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Illustrierte Kunstgeschichte

Johannes Emmer, Deutsche Volksbibliothek A.-G., Berlin, ohne Jahr [1901]

Schlagworte auf dieser Seite: Die Zeit der "Renaissance"

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Die Zeit der "Renaissance".

Falten. Fast immer besitzen aber seine Frauenköpfe einen Ausdruck von rührender Holdseligkeit, der bei den männlichen durch eine etwas weichliche, ruhige Würde ersetzt wird. Die Gruppen sind lebendig bewegt und geben den zu schildernden Vorgang mit eindringlicher Kraft wieder. Die Ausarbeitung selbst ist ungemein sorgfältig und zeugt von vollendeter Fertigkeit.

Als eines der hervorragendsten Werke des Meisters, welches alle trefflichen Eigenheiten wie auch Schwächen desselben aufweist, ist der "Englische Gruß" der Kirche St. Lorenz in Nürnberg zu nennen, in welchem die hoheitsvolle Anmut der heiligen Jungfrau besonders schön zum Ausdruck gebracht ist. Der Meister vermeidet ebenso die Einseitigkeit der rücksichtslosen Wirklichkeitstreue, wie jene der blos malerischen Auffassung und arbeitet mit rein bildnerischen Mitteln (Fig. 481).

Steinbildnerei. Adam Kraft. In dieser Hinsicht gleicht er dem bereits genannten Adam Kraft (1450-1507), welcher die Steinbildnerei auf eine höhere Stufe brachte. Auch diese schwankte um die Mitte des 15. Jahrhunderts zwischen den beiden Gegensätzen: der überscharfen Nachahmung der Wirklichkeit und der malerischen Behandlung des Vorwurfes, und je mehr das Schönheitsgefühl zum Durchbruche gelangte, desto weniger schien man die Grundbedingungen eines rein bildnerischen Stils festhalten zu können. Auch die ersten Werke Krafts bewegen sich noch in dieser Richtung und scheinen namentlich von Wohlgemuth beeinflußt worden zu sein, wie die mehr bildmäßige Anordnung andeutet. Die Gestalten dagegen sind von derber Kurzleibigkeit und offenbar nach Vorbildern aus dem gewöhnlichen Leben gearbeitet. Auch in der Darstellung der Handlungen zeigt sich dieser Zug; man hat ganz das Gebahren und Gehaben des Nürnberger Volkes vor sich, zumal er auch dessen Tracht für seine Figuren beibehält. Kraft ist noch weit davon entfernt, seinen Gestalten eine "ideale" d. h. künstlerisch erdachte Schönheit zu geben. Seine Stärke liegt vielmehr in der tiefen Gefühlswahrheit, mit welcher er seinen Gegenstand auffaßt und durchbildet. Das "deutsche Gemüt" leitet seine Hand und setzt ihn in Stand, die einfachen schlichten Volksgestalten so innig zu beseelen, daß ihre schlicht-natürliche Schönheit zum Herzen spricht. Diese volkliche Eigenart des Meisters ist einer der Hauptvorzüge, denn dadurch wies er der deutschen Kunst den "eigenen" Weg zur Vervollkommnung und sicherte ihr auch die Wirkung auf das Volk, was ja auch ein Ziel des Künstlers sein soll.

In den "sieben Stationen" auf dem Wege zum Johanniskirchhofe, die um 1495 gefertigt worden sein dürften, finden wir die vorerwähnten Eigenheiten Krafts deutlich ausgeprägt. Die Anordnung der Gruppen ist bei aller Fülle von Gestalten übersichtlich, die Handlung wird sehr lebendig geschildert; die Empfindungen der Betheiligten sind mit

^[Abb.: Fig. 484. Kraft. Sacramentsgehäuse.

Nürnberg. Lorenzkirche.]