meister baut, und von Leon. Bald erfolgte jedoch auch hier eine der Landesart entsprechende Ausbildung des Stiles. Die südländische Vorliebe für weite Räume macht sich geltend, sie werden daher mehr breit als hoch angelegt, die wagerechten Linien werden deshalb auch nicht in dem Maße zurückgedrängt, wie in der Hochgotik; das geringere Lichtbedürfnis in dem sonnenhellen Lande führt zur Verkleinerung der Fenster, wodurch wieder die Mauern massiger werden, schließlich nimmt man noch von den Arabern die Kuppel herüber und überwölbt mit einer solchen die Vierung des Kreuzschiffes. Wird im Allgemeinen der Grundplan einfacher angeordnet, die Baufügung minder kühn und luftig, so gestaltet man dagegen das Zierwerk des Aeußeren ungemein prunkvoll, fast bis zur Uebertreibung in seiner verwirrenden, krausen Formen-Mannigfaltigkeit. Diese Bauten stimmen ganz zu der spanisch-portugiesischen Volkseigenart; ernster Stolz, vornehme Würde und Prachtliebe prägen sich darin aus. Die Gotik der pyrenäischen Halbinsel entspricht daher vorwiegend der spätgotischen Richtung des Nordens, augenfälligste Eigenheit ist der Schmuckreichtum. Die hervorragendsten Werke des eigen-spanischen Stiles sind die Hauptkirchen von Barcelona (seit 1298), Valencia (seit 1262), Gerona, Sevilla (seit 1403) und die Kirche San Juan in Toledo (1476 begonnen). Noch im 16. Jahrhundert erhielt er sich, wie die Dome von Segovia und Salamanca beweisen; freilich mischen sich da schon Formen des Renaissancestiles ein. Letztere finden sich übrigens auch schon im Innenschmuck der oben genannten ältesten gotischen Hauptkirche von Burgos, an welcher man am besten die ganze Entwicklung der spanischen Gotik beobachten kann, da ihre Bauzeit vom 13. bis zum 16. Jahrhundert währte.

^[Abb.: Fig. 294. Schloß Windsor.

Gesamtansicht.]