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Illustrierte Kunstgeschichte

Johannes Emmer, Deutsche Volksbibliothek A.-G., Berlin, ohne Jahr [1901]

Schlagworte auf dieser Seite: Die Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts

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Die Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts.

Seelen wirken konnte; sie machte sich ebenso die bildenden Künste, wie die Musik dienstbar. Wenn die Betrachtung eines schönen Gemäldes zunächst auch nur "ästhetische" Empfindungen erregt, so können sie doch von der bloßen Erhebung der Seele - ganz abgesehen vom Gegenstande der Darstellung - zur "frommen Erbauung" hinüberleiten, und damit ist erreicht, worauf es der Kirche ankam: die "Stimmung". Es war dies ein weitaus leichteres und auch stärkeres Mittel, um die Herrschaft über die Seelen zu erlangen, als wenn man den Geist zum verständigen Erfassen des Wortes zwingen wollte. In der protestantischen Kirche kehrte man aber gerade im 16. und 17. Jahrhundert den gegensätzlichen Standpunkt um so schärfer hervor, damit ja jede Aehnlichkeit mit der katholischen vermieden werde, und manche Eiferer gingen in dieser Hinsicht bis zum Aeußersten, indem sie alles, was irgendwie schmuckhaft war, verwarfen.

Es ist daher begreiflich, daß die kirchliche Baukunst in dem katholischen Süden und Westen und in dem protestantischen Norden und Osten Deutschlands ein ganz verschiedenes Gepräge erhielt. Von wesentlicher Bedeutung für die süddeutsch-katholische Gruppe wurde aber der Umstand, daß nunmehr in allen Dingen der katholischen Kirche Rom weit straffer und einheitlicher die Herrschaft ausübte, als früher, und zwar durch Vermittlung des Jesuitenordens. Bei der Besprechung der italienischen Baukunst wurde dessen Bedeutung und Anteilnahme schon hervorgehoben, doch war beides hier von erheblich anderer Art als in Deutschland. Der Einfluß zeigte sich vornehmlich nur in der Gleichmäßigkeit des Grundgedankens, für welchen der Orden eintrat; die innere Verwandtschaft der Bauten beruht darauf, daß sie alle die gleiche "Zweckbestimmung" - Erzeugung von Stimmung durch Sinnenreize - hatten; die Mittel dazu konnten innerhalb gewisser Grenzen immerhin verschieden sein. Die italienische Barockkunst vermochte daher auch ihre heimische, bodenständige Eigenart zu behalten, sie entwickelte sich aus dem Volksgeiste und entsprach der Auffassung desselben. Dieser Volksgeist und diese Auffassung waren eben nur in eine bestimmte Richtung gelenkt worden, ohne daß jedoch ein Bruch mit der Vergangenheit und den künstlerischen Ueberlieferungen notwendig geworden wäre. Die Barockkunst hatte sich allmählich und natürlich aus der Renaissance herausgebildet.

Anders verhielt es sich in Deutschland. Die neue Bauweise, welche der Jesuitenorden für zweckmäßig hielt, war nicht nur von katholischem, sondern auch von romanischem Geiste erfüllt und daher eine volksfremde. Die deutsche Renaissance war von weltlich heiterer Art gewesen, und aus ihr ließ sich die neue Richtung nicht entwickeln. Es mußte daher ein völliger Bruch mit der bisherigen Kunstweise erfolgen, und wir sehen daher auch anfänglich die Jesuiten nicht nur als Gegner der deutschen Renaissance, sondern auch der deutschen Kunst überhaupt auftreten, weil diese dem Zwecke nicht dienlich war. Die natürliche Fortentwicklung der letzteren wurde unterbrochen und fremde Grundzüge mußten aufgenommen werden. Erst allmählich gelang es, diese zu verarbeiten und den deutschen Kunstgeist wieder zu Einfluß zu bringen, aber die gewaltsame Unterbrechung der künstlerischen

^[Abb.: Fig. 611. Karlskirche in Wien.]