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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Prokurazien - Prolongation

Syndikus. Die Vertretung der Parteien in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten ist die Hauptaufgabe der Rechtsanwalte, und zwar besteht nach der deutschen Zivilprozeßordnung die Vorschrift, daß vor den Kollegialgerichten, also vor den Landgerichten und allen Gerichten höherer Instanz, die Parteien sich durch einen Rechtsanwalt als P. vertreten lassen müssen (Anwaltsprozeß). Außerdem, also namentlich vor den Amtsgerichten, können die Parteien ihre Sache selbst führen oder sich durch Prozeßbevollmächtigte vertreten lassen. Staatsprokurator (Procureur d'État) ist in Frankreich s. v. w. Staatsanwalt. In der römischen Kaiserzeit hießen Prokuratoren ("Landpfleger") die Verwalter des kaiserlichen Privatvermögens, welche in kleinen Provinzen zugleich die Stelle des Statthalters versahen oder diesen in den zu einer Provinz gehörigen kleinen Territorien vertraten. Vgl. Liebmann, Beiträge zur Verwaltungsgeschichte des römischen Reichs, Bd. 1 (Jena 1886). In Klöstern heißt der Konventual, welcher die ökonomische und sonstigen weltlichen Angelegenheiten zu besorgen hat, Pater P. oder Klosterschaffner. P. von St. Markus war in Venedig ehemals Titel der vornehmsten Staatsbeamten; es gab neun wirkliche, aus denen der Doge gewählt ward, u. viele Titularprokuratoren, die des damit verbundenen Ranges wegen große Summen für den Titel bezahlten.

Prokurazien, in Venedig Paläste an der Nord- und Südseite des Markusplatzes, welche den Prokuratoren, den höchsten Beamten der Republik, als Wohnungen dienten. Die alten P. wurden von ca. 1490 bis 1517 von Pietro Lombardo u. a. im Stil der Frührenaissance, die neuen (jetzt zum königlichen Palast gehörig) 1584 von Scamozzi erbaut.

Prokurist, s. Prokura.

Prokuror (v. franz. procureur), in Rußland s. v. w. Staatsanwalt.

Prolapsus (lat.), s. v. w. Vorfall (s. d.).

Prolatio (lat.), in der Mensuralmusik (s. d.) die relative Wertbestimmung der Noten.

Prolegomena (griech.), das "Vorhergesagte", daher s. v. w. Vorrede oder Einleitung zu einer Schrift, die dazu bestimmt ist, den Leser in den Geist der letztern einzuführen.

Prolepsis (griech., "Vorausnahme"), in der Botanik die Erscheinung, daß die fürs nächste Jahr angelegten Knospen schon in demselben Sommer zu einem beblätterten Trieb sich entwickeln. Diese vorzeitige Entwickelung tritt in verschiedenen Zeiten und aus sehr verschiedenen Ursachen auf, unter anderm auch in der Zeit der zweiten Saftfülle, die man Augustsaft oder Johannistrieb nennt, und daher wird nicht selten die proleptische Knospenentfaltung selbst Johannistrieb genannt. Besonders an Buchen und Eichen macht sich dieser zweite Trieb bemerklich. In der Medizin bezeichnet P. das Frühereintreten eines Krankheitssymptoms, namentlich bei Wechselfieber; in der Rhetorik die zuvorkommende Beantwortung (Antizipation) eines möglichen Einwurfs. Proleptisch, vorgreifend, zuvorkommend.

Proles (lat.), Sprößling, Nachkommenschaft; Brut, besonders die Zwiebelbrut (s. Zwiebel).

Proletarii (lat.), wie Capite censi (s. d.) bei den alten Römern ursprünglich alle diejenigen, welche nicht den niedrigsten Vermögenssatz (Census) der letzten der fünf Klassen, also nicht mindestens 12,500 As besaßen und vom Kriegsdienst wie vom Tribut frei waren. Später wurden, nachdem für die Dienenden Sold verwilligt war, für den Kriegsdienst in den Regionen 4000 As als Grenze festgesetzt; diejenigen, welche weniger als 4000, aber mindestens 1500 As besaßen, wurden nebst den Bundesgenossen und Freigelassenen für den geringer geachteten Seedienst verwendet. Endlich wurde, wie berichtet wird, noch ein Unterschied mit 375 As als Grenze gemacht und nun im engern Sinn denen, welche mehr als 375 As besaßen, der Name Proletarier, denen, die weniger hätten, der Name Capite censi beigelegt. Der Name soll den Proletariern nach der Erklärung der Alten deswegen gegeben worden sein, weil sie dem Staat nur durch die Nachkommenschaft (proles) Nutzen gewährten. In neuerer Zeit versteht man unter Proletariern diejenige Klasse der bürgerlichen Gesellschaft, welche zwar den notwendigen Lebensunterhalt durch eigne Arbeit gewinnt und daher der öffentlichen Armenpflege nicht zur Last fällt, aber über das für den Lebensunterhalt unbedingt Notwendige hinaus nichts zu erwerben vermag. Proletariat ist die Gesamtheit der Proletarier und der Zustand, in welchem sich dieselben befinden.

Proli, Sektierer, s. Rapp 1).

Pro libito (lat.), nach Belieben.

Pro licentia (lat.), "für die Erlaubnis", z. B. auf Universitäten Vorlesungen zu halten etc.

Proliferationsgeschwulst, s. Geschwulst. ^[richtig: Geschwülste.]

Proliferierend (lat.), bruttragend (s. Proles); dann sprossend, wenn ein Pflanzenteil aus solchen Stellen, wo sonst gewöhnlich kein weiteres Fortwachsen stattfindet, neue Triebe bringt, z. B. einen mit Laubblättern versehenen Sproß aus der Spitze eines Blütenstandes, wie dies normal bei der Ananas und bei manchen Myrtaceen, als Mißbildung z. B. bisweilen an den Zapfen der Lärchen und an den Blütenköpfchen der Dipsaceen und Kompositen, wo aus den Sprossen gewöhnlich wieder Köpfchen werden, vorkommt. Hierher gehört auch die Mißbildung, wo aus der Mitte einer Blüte die Blütenachse einen beblätterten Zweig oder eine zweite Blüte entwickelt, wie z. B. bisweilen bei den Rosen, was als Prolifikation (Sprossung) bezeichnet wird.

Prolifikation (lat.), s. Proliferierend.

Pro loco (lat.), "für die Stelle" (in einer Fakultät eine Streitschrift verteidigen).

Prolog (griech.), in dem Drama der Alten der erste Teil der Darstellung vor dem ersten Chorgesang, welcher dem Zuschauer das Verständnis des Stückes erleichtern, die zu erwartende Handlung motivieren und die Szene bezeichnen sollte, wo die Handlung des Stückes selbst stattzufinden hatte. Der P., der gewöhnlichen Annahme nach um 530 v. Chr. durch Thespis eingeführt, wurde ursprünglich von Einer Person (Prologos) gesprochen; erst bei Äschylos ersetzte der Chor seine Stelle. In der neuern Zeit ist der P. selten mit Glück angewendet worden. Uneigentlich nennt man auch kleinere Vorspiele und Szenen, die ein kleines Ganze für sich ausmachen und mit dem folgenden Stück nur lose zusammenhängen, Prologe. Berühmt sind Schillers P. zum "Wallenstein" und Goethes Vorspiel u. P. zu "Faust". Bei außerordentlichen Veranlassungen oder feierlichen Gelegenheiten, mit denen die Aufführung eines Stückes zusammenfällt, werden ebenfalls Prologe (Festprologe) gesprochen.

Prolongation (lat.), Verlängerung einer Lieferungs- oder Zahlungsfrist. P. eines Wechsels, die Hinausschiebung der Zahlungszeit eines Wechsels durch Übereinkommen zwischen dem Wechselinhaber und dem Wechselschuldner, welche der Regel nach durch Ausstellung eines anderweiten Wechsels bewirkt wird. Der Wechselinhaber, welcher einen Wechsel