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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Bern

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Bern (Stadt; Geschichte der Stadt und des Kantons).

Seelen der Bevölkerung, gewählt und alle vier Jahre erneuert. Oberste Exekutivbehörde ist ein Regierungsrat von neun Mitgliedern, der nach jeder Gesamterneuerung der Legislative neu bestellt wird. In den Amtsbezirken wird derselbe durch einen Regierungsstatthalter vertreten, der auf doppelten Vorschlag der Wahlversammlung des Amtsbezirks und auf doppelten Vorschlag des Regierungsrats durch den Großen Rat zu wählen ist. Höchste richterliche Behörde ist ein Obergericht, aus höchstens 15 Mitgliedern bestehend; dasselbe wird durch den Großen Rat gewählt und je nach vier Jahren zur Hälfte erneuert. Die Amtsgerichte werden durch die Wahlversammlungen der Bezirke bestellt, ihre Präsidenten durch den Großen Rat. Für Kriminal-, politische und Preßvergehen bestehen Geschwornengerichte. In Kommunalsachen gilt die Gemeinde als autonom.

Zufolge der Staatsrechnung für 1883 betrugen die Einnahmen 20,925,908 Frank (darunter: direkte Steuern 3,685,078, Salz 1,805,463, Wirtschaftspatente etc. 1,123,160, Ohmgeld 1,084,528 Fr.); die Ausgaben 20,900,005 Fr. (darunter Erziehung 1,998,403, Bauwesen 1,701,549, Justiz und Polizei 1,749,012 Fr.). Das Stammvermögen belief sich Ende 1883 auf 156,930,431 Fr. Aktiva und 107,290,315 Fr. Passiva, mithin wirkliches Vermögen 49,640,116 Fr., ungerechnet 4,161,408 Fr. an Spezialfonds. Das Kantonswappen: ein roter Schild, worin im goldenen Rechtsschrägbalken ein schwarzer Bär schreitet (s. Abbildung). Eingeteilt wird der Kanton in 30 Amtsbezirke.

Die Stadt Bern,

in 540 m Meereshöhe gelegen, ist zwar immer noch Sitz und Zentrum reicher Patriziergeschlechter, aber eine Handelsstadt im gewöhnlichen Sinne nicht mehr. Dennoch laufen mehrere Eisenbahnen (die Linien Olten-Bern-Thun, Bern-Luzern, Jura-Bern und Bern-Lausanne) hier zusammen, eine Folge ihrer Lage und ihrer Eigenschaft als Bundeshauptstadt. Sie wird auf drei Seiten von der tief gebetteten Aare umrauscht und ist eine der schönsten Schweizerstädte wegen der massiven, stolzen Wohnhäuser, der breiten, geraden Straßen und Wege, der Arkaden oder Bogengänge ("Lauben"), welche an den Häusern zu beiden Seiten der Straße sich hinziehen. Von der Plattform aus, 30 m über der Aare, genießt man eine herrliche Aussicht auf die Alpen. Unter den Sehenswürdigkeiten steht der Bundespalast, ein neuer Prachtbau auf weit schauender Terrasse, mit zwei Flügeln und vor dem Eingang des Mittelbaues durch das eherne Standbild der Berna (von R. Christen) geschmückt, obenan. Diesem Gebäude (1852-57 nach den Plänen von Kubli und Stadler gebaut) reihen sich das ehrwürdige (reformierte) Münster im spätgotischen Stil mit unvollendetem Turm und schönem Portal, das Bürgerspital, das Kunst- und das naturhistorische Museum, das Gymnasium, das Frauenspital, die Blindenanstalt und das Verwaltungsgebäude der Jura-B.-Luzerner Bahn, verschiedene vornehme Hotels, die 1841-44 erbaute Nydeck-, die 1883 erbaute prächtige Kirchenfeldbrücke (s. Tafel "Brücken") und die Eisenbahnbrücke an. Außerhalb der Stadt sind sehr bemerkenswert die Militäranstalten auf dem Beundenfeld und das neue Inselspital bei der Linde. Eine prachtvolle Fontäne sprudelt beim Bahnhof. Auf dem Platz vor dem Münster steht das Denkmal Rudolfs von Erlach, des Siegers in der Schlacht bei Laupen. Ein andres Denkmal ist das Bertholds V. von Zähringen (auf der Münsterterrasse), des Gründers von B., und aus der großen Schanze dasjenige des Bundespräsidenten Stämpfli. Die Stadt zählt (1880) 44,087 Einw. (darunter 3456 Katholiken und 387 Juden). - Die Industrie erstreckt sich auf die Fabrikation von Stroh- und Seidenhüten, Seiden- und Baumwollwaren, Bijouterien, ferner Buchdruckerei. Der Handel in Tuch, Wein, Getreide und Käse hat nur geringen Umfang. Auf Einwohner und Touristen übt der Bärengraben, eine uralte Stiftung, noch immer viel Anziehung. Nicht übel symbolisiert das bernische Wappentier die etwas derbe, aber kraftbewußte Energie des alten B. Zeichnete Zürich sich von jeher auf dem Gebiet der Industrie und Wissenschaften aus ("Schweizer Athen", "Limmat-Athen"), so ragte die Berner Aristokratie mehr auf dem Felde der Krieger und Regenten hervor. Doch besitzt B. seit 1834 eine Universität, die 1884: 81 Dozenten und 409 Studierende (darunter 36 weibliche, wovon 28 Russinnen) zählte. Zur Universität gehört die Tierarzneischule mit 8 Lehrern und 44 Hörern. Die Kantonschule wurde durch städtische Mittelschulen ersetzt. Von Bibliotheken sind zu erwähnen: die eidgenössische Zentralbibliothek mit 20,000 Bänden, die Stadtbibliothek (75,000 Bände), die Bibliothek der Lesegesellschaft (45,000 Bände) und die Studentenbibliothek (10,000 Bände). B. ist Sitz der Bundesbehörden (seit 1848), eines altkatholischen Bischofs und der bei der Schweiz akkreditierten Gesandten.

Geschichte der Stadt und des Kantons Bern.

Die Zeit der römischen Herrschaft in Helvetien hat im Gebiet des heutigen Kantons B. nur geringe Spuren hinterlassen. In der Völkerwanderung begegneten sich hier Alemannen und Burgunder, mit deren Unterwerfung das Land unter fränkische Herrschaft kam. Seit 888 ein Bestandteil des neuburgundischen Reichs, fiel es mit diesem 1032 an Deutschland. Die Zähringer, welche 1156 von Barbarossa das "Rektorat" über das diesseit des Jura gelegene Burgund erhalten hatten, suchten den widerspenstigen Adel durch Anlegung fester Waffenplätze im Zaum zu halten; so gründete im Mai 1191 Berchtold V. die Stadt B., welche er wohl zum Andenken an die ehemals von seinem Haus besessene Markgrafschaft Verona (Welschbern) so benannte. Da die Stadt auf Reichsgrund lag, wurde sie mit dem Tod ihres Gründers, in welchem das Geschlecht erlosch, 1218 thatsächlich reichsfrei, obschon die "goldene Handfeste" des Kaisers Friedrich II. vom 17. Mai d. J. als eine Fälschung aus späterer Zeit erwiesen worden ist. Um den Nachstellungen der mächtigen Grafen von Kyburg zu entgehen, welche die schweizerischen Allodien der Zähringer geerbt hatten, begab sie sich 1255 in ein Schirmverhältnis zu Savoyen, wodurch sie in den Streit dieses Hauses gegen Rudolf von Habsburg verwickelt wurde und wiederholte Belagerungen von seiten des letztern zu erdulden hatte (1288-89). Ein Sieg, den B. 1298 über das österreichische Freiburg und den mit ihm verbündeten Adel am Dornbühl erfocht, begründete seine Macht. Es benutzte dieselbe, um die benachbarten Dynasten zu zwingen, Bürger in der Stadt zu werden, was sie zur Kriegsfolge verpflichtete und ihr Gebiet indirekt unter die Herrschaft von B. brachte. Andre Besitzungen wurden durch Kauf erworben, wie Thun (1323), Laupen (1324), die Reichsvogtei über Hasli (1334). 1339 vereinte sich fast der gesamte Adel des schweizerischen Burgund mit Freiburg gegen B., wurde aber von diesem mit Hilfe der

^[Abb.: Wappen von Bern.]