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Illustrierte Kunstgeschichte

Johannes Emmer, Deutsche Volksbibliothek A.-G., Berlin, ohne Jahr [1901]

Schlagworte auf dieser Seite: Germanische Kunst

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Germanische Kunst.

künstlerischem Verfalle bewahrt blieb, ihren Urgrund darin, daß unter der langen Herrschaft des "romanischen Stiles" die Bildner an größere Freiheit sich gewöhnt hatten, und ihre Kunst daher stets auch mehr Selbständigkeit als im übrigen Norden besaß.

Die anziehenden Eigenschaften der deutschen Bildnerei treten vielleicht noch mehr als in den großen Werken in jenen der Kleinkunst hervor. Wohl ist es richtig, daß die hohe Kunst eine gewisse Beschränkung auf ein Mittelmaß dadurch erfuhr, daß die Meister mehr zünftige Handwerker als "freie Künstler" im neuzeitlichen Sinne waren. Andererseits lag aber auch der Vorteil darin, daß ihre Arbeitsfertigkeit gründlich geschult wurde, und vor allem hatte es das Gute, daß in das ganze Handwerk, auch insofern es für den gewöhnlichen Bedarf des Volkes arbeitete, ein künstlerischer Zug kam. Die Kunst erhob sich zwar nicht zu jener Höhe, welche auch nur erlesenen Geistern zugänglich ist, sie blieb aber dem Volke verständlich und wurde volkstümlich. In den kunstgewerblichen Erzeugnissen giebt sich der Kunstgeist einer Zeit nicht minder bedeutsam kund als in der Hochkunst, sie lassen am besten erkennen, wie tief er ins Volk gedrungen ist, welche Wirkung er ausübte und welche Beeinflussung aus dem Volke heraus er erfuhr. Mehr als die anderen Künste ist gerade die Bildnerei in der Lage, das Künstlerische dem Volke zu vermitteln, da sie das Formen und Gestalten der meisten Gebrauchsgegenstände beeinflussen kann, und darin liegt ein wesentlicher Teil ihrer Bedeutung.

Goldene Pforte von Freiberg. Bildwerke vom Bamberger Dome. Der Bildnereischmuck der Goldenen Pforte des Freiberger Domes (Fig. 326) zeigt bereits die deutsche Kunst auf einer erstaunlichen Höhe der Vollendung. Schönheitsgefühl und tiefe Empfindung, Naturtreue und künstlerische Freiheit fanden sich vereinigt. Die lebende Be-^[folgende Seite]

^[Abb.: Fig. 335. Giovanni Pisano: Anbetung der Könige.

Flachbild von der Kanzel in S. Andrea zu Pistoja.]