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Baden (Geschichte: Verfassungskämpfe 1831-1848).
Itzstein, Rotteck, Welcker, Duttlinger und Mittermaier; in der Ersten Kammer sprachen der Markgraf Wilhelm, der Fürst von Fürstenberg, v. Wessenberg u. a. im Sinn eines gemäßigten Liberalismus. Ein Antrag Itzsteins auf Wiederherstellung der Verfassung (d. h. Widerruf der 1825 stattgefundenen Abänderung) ward von beiden Kammern mit großer Majorität angenommen und von der Regierung sanktioniert. Unter den von der Regierung vorgelegten Gesetzentwürfen war der wichtigste der einer umfassenden Gemeindeordnung. Auch eine neue Zivilprozeßordnung kam zu stande, die neben vielen andern Verbesserungen die Öffentlichkeit und Mündlichkeit des Verfahrens als Regel festsetzte. Den Anträgen der Zweiten Kammer auf Abänderung des Gesetzes von 1820 über die Ablösung von Herrenfronen und auf Abschaffung der Zehnten entsprach die Regierung durch zwei Gesetzentwürfe, deren einer das Ablösungsgeld der Zehnten herabsetzte, der andre die Neubruchszehnten ohne Entschädigung aufhob. Auf die Motion Welckers auf Preßfreiheit legte die Regierung ein Preßgesetz vor, welches im allgemeinen die Presse freigab, bei der Diskussion noch erweitert ward und ins Leben trat.
Wichtig für die Entwickelung Deutschlands waren der Antrag Welckers auf "den Nationalrechten gemäße Entwickelung der organischen Einrichtung des Deutschen Bundes" und Rottecks Protest (2. Dez.) gegen die Bundesbeschlüsse, welche die in Straßburg erschienene Zeitschrift "Das konstitutionelle Deutschland" unterdrückten und eine Fortdauer der Karlsbader Beschlüsse aussprachen. Die ganze Kammer stimmte diesem Protest bei, und aus allen Teilen des Landes liefen mit zahlreichen Unterschriften bedeckte Adressen ein, welche dieselbe Zustimmung aussprachen. Das Preßgesetz mußte allerdings schon im Juli 1832 auf Beschluß des Bundestags, bei dem der badische Gesandte Blittersdorff, selbst reaktionär gesinnt, die Politik seiner Regierung nur widerwillig vertrat, zurückgenommen werden, und als infolgedessen die Regierung gegen mehrere Zeitungen einschritt und einige Volksversammlungen verbot, kam es zu einigen Ausbrüchen der Opposition, durch welche die Regierung sich bestimmen ließ, die Universität Freiburg September 1832 zu schließen, Rotteck und Welcker als Professoren zu pensionieren. Indes im ganzen regierte das Ministerium, solange Winter in demselben die maßgebende Stimme besaß, liberal und förderte durch Anschluß an den Zollverein, durch ein Forst- und Zehntablösungsgesetz, durch die Trennung der Schule von der Kirche u. a. das materielle und geistige Wohl des Landes. Die Opposition in der Kammer begnügte sich daher auch mit der Wahrung ihrer verfassungsmäßigen Rechte, zumal die Wahlen zeigten, daß die Bevölkerung kein tieferes Interesse an den politischen Kämpfen nahm. Erst als nach Winters Tod (1838) Blittersdorff der leitende Minister geworden war und die Kunst des Regierens nur in reaktionären Repressivmaßregeln suchte, hatte die Opposition, an deren Spitze jetzt neben Itzstein und Welcker noch Mathy und Hecker standen, bei ihrem energischen Widerstand gegen den verhaßten Minister die öffentliche Meinung auf ihrer Seite. Namentlich 1841 und 1842 kam es wegen der Verweigerung des Urlaubs für zwei liberale Beamte zum Eintritt in die Kammer und nach Auflösung dieses Landtags wegen des ministeriellen Befehls an die Beamten, bei den Neuwahlen für die Regierung einzutreten, zu heftigen Angriffen der Opposition auf die Minister. Ihre Anträge schärfsten Tadels der Regierung wurden von der Zweiten Kammer stets angenommen, aber nicht so von der Ersten, was den Ministern den Vorwand gab, sie nicht zu beachten; ja, die Regierung bezeichnete es 1842 sogar als eine besondere Gnade, daß sie die Kammer nicht wiederum auflöse, und erklärte, daß sie übrigens das Vorgefallene gern vergessen wolle. Wenigstens wurden dadurch das Zustandekommen des neuen Strafprozeßgesetzes mit Öffentlichkeit und Mündlichkeit des Verfahrens und eine Umgestaltung der Gerichtsverfassung, durch welche die Justiz von der Verwaltung auch in den untersten Instanzen getrennt ward, ermöglicht.
Blittersdorff erkannte, besonders nach dem Ausfall der letzten Wahlen, endlich selbst, daß er zu schroff vorgegangen, und kehrte 1843 als Bundestagsgesandter nach Frankfurt zurück, worauf erst Böckh, sodann 1845 Nebenius, ein wohlwollender und konstitutionell gesinnter Staatsmann, Ministerpräsident wurde. Aber das Blittersdorffsche System blieb, wenn auch gemildert, zunächst bestehen, da sich Nebenius ganz von dem Ministerialdirektor Rettig leiten ließ, welcher durchaus reaktionär gesinnt war. Als nun der durch die deutschkatholische Bewegung veranlaßte Antrag Zittels (15. Dez. 1845) auf volle freie und öffentliche Religionsfreiheit einen großen Petitionssturm der Ultramontanen gegen die Kammer hervorrief, glaubte die Regierung den Augenblick gekommen, um mit Hilfe der Ultramontanen die liberale Opposition zu besiegen und sich eine gefügige Kammermajorität zu verschaffen. Sie löste 9. Febr. 1846 die Kammer auf und ordnete Neuwahlen an. Aber ihre Erwartungen wurden gänzlich getäuscht. Die Liberalen gingen verstärkt aus den Wahlen hervor, und nun riet Blittersdorff selbst, nachzugeben und durch Berufung Bekks an die Spitze des Ministeriums den Liberalen entgegenzukommen. In der That wurde durch Bekks gemäßigte und milde Verwaltung eine Spaltung der Opposition in "Halbe" und "Ganze", in Liberale und Radikale, erreicht. Auf dem Parteitag zu Durlach 29. Nov., auf welchem die Gründung der "Deutschen Zeitung" beschlossen wurde, machte man vergebens den Versuch, den Zwiespalt zu beseitigen. Die Radikalen unter Hecker und Struve hielten 12. Sept. 1847 eine Volksversammlung in Offenburg ab, wo schon die weitgehendsten, fast sozialdemokratischen Forderungen erhoben wurden, wie Preßfreiheit, Gewissens- und Lehrfreiheit, Beeidigung des Militärs auf die Verfassung, Schutz der persönlichen Freiheit gegenüber der Polizei, Nationalvertretung bei dem Deutschen Bund, Verwandlung des stehenden Heers in eine volkstümliche Miliz, progressive Einkommensteuer, Geschwornengerichte, endlich Ausgleichung des Mißverhältnisses zwischen Kapital und Arbeit und Abschaffung aller Vorrechte. Dem gegenüber tagten die Liberalen 10. Okt. zu Heppenheim und beschlossen, vor allem eine gesamtdeutsche Volksvertretung, sei es im Bund, sei es im Anschluß an den Zollverein, zu fordern. Demgemäß stellte 5. Febr. 1848 Bassermann in der Zweiten Kammer den Antrag, es möge durch Vertretung der deutschen Ständekammern am Bundestag ein sicheres Mittel zur Erzielung gemeinsamer deutscher Gesetzgebung und einheitlicher Nationaleinrichtungen geschaffen werden. Seine Begründung durch den Antragsteller 12. Febr. erregte allgemeines Aufsehen in Deutschland und belebte von neuem die nationalen Hoffnungen. Die politische Bewegung in B. verfolgte also zu gleicher Zeit freiheitliche und deutschnationale Ziele.