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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Rechtsdrehung des Windes; Rechtseinheit

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Rechtsdrehung - Rechtseinheit

Die Geschichte der deutschen R. beginnt mit dem schriftlichen Gebrauch der deutschen Sprache überhaupt. Eine einheitliche deutsche R. gab es im Mittelalter so wenig wie eine einheitliche Aussprache. Es gab vielmehr bestimmte orthographische Kreise, ausgehend von einigen wenigen Klosterschulen, von denen für die altdeutsche R. die St. Galler die wichtigste gewesen ist. Neben der St. Galler Schule erlangte in der althochdeutschen Zeit besonders die rheinfränkische R. durch ihre Litteratur einen größern Einfluß, diese in Mittel-, jene in Oberdeutschland. Ein drittes litterar. Centrum mit mundartlicher R. bestand am Niederrhein; die niederländische R. hat für ganz Niederdeutschland einen maßgebenden Einfluß erlangt, solange Niederdeutsch überhaupt eine Litteratursprache gewesen ist.

Die mittelhochdeutsche Litteratur weist eine verhältnismäßig einheitlichere R. auf, als die althochdeutsche, wenngleich sie in Wirklichkeit viel stärkere mundartliche Unterschiede zeigt, als sie in unsern normalisierten mittelhochdeutschen Texten zu Tage treten. Diese R. setzt die althochdeutsche nur zum Teil fort. In keiner Zeit hat sich die deutsche R. mehr dem Ideal einer phonetischen R. genähert, als im 12. und 13. Jahrh., der Blütezeit unserer mittelalterlichen Litteratur. Hier war es besonders der Einfluß der Hohenstaufen, der der oberdeutschen, speciell schwäb. Schreibweise eine weitere Geltung verschaffte.

Von einer gemeindeutschen R. kann eigentlich erst seit dem 15. Jahrh., genauer noch seit Luther die Rede sein. Ihre Geschichte ist mit der unserer neuhochdeutschen Schriftsprache untrennbar verbunden (s. Deutsche Sprache, Bd. 5, S. 78 b). Wenn man z. B. auch dort, wo man "Zît" und "Hûs" sprach, anfing, nach dem Vorbild der kaiserl. Kanzlei und Luthers "Zeit" und "Haus" zu schreiben, so empfand man dies in der That als eine orthographische Frage. Wie unsere Schriftsprache im wesentlichen mitteldeutscher Sprechweise entspricht, so auch unsere R. Luther selbst hat an seiner ursprünglichen R. manches geändert. Seine R. war für die Folgezeit vorbildlich, wenn auch im 17. Jahrh. unsere R. stark verwilderte, besonders durch eine unsinnige Anhäufung der Konsonanten. Über die Thätigkeit der Grammatiker des 16., 17. und 18. Jahrh. bei der Festlegung unserer modernen R. s. Deutsche Sprache (Bd. 5, S. 82). Der Grundsatz der bedeutendsten Grammatiker, wie Schottel, Gottsched, Adelung, "Schreib, wie du sprichst", hat sich nur in geringem Maße als durchführbar erwiesen. Unsere R. ist seit Luther immer mehr eine historische geworden. Gegen Ende des 18. Jahrh., zur Zeit der höchsten Litteraturblüte, war unsere R. im wesentlichen festgestellt. Nur in einzelnen Punkten haben sie dann J. Chr. A.^[Johann Christian August] Heyse u. a. in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrh. noch weiter gebildet, und zwar auf dem von Adelung (1787) und seinen Vorgängern betretenen Wege. Seit Jakob Grimm in seinen bahnbrechenden Werken auf dem Gebiete der deutschen Sprachgeschichte (Deutsche Grammatik, 1819-40) vorangegangen war, haben die deutschen Sprachgelehrten angefangen, auf eine radikalere Vereinfachung unserer R. nach phonetischen Grundsätzen zu dringen, und man findet in der wissenschaftlichen Litteratur seit Grimm und Schleicher vielfach eine einfachere R. durchgeführt, als sie sonst üblich ist. Besonders strebt man dahin, zu den lat. Buchstaben wieder zurückzukehren und alle Hauptwörter klein zu schreiben. Diese Bestrebungen

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sind bisher noch nicht durchgedrungen. Gegen die Einführung der lat. Buchstaben hat sich namentlich Fürst Bismarck ausgesprochen.

Im J. 1876 trat auf Veranlassung des preuß. Kultusministeriums in Berlin eine Konferenz von Sprachforschern und Schulmännern zur Festsetzung einer einheitlichen R. zusammen, für die Rudolf von Raumer (s. d.) einen Entwurf ausgearbeitet hatte, der den Verhandlungen zu Grunde gelegt wurde. Unter Benutzung der von dieser Konferenz gemachten Vorschläge wurde zunächst in Österreich (2. Aug. 1879) und Bayern (21. Sept. 1879), dann auch in Preußen (durch einen Erlaß des Ministers von Puttkamer vom 21. Jan. 1880), in Sachsen (durch Generalverordnung vom 9. Okt. 1889) und in den übrigen deutschen Staaten eine nur unwesentlich vereinfachte R. in den Schulen eingeführt, für welche die im Auftrag der einzelnen Regierungen bearbeiteten und im wesentlichen übereinstimmenden "Regeln und Wörterverzeichnisse für die deutsche R." maßgebend sind. - Vgl. Adelung, Anweisung zur Orthographie (Lpz. 1788 u. ö.); Andresen, Über deutsche Orthographie (Mainz 1855); Rudolf von Raumer, Gesammelte sprachwissenschaftliche Schriften (Frankf. a. M. 1863); Schröer, Die deutsche R. (Lpz. 1870); Lehmann, Über deutsche R. (Berl. 1871); Duden, Die deutsche R. (Lpz. 1872); Sanders, Zur Regelung der deutschen R. (in "Unsere Zeit", ebd. 1875); Verhandlungen der Orthographischen Konferenz in Berlin (Halle 1876); Michaelis, Die Ergebnisse der Orthographischen Konferenz (Berl. 1876); Duden, Die Zukunftsorthographie (Lpz. 1876); Schmits, Über R. und Druckschrift (Köln 1876); Sanders, Orthographisches Wörterbuch (2. Aufl., Lpz. 1876); ders., Katechismus der Orthographie (4. Aufl., ebd. 1878); Wilmanns, Kommentar zur preuß. Schulorthographie (Berl. 1880; 2. Ausg. u. d. T.: Die Orthographie in den Schulen Deutschlands, ebd. 1887); H. Paul, Zur orthographischen Frage (ebd. 1880); Duden, Die neue Schulorthographie (5. Aufl., Münch. 1894); ders., Orthographischer Wegweiser für das praktische Leben (2. Aufl., Lpz. 1884); ders., Vollständiges orthographisches Wörterbuch der deutschen Sprache (4. Aufl., neuer Abdruck, ebd. 1895).

Rechtsdrehung des Windes, s. Dovesches Gesetz.

Rechtseinheit. Das Ziel gemeinsamer Gesetzgebung über das gesamte bürgerliche Recht, das Strafrecht und das gerichtliche Verfahren, welches sich das Deutsche Reich in Art. 4, Nr. 13 der Reichsverfassung gesetzt hat, ist für das Strafrecht durch das Strafgesetzbuch vom 31. Mai 1870, für das gerichtliche Verfahren durch die am 1. Okt. 1879 in Kraft getretenen Reichsjustizgesetze (s. Justizgesetze, deutsche) erreicht. Das Deutsche Bürgerliche Gesetzbuch, welches die gestellte Aufgabe für das bürgerliche Recht zum Abschluß bringen soll, liegt in einem ersten Entwurf vollständig vor. Der zweite Entwurf ist bis jetzt (Anfang 1895) bis auf das Erbrecht fertig gestellt. Um die Übereinstimmung in der Rechtsprechung zu wahren und dadurch eine R. herbeizuführen, hat das Deutsche Gerichtsverfassungsgesetz vom 27. Jan. 1877 in §. 137 bestimmt, daß, wenn ein Senat des Reichsgerichts in einer Rechtsfrage von einer frühern Entscheidung eines andern Senats oder der vereinigten Senate abgehen will, die vereinigten Civilsenate oder die vereinigten Strafsenate die Rechtsfrage maßgeblich entscheiden sollen. Durch Gesetz vom 17. März 1886 ist die Bestimmung ausgedehnt auf Abweichungen zwi-^[folgende Seite]