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Illustrierte Kunstgeschichte

Johannes Emmer, Deutsche Volksbibliothek A.-G., Berlin, ohne Jahr [1901]

Schlagworte auf dieser Seite: Germanische Kunst

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Germanische Kunst.

Oberlichte haben, der Helligkeit, die Pfeiler haben anstatt der Knäufe einen Kranz von Nischen für kleine Standbilder. Im Allgemeinen kann man sagen, daß zwar eine bewußte Nachahmung der nordischen Bauweise, aber ohne folgerichtige Durchführung der Grundsätze derselben vorliegt.

Ein Jahrzehnt später legte Visconti, inzwischen zum Herzog erhoben, den Grundstein zu dem Karthäuserkloster - Certosa - bei Pavia (1396), bei welchem man wieder zur italienischen Gotik zurückkehrte, ja bereits weiter ging und den Spitzbogen nur mehr bei den Gewölben beibehielt, sonst aber den Rundbogen verwandte. Hier sind alle Verhältnisse einfacher, die Anordnung klarer, die Bildungen folgerichtiger, und das breiträumige Innere erzielt daher eine mächtige Wirkung. (Die Stirnseite gehört bereits der Richtung der Renaissance an, zu deren glanzvollsten Werken sie zählt.)

Andere Gebiete. Das Aufgeben des Spitzbogens innerhalb der Baufügung und Beschränkung desselben auf das Zierwerk findet sich übrigens schon frühzeitig auch in Florenz bei einem der anziehendsten Bauwerke, der Kirche Orsanmichele (1337-1412) (San Michele in Orto), welche allerdings mehr zu den weltlichen Bauten zu rechnen ist, da nach dem ursprünglichen Plane nur das Untergeschoß als Kirche, die oberen als Kornmarkthalle dienen sollten.

Bereits oben wurde angedeutet, daß der gotische Stil im römischen Gebiete keine Verbreitung fand, dagegen fand er aus besonderen Gründen eine Stätte in Neapel. Seit 1266 war Unteritalien in die Gewalt des französischen Hauses Anjou geraten, und die ersten Könige aus demselben beeiferten sich, durch glänzende Kirchenbauten ihre neue Hauptstadt zu schmücken. So entstanden in rascher Reihenfolge San Lorenzo (1266-1324), der Dom des Heiligen Januarius (1273-1314), San Domenico (1289 begonnen), Santa Chiara (1310 begonnen) u. a. und zwar sämtlich in der Art der französischen Gotik, da mit dem neuen Herrschergeschlecht wahrscheinlich auch französische Meister eingewandert waren. Künstlerisch hervorragend sind diese Bauten jedoch nicht, auch ist die ursprüngliche Anlage in Folge vielfacher Erneuerungen und Umbauten - vor allem aber durch Ueberladung mit Zierat - jetzt stark entstellt.

Französischer Einfluß macht sich auch in Genua geltend, das übrigens für die Gotik auch keine Neigung bekundete, und an der alten Bauweise, bis zum Aufkommen der Renaissance, festhielt. Erwähnt mag nur wegen der eigenartigen Anordnung die gotische Stirnseite des Domes werden.

Wenn ich schließlich die bisherigen Ausführungen in kurzen Worten zusammenfassen soll, so ergiebt sich folgendes: die wenigen vorhin erwähnten Bauten geben ein genügend deutliches Bild von der Stellung und Entwicklung der gotischen Richtung in Italien; durch

^[Abb.: Fig. 309. Die Marienburg.

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