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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Anthemis - Anthologie.

Anthĕmis L. (Afterkamille, Hundskamille), Gattung aus der Familie der Kompositen, kahle oder wollig behaarte, meist aromatische Kräuter, selten Halbsträucher mit abwechselnden, ein- bis dreifach fiederschnittigen Blättern, mittelgroßen bis großen gestielten Köpfchen, einzeln an der Spitze der Zweige, weißen oder gelben Rand, gelben Scheibenblüten und flügellosen oder schmal geflügelten, vier- bis fünfkantigen Früchten. Etwa 80 Arten. Einen weißen Strahl haben die geruchlose A. avensis L. (Ackerkamille oder unechte Kamille) und die sehr ähnliche, aber unangenehm riechende A. Cotula L. (stinkende Afterkamille), welche beide als lästige Unkräuter weit verbreitet sind. A. nobilis L. (römische Kamille), mehr oder minder dicht behaarte Staude mit aufsteigenden, zuweilen einen dichten Rasen bildenden Stengeln, doppelt fiederteiligen Blättern und angenehm gewürzhaft riechenden Blumen, wächst in Spanien, Frankreich, Südengland und Italien und wird namentlich in Deutschland und Belgien kultiviert. Sie variiert mit Blütenköpfchen ohne Strahlenblüten, schmeckt aromatisch bitter und enthält ca. 0,5 Proz. gelbliches bis bläuliches ätherisches Öl, welches aus einem Kamphen, wenig Angelikasäure und hauptsächlich aus dem zu der letztern gehörenden Aldehyd besteht. Man benutzt die römische Kamille wie die gewöhnliche. Sie gelangte erst zu Ende des Mittelalters, wie es scheint, aus Spanien nach Deutschland. Einen gelben Strahl hat A. tinctoria L. (Färberkamille), deren kammförmige, doppelt fiederspaltige Blätter widerlich aromatisch riechen. Sie findet sich überall und wurde früher als gelbe Färberpflanze bisweilen kultiviert. Einige Arten findet man als Zierpflanzen in Gärten.

Anthemĭus, 1) Flavius, weström. Kaiser 467 bis 472, aus Galatien, Gemahl der Euphemia, der Tochter des Kaisers Marcianus. Vorher Konsul und Patrizier in Konstantinopel und siegreich im Krieg wider die Hunnen, ward er vom Kaiser Leo in Übereinstimmung mit Ricimer, der als Anführer der nichtrömischen Mietstruppen im thatsächlichen Besitz der Herrschaft war, auf den zwei Jahre unbesetzt gebliebenen weströmischen Thron erhoben. Ein Krieg gegen die Vandalen verlief unglücklich, und der Westgotenkönig Eurich machte in Gallien und Spanien Eroberungen. Als A. aus dem drückenden Verhältnis nach Selbständigkeit strebte, stürmte und plünderte Ricimer Rom, ermordete den Kaiser 472 und ernannte Olybrius zu seinem Nachfolger.

2) Griech. Bildhauer und Architekt unter Justinian, aus Tralles in Lydien gebürtig, ausgezeichneter Kenner der Mechanik und Wiederaufbauer der 531 abgebrannten Sophienkirche in Konstantinopel.

Anthēre (griech.), s. v. w. Staubbeutel, s. Staubgefäß.

Antheridĭum (griech.), das männliche Geschlechtsorgan der höhern Kryptogamen (s. d. und Moose).

Anthestērion (griech.), Blütenmonat, der achte Monat des attischen Jahrs, die zweite Hälfte unsers Februars und die erste des März umfassend, so genannt von den Anthesterien, dem dreitägigen Wein- und Trinkfest, welches zu Ehren des Dionysos jährlich vom 11. bis 13. Tag des Monats begangen ward.

Anthoceroteen, Ordnung der Moose (s. d.).

Anthocyan, der gelöste rote oder blaue Farbstoff in den Zellen der Blumenblätter.

Anthodia cinae (lat.), Wurmsame.

Anthodĭum (griech.), s. Blütenstand.

Anthographīe (griech.), "Blumenschrift", Mitteilung mittels der Blumensprache.

Antholíth (griech.), Blütenversteinerung.

Anthologie (griech., "Blumenlese"), im allgemeinen eine Sammlung vorzüglicher Erzeugnisse der Litteratur, namentlich der poetischen; insbesondere Titel zweier großer Sammlungen aus den Schätzen der griechischen und der römischen Dichtkunst (griechische und römische A.). Sammlungen von Auf- oder Inschriften, mehr zu historischen als zu poetischen Zwecken, waren bei den Griechen früh üblich. Nach einem allgemeinern Plan und zuerst in poetischem Interesse faßte der Dichter Meleagros aus Gadara in Syrien (um 60 v. Chr.) epigrammatische und erotische Poesien von ihm selbst und 46 andern Verfassern (darunter Archilochos, Alkäos, Anakreon, Simonides, Sappho, Erinna) in einen "Kranz" zusammen. Zu dieser Sammlung fügte Philippos aus Thessalonika, wahrscheinlich unter Trajan, noch eine Epigrammenauswahl von etwa 13 neuen Dichtern. Weitere Sammlungen veranstalteten bald nachher Diogenianos aus Herakleia und Straton aus Sardes, dann im 6. Jahrh. n. Chr. Agathias aus Myrina. Aus allen diesen jetzt verloren gegangenen Anthologien stellte im 10. Jahrh. Konstantinos Kephalas zu Konstantinopel eine neue, umfassende A. her, in welche aus allen frühern Sammlungen das Beste aufgenommen und nach dem Inhalt in 15 Abschnitte verteilt ward. Diese Sammlung brachte der Mönch Maximus Planudes im 14. Jahrh. in einen Auszug von 7 Büchern, der bis ins 17. Jahrh. von allen griechischen Anthologien allein bekannt war und oft herausgegeben wurde (zuerst Flor. 1494 von Joh. Laskaris; verbessert und vermehrt von H. Stephanus, Par. 1566, und noch oft wiederholt; meisterhafte lateinische Übersetzung von Hugo Grotius in der Ausgabe von de Bosch, Utr. 1795-1822). Im J. 1606 entdeckte Salmasius in der pfälzischen Bibliothek zu Heidelberg eine Handschrift der ganzen A. des Konstantinos Kephalas nebst einigen Anhängen und nahm von den noch nicht in der Planudischen A. enthaltenen Stücken Abschrift. Nach dieser Abschrift des Salmasius gab Brunck die Sammlung zugleich mit andern epigrammatischen Dichtungen sowie den Bruchstücken der Lyriker, den Bukolikern, den Hymnen des Kallimachos u. a. als "Analecta veterum poetarum" (Straßb. 1772-76, 3 Bde.) heraus. Das große Verdienst dieser Arbeit schmälerte die Willkür in der Behandlung des wenig gesicherten Textes. Einen erneuerten Abdruck (mit Ausschluß von Theokrit u. a.) besorgte Fr. Jacobs unter dem Titel: "Anthologia graeca s. Poetarum graec. lusus ex rec. Brunckii" (Leipz. 1794-1814, 13 Bde.) unter Benutzung einer 1776 von Spaletti gefertigten, in Gotha befindlichen genauen Abschrift der pfälzischen Handschrift, die sich damals in der vatikanischen Bibliothek zu Rom befand. Hierher war sie mit den übrigen Schätzen der Heidelberger Bibliothek 1623 übergeführt worden, um 1793 nach Paris gebracht zu werden und erst 1816 in ihre alte Heimat zurückzukehren. Nach Spalettis Abschrift gab dann Jacobs mit unveränderter Ordnung die "Anthologia graeca ad fidem codicis olim Palatini etc." (Leipz. 1813-1817, 3 Bde.) heraus. Eine spätere Ausgabe lieferte Dübner (Par. 1864-72, 2 Bde.). Unter den Auszügen aus der griechischen A. sind die von Weichert (Meiß. 1823), Jacobs (Gotha 1826) und Meineke (Berl. 1842) zu nennen. Einen ergänzenden Nachtrag von 241 inschriftlich erhaltenen Epigrammen brachte Welcker: "Sylloge epigrammatum graecorum" (Bonn 1828-1829), die neueste Sammlung der inschriftlichen Gedichte Kaibel: "Epigrammata graeca ex lapidibus