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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Amerika

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Amerika (Tierwelt).

gesamte A. nach dem Vorgang namentlich Sclaters und Wallaces ("Geographische Verbreitung der Tiere", deutsch von Meyer, 1876) in zwei Hauptregionen: die nearktische und die neotropische Region, zerlegen. Die erstere umfaßt das gesamte Nordamerika und das nördliche und zentrale Mexiko, die letztere das südliche Festland, einschließlich Mittelamerikas, der Antillen und des südlichen Mexiko. Die Grenze zwischen beiden Hauptregionen verläuft vom Ausgang des Kalifornischen Meerbusens nach der Mündung des Rio Grande del Norte mit einer weiten Ausbuchtung nach S. auf dem zentralen Hochland von Mexiko.

Die nearktische Region entspricht als Tierprovinz der Europa, das nördliche Afrika und den größten Teil Asiens umfassenden paläarktischen Region, ist aber von dieser schon im allgemeinen durch geringern Reichtum und geringere Mannigfaltigkeit der Tierwelt unterschieden. Schmarda bezeichnet diese Region als das Reich der Nagetiere, der Zahnschnäbler und der Kegelschnäbler. Diese nearktische Region besitzt Repräsentanten von 26 Familien von Säugetieren, 48 von Vögeln, 18 von Reptilien, 11 von Amphibien und 18 von Süßwasserfischen. Die ersten drei Zahlen sind beträchtlich niedriger als die korrespondierenden Zahlen für die paläarktische Region, die letztern beiden sind größer, bei den Fischen bedeutend, ein Umstand, welcher sich durch den außerordentlichen Seenreichtum und die großartige Entwickelung der Stromsysteme leicht erklärt. Als charakteristisch für diese Region sind zunächst unter den Säugetieren folgende Formen hervorzuheben: drei Maulwurfsgattungen (Condylura, Scapanus und Scalops), ein eigentümliches Wiesel (Latax), eine den Dachsen nahestehende Form (Taxidea), ein charakteristisches Stinktier (Spilogale), der in Kalifornien und Texas heimische, aber bis Guatemala reichende Waschbär (Bassaris), zwei Seehunde (Eumetopias und Halicyon), welche nur an der Westküste Nordamerikas vorkommen, dann von den Boviden die merkwürdige Gabelgemse des Felsengebirges (Antilocapra), eine ziegenartige Antilope (Aplocerus) und das Moschusschaf (Ovibos), welches auf Grönland und das arktische A. beschränkt ist; ferner besonders eine Reihe von Nagern, darunter die Taschenratten, das Erdeichhörnchen (Tamias) und der Präriehund (Cenomys), endlich die eigentümliche Form des Baumstachelschweins und die die Muriden vertretende Gattung Hesperomys. Gemeinsam mit Südamerika hat das nördliche Festland unter anderm die als einziges nichtaustralisches Beuteltier besonders merkwürdige Form der Didelphiden. Von den Vögeln sind bei dem Mangel an scharfen Naturgrenzen gegen die neotropische Region und infolge der durch die intensive Winterkälte veranlaßten Wanderungen nach S. bis nach den westindischen Inseln, Mexiko, ja bis Venezuela nur wenige Gattungen der nearktischen Region absolut eigentümlich; immerhin aber können von den 168 Gattungen von Landvögeln der Region 54 als typisch nearktisch gelten. Dahin gehören namentlich Vertreter der Familie der Geier, der Tanagriden, der Ikteriden, der Kolibris (von denen elf Arten im Gebiet der Vereinigten Staaten bekannt sind), ferner der Spechte und Waldhühner, letztere beiden durch ihre reiche Vertretung namentlich gegen die neotropische Region abstechend. Eigentümlich für die Region sind die Truthühner (Meleagridae). In ungeheuern Zügen erscheint in den Vereinigten Staaten die Wandertaube. Von den Reptilien ist ebenfalls eine Reihe für die nearktische Region charakteristisch, darunter vier Krotaliden (Klapperschlangen) und die Eidechsengattung Chirotes sowie Hornfrösche und Leguane in reicher Vertretung. Dazu kommen Krokodile und Alligatoren und von Schildkröten die rein amerikanische Gruppe der Trionychiden und die Schweifschildkröte (Chelydra). Besonders bezeichnend für die Region ist ferner der Reichtum an Amphibien, die in 101 Arten vertreten sind, unter denen eigentümliche Salamanderarten sowie der fast meterlange, eidechsenartige Armmolch (Siren) Südcarolinas, ferner Menobranchus und der Aalmolch (Amphiuma) Floridas namentlich erwähnenswert sind. Nicht minder charakteristisch ist der Reichtum an Fischen, von denen gegen 800-900 Spezies vertreten sind, wobei eine Reihe von Gewässern ihre eignen Gattungen haben. Die Region besitzt nicht weniger als 5 eigentümliche Familientypen und 24 eigentümliche Gattungen dieser Klasse. Siluriden, Cypriniden, Salmoniden und Störe sind besonders stark vertreten. Reicher als irgend ein Erdteil ist Nordamerika an Süßwassermollusken, von denen allein 552 Arten Unioniden, 380 Arten Melania, 58 Paludiniden und 44 Cykladiden angegeben werden. Daneben treten die Landschnecken bedeutend zurück. Von den 242 aufgeführten Arten entfallen 80 auf die Gattung Helix. Klausilien sind gar nicht, Bulimus und Pupa nur schwach vertreten. Von den übrigen hier noch zu wenig genau bekannten Klassen sei nur hervorgehoben, daß etwa 50,000 Insekten in der nearktischen Region vorkommen sollen, unter denen die Käfer mit etwa 12,000 Arten am stärksten vertreten zu sein scheinen. Neben diesen stehen gegen 500 Schmetterlingsarten, welch letztere fast durchweg eine große Ähnlichkeit mit europäischen Formen erkennen lassen.

Die neotropische Region bietet eine Verschiedenheit der Verhältnisse, einen Wechsel von hohen Plateaus, weiten Flachländern, tiefen Thälern und gewaltigen Bergriesen wie keine andre tropische Region. Keine andre tiergeographische Region besitzt aber auch eine so große Anzahl von eigentümlichen Tiertypen. Nicht weniger als acht Säugetierfamilien sind absolut auf die neotropische Region beschränkt, andre wieder erreichen hier ihre Hauptverbreitung. Unter den Säugetieren sind nach Wallace besonders die Familien der Greifschwanzaffen und der Seidenaffen charakteristisch, sie bewohnen die unermeßlichen Wälder Brasiliens, Guayanas und der Orinokoniederung in zahlreichen Gattungen und Arten; dann die blutsaugenden Fledermäuse (Phyllostomidae), unter den Nagern die Chinchillen (Hasenmäuse) und die Meerschweinchen neben dem Kletterstachelschwein u. a.; ferner von Edentaten die Faultiere, die Gürteltiere und Ameisenfresser, während Waschbären und Beutelratten außer in der neotropischen nur noch in der nearktischen Region vertreten sind. Ebenso charakteristisch für die Region ist das Fehlen einer großen Zahl sonst weitverbreiteter Gruppen, so (mit nur zwei Ausnahmen) der Insektivoren und der Viverrinen. Es fehlen Ochsen und Schafe und überhaupt jede Form der Wiederkäuer mit Ausnahme der Hirsche und des Lamas; Tapir und Pekari sind die einzigen nicht wiederkäuenden Huftiere, welche die weiten Wälder und Grasebenen Südamerikas beherbergen. Unter der reichen Vogelwelt der neotropischen Region sind am bemerkenswertesten die Kolibris, welche sich über fast ganz A. vom Feuerland bis Sitka und von den flachen Ebenen des Amazonas bis über die Schneelinie der Andes in einer Fülle von Gattungen, Arten und Individuen verbreiten, aber doch ganz auf den amerika-^[folgende Seite]