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Illustrierte Kunstgeschichte

Johannes Emmer, Deutsche Volksbibliothek A.-G., Berlin, ohne Jahr [1901]

Schlagworte auf dieser Seite: Die Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts

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Die Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts.

aus dem Volksleben ist er nicht minder wirklichkeitstreu, wie Velasquez; aber er weiß auch diese Wahrheit mit schwärmerischen Zügen zu verbinden, wie dies in seinen Kirchenbildern der Fall ist. In diesen bringt er eine innige Frömmigkeit und eine Empfindung für das Uebersinnliche in so vollendeter Weise zum Ausdruck, wie kein anderer vor und nach ihm. Murillos Madonnen sind auch nicht "verklärt", aber in ihrer Verzückung erscheinen diese menschlichen Frauen über das Gewöhnliche hinausgehoben (Fig. 704). Dieser schwärmerische Zug ist nicht gesucht und gekünstelt, er ist wahr und tief empfunden, und zwar nicht nur aus der Persönlichkeit des Meisters, sondern auch aus dem spanischen Volksgeiste heraus. Das religiöse Bild war auch das Hauptgebiet von Murillos Thätigkeit, neben welchem er noch das Sittenbild pflegte, und zwar sind es hauptsächlich Kinder aus dem Volke, die er zum Gegenstande seiner Schilderungen wählte (Fig. 705). Das Gebahren dieser Jungen und Mädchen, wie sie spielen, essen und faulenzen, wird mit unübertrefflicher Lebenswahrheit und entzückendem Reiz in der Farbenstimmung wiedergegeben. In der Behandlung des Lichts ist Murillo vielleicht noch dem Velasquez überlegen, wie er sich auch mehr von Schönheitsgefühl leiten läßt und daher weichere und duftigere Töne wählt.

Die anderen spanischen Meister. Neben diesen beiden Meistern erscheinen die anderen zeitgenössischen Künstler ziemlich unbedeutend, wenn sie auch manche tüchtige und ansprechende Arbeiten aufzuweisen hatten, wie beispielsweise Alonso Cano, der die "ideale" Richtung mit Geschick vertrat. Sonst folgte die spanische Kunst den Wegen, die Velasquez und Murillo ihr vorgezeichnet hatten, bis auch hier die Ausartung in "Manier" und Verflachung erfolgte, so daß man im 18. Jahrhundert wieder zur Berufung von Fremden griff. Nur ein Künstler erhob sich noch zu einer beachtenswerten Höhe: Francisco Goya (1746 bis 1828), welcher die heimische spanische Kunst im 18. Jahrhundert ehrenvoll vertrat und das Ansehen verdiente, das er genoß. In seinen Bildern, noch mehr aber in den Radierungen, hält er an dem Grundsatz der Wirklichkeitstreue fest, obwohl auch in Spanien man bereits dem "Klassischen" sich zuzuwenden begann; in der hellen und leichten Farbengebung zeigt er einige Verwandtschaft mit Tiepolo.

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Eigenart der deutschen Malerei. Von der Höhe, auf welche die deutsche Malkunst durch Albrecht Dürer und Hans Holbein emporgehoben worden war, stieg sie leider bald herab. Es ist betrübend zu sehen, wie schon wenige Jahrzehnte nach dem Tode dieser Meister die Deutschen die heimische Eigenart preisgaben und fremden Vorbildern nachjagten. Sicherlich stand die Kunstrichtung Dürers, welche so ganz aus deutschem Geiste und deutscher Empfindung heraus sich gebildet hatte, ebenso hoch wie jene der italienischen Großen, und sie wäre auch gewiß noch entwicklungsfähig gewesen. Man wird ja zugeben, daß sowohl hinsichtlich der wuchtigen Großartigkeit - im Sinne Michelangelos - wie nach der rein malerischen Seite hin - dem glutvollen Farbenzauber Tizians entsprechend - ein Fortschreiten über Dürer und Holbein hinaus denkbar und erstrebenswert erscheinen mochte, aber dies hätte auch unter Wahrung der heimischen deutschen Wesens-Grundzüge erfolgen können.

^[Abb.: Fig. 705. Murillo: Die Melonenesser.

München. Pinakothek.]