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Kochschule und Ratgeber für Familie & Haus

Autorenkollektiv, Verlag von Th. Schröter, 1903-1905

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Verunreinigungen der Milch sind gar nicht zu vermeiden. Schon beim Melken kommt Schmutz vom Euter der Kuh und von den Händen des Melkenden hinein. Die Geschirre lassen oft sehr viel zu wünschen übrig und selbst bei größter Sauberkeit sind sie nie frei von Bakterien, die sich in der Milch erfahrungsgemäß sehr schnell vermehren. Nun kommt aber noch das Verdünnen der Milch mit Wasser hinzu. Das ist zwar gesetzlich verboten, aber es geschieht trotzdem häufig genug. Das Wasser wird heimlich hineingetan und deshalb auch aus heimlichen Brunnen geschöpft, die nicht immer die saubersten sind. Nur so erklärt es sich, daß die Menschen so häufig nach Genuß roher Milch Typhus bekommen. Thyphusbazillen kommen nicht in der reinen Milch vor, wohl aber im Wasser. Einmal in die Milch gebracht, vermehren sie sich darin. Durch andere Bakterien, die durch die Verunreinigungen in die Milch gelangen, entstehen Darmkatarrhe, Ruhr und dergleichen. Ganz besonders sind die Kinder und von diesen die Säuglinge durch rohe oder mangelhaft gekochte Milch gefährdet, und es ist bekannt, daß die Durchfälle der Säuglinge, an denen unzählige der Kinder sterben, hauptsächlich auf schlechte d.h. verunreinigte Milch zurückzuführen sind.

Endlich müssen wir hier auch das Obst erwähnen. Es kann gar nicht zweifelhaft sein, daß rohem Obste, das nicht geschält ist, dieselben schädlichen Verunreinigungen anhaften können, wie den rohen Gemüsen, der Milch etc. Wenn sich Menschen an rohem Obst den Magen und Darm verderben, so geschieht das mehr durch die daran haftenden Bakterien als durch das Obst selbst. Am meisten sind hier natürlich die an der Erde wachsenden Arten bedenklich; ich habe ja die Erdbeeren schon erwähnt. Aber auch bis auf die höchsten Apfel- und Kirschbäume fliegt Staub oder wird der Schmutz durch Vogel und Insekten verschleppt. Der Hauptverunreiniger ist der Mensch selbst. Denn der meiste Schmutz kommt auf das Obst beim Pflücken und auf dem Transport; vieles ließe sich dabei vermeiden, aber die Menschen haben für stetige Sauberkeit im allgemeinen wenig Sinn. Anderes ist auch tatsächlich unvermeidlich. Das Waschen des Obstes hilft nur wenig und ist nur ein Notbehelf für solche, die durchaus nur rohes ungeschältes Obst essen wollen. Ich glaube, man wird in späteren Jahrhunderten einmal auf die jetzige Zeit, in der rohes Obst gegessen wird, ebenso zurückblicken, wie wir auf die Hunnen zurücksehen, die ihr Fleisch unter dem Sattel mürbe ritten und es dann roh verzehrten.

Daß unreifes Obst schädlicher ist als reifes, ist fast jedem eine bekannte Tatsache. Das beruht einmal auf den Säuren, die im unreifen Obste sind und von Vielen nicht vertragen werden. Zweitens aber sind in dem unreifen Obst die einzelnen Zellen härter, fester und unverdaulicher und reizen so den Magen und Darm.

Es ist unschwer zu erklären, warum alle rohen Nahrungsmittel, wenn Epidemien herrschen, schädlicher sein müssen als zu anderen Zeiten. Besonders merkt man das bei Cholera, Ruhr, Thyphus und bei den Sommerdiarrhoen. Eine Epidemie kommt dann zu stande, wenn sich die betreffenden Bakterien übermäßig verbreiten. Sie sind dann an vielen Orten und können leichter mit der Nahrung oder sonstwie in den menschlichen Körper gelangen als zu anderen Zeiten, also auch durch rohe Nahrungsmittel. Das ist aber nicht einmal das wesentlichste dabei. Denn bei den wenigsten Epidemien erkranken alle Menschen, die solche schädlichen Bakterien in sich aufnehmen, sondern immer nur diejenigen, die eine besondere Neigung (Disposition) dazu haben. Diese Disposition für Cholera, Ruhr, Typhus u.s.w. sind nun gesteigert, wenn man sich durch rohe Nahrungsmittel den Magen oder Darm verdirbt in der oben beschriebenen Weise. Während man zu gewöhnlichen Zeiten dann vielleicht nur einen leichten Darmkatarrh bekommt, erwirbt man zu Zeiten einer Epidemie die betreffende Krankheit. So wurde z. B. 1866 beobachtet, daß von einer Kolonne Soldaten nur diejenigen an. Cholera erkrankten, die gegen Befehl rohe Pflaumen gegessen hatten.