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Illustrierte Kunstgeschichte

Johannes Emmer, Deutsche Volksbibliothek A.-G., Berlin, ohne Jahr [1901]

Schlagworte auf dieser Seite: Die Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts

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Die Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts.

Er brauchte nicht erst nach dem richtigen Ausdruck zu suchen, dieser fand sich ganz von selbst, und diese freie schöpferische Gestaltungskraft, verbunden mit einer vollendeten Farbenkunst, giebt seinen Gemälden jenen wundervollen Reiz, der den Beschauer unwiderstehlich fesselt.

Seine Werke zeigen erhebliche Verschiedenheiten je nach dem Gegenstande, den sie behandeln. In den religiösen Bildern sind Form und Farbe darauf gestimmt, ergreifend zu wirken. Auch hier sind die Gestalten lebenswahr, keineswegs "idealisiert"; seine Madonna ist eine Vollblutspanierin, und dennoch erscheint sie erhaben, weil der Künstler diese Frau mit erhabenen Gefühlen beseelt hat (Fig. 701). Ungemein bezeichnend für ihn ist seine Auffassung bei den mythologischen Bildern; er giebt die "Götter" als gewöhnliche Menschen aus dem Volke, und es klingt fast wie Spott, wenn ein feister Trunkenbold als Bacchus, oder ein russiger Schmied als Vulkan bezeichnet wird (Fig. 702). Aber so ausdrucksvoll und wahr, im Figürlichen wie in der Beleuchtung, mit solch' packender Natürlichkeit, hat niemand derlei Vorgänge dargestellt, nicht einmal Rubens, von den Italienern ganz zu schweigen. Seine Hauptthätigkeit entfaltete er jedoch in den Bildnissen, in denen er seine glänzenden Eigenschaften auch am besten bekunden konnte (Fig. 703). Schon 1623 war er an den Hof berufen worden, und bis zu seinem Lebensende blieb er mit Aufträgen für die königliche Familie und deren Hofstaat überhäuft. Seine Meisterschaft in der Behandlung des Körperlichen und Seelischen, der Luft- und Lichtstimmung ist in allen diesen Bildnissen immer auf gleicher Höhe, bewunderswert ist aber auch seine Kunst in der Ueberwindung der Schwierigkeit, welche die greuliche Tracht der damaligen Zeit - die unförmlichen Reifröcke der Damen - bot. Es war wahrhaftig nicht leicht, dieser Gewandung das Abstoßende und Unmalerische zu benehmen.

Murillo. Zu der künstlerischen Höhe eines Velasquez erhob sich nur noch einer: Bartolome Esteban Murillo (1617-1627). Dieser hatte erst in späteren Jahren sich zur Meisterschaft durchgerungen; während Velasquez schon mit 23 Jahren ein fertiger Künstler war, bildete Murillo seine Eigenart erst durch längere Studien nach Rubens, Van Dyck und Velasquez aus, deren Werke er in Madrid kennen lernte. Er wurde dabei aber weder Nachahmer noch ein Ekklektiker, sondern befreite sich nur von den Schuleindrücken und fand seinen eigenen selbständigen Stil. Die früheren Werke, vor seinem Aufenthalt in Madrid, zeigen ihn noch befangen in der alten heimischen Kunstweise, seit 1645 erscheint aber seine Eigenkunst ausgereift. Wenn bei Velasquez die unübertreffliche Lebenstreue, die Bestimmtheit in der Formgebung und die Kraft der Farben am stärksten hervortreten, kommt bei Murillo mehr die eigene Empfindung zur Geltung, finden wir auch eine größere Zartheit und weichere Farbentöne. Naturwahrheit ist auch ihm zu eigen, in den Schilderungen

^[Abb.: Fig. 704. Murillo: Madonna.

Paris. Louvre.]