Schnellsuche:

Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Bildhauerkunst

938

Bildhauerkunst (griechische: zweite Blüteperiode).

coli, s. Tafel II, Fig. 11, zeigt eine spätere Umbildung des Ideals). Als weitere Werke des Phidias werden die Bilder der Athene Parthenos und Athene Promachos, der Aphrodite Urania, der lemnischen Athene, des Apollon, eine Gruppe von Erzstatuen (die attischen Landesheroen, Athene und Apollon, dazu Miltiades), welche die Athener infolge des marathonischen Siegs nach Delphi weihten, u. a. genannt. Unter den Schülern des Phidias glänzen namentlich Alkamenes (Werke: Statuen des Dionysos, Asklepios, Ares, Hephästos, der Hera und der Aphrodite, Figuren des Westgiebels vom olympischen Zeustempel, neuerdings wiedergefunden; s. Tafel III, Fig. 1), Agorakritos (Nemesis zu Rhamnus) und Kolotes. Von den Leistungen eines Zeitgenossen, des Päonios von Mende, hat die Wiederauffindung eines Originalwerks, der Marmorstatue einer Nike in Olympia (s. Tafel III, Fig. 2), und der wohl nach seinen Entwürfen von untergeordneten Kräften ausgeführten Gruppe des Ostgiebels vom Zeustempel zu Olympia eine klare Vorstellung gegeben. Daneben blühte auch die Schule des Myron in Lykios, Kresilas, Strongylion u. a. weiter. Andre, wie Kallimachos und Demetrios, stehen mehr selbständig da. Eine nähere Anschauung, als wir durch die Berichte der alten Schriftsteller und durch die spätern Nachbildungen einzelner Meisterwerke von der Kunstbildung dieser Periode gewinnen, geben uns die zur Ausschmückung der Tempel gefertigten Skulpturen, von denen uns zahlreiche Beispiele erhalten sind. Sie führen die schönste Blüte der griechischen Kunst in ihrer wunderbaren Hoheit, in der lautern Einfalt ihres Stils, in der frischen, natürlichen Kraft, die ihr eigen ist, unsern Augen vor; sie, die noch nicht oder nur ausnahmsweise als Arbeiten der höchsten Meister betrachtet werden dürfen, lassen uns ermessen, welche Vollendung die letztern ausgezeichnet haben müsse. Diesen Tempelskulpturen, bei welchen übrigens die vom Orient übernommene Polychromie am umfassendsten durchgeführt wurde, sind sodann noch einige wenige Arbeiten verwandten Stils anzuschließen. Hierher gehören die Skulpturen mehrerer Tempel auf der Burg (Akropolis) von Athen, des Tempels der Nike Apteros, des Parthenons und des Erechtheions, ferner des sogen. Theseustempels in der Unterstadt und des Apollontempels zu Bassä (Phigalia) in Arkadien, des olympischen Zeustempels, Skulpturen, die sich noch teilweise erhalten haben und jetzt sich teils in Athen, teils im Britischen Museum befinden. (Probe vom Parthenonfries s. Tafel II, Fig. 3; daselbst, Fig. 4, ein Kopf aus attischer Schule.)

Während in der attischen Kunst frühzeitig ein idealer Zug hervortritt, eine Neigung für schwungvollere, feinere Formen, wodurch sie von selbst dazu geführt wurde, religiöse Stoffe, das Kultusbild vor allem, zu bevorzugen, haftet der bildenden Kunst im Peloponnes ein mehr formalistischer Charakter an; die vollkommenste Durchbildung der Körperformen, die Feststellung eines normalen Ebenmaßes der Verhältnisse wird höchste Aufgabe der Kunst, die das Problem nicht in bewegten Kompositionen, in bedeutungsvollen Vorwürfen, sondern in der Darstellung ruhiger, stehender Jünglingsfiguren zu behandeln liebte. So werden Erzstatuen von Siegern in den Olympischen und andern Spielen ein Hauptgegenstand der peloponnesischen Plastik. In ihnen zeichnete sich auch der Hauptvertreter derselben aus, der Führer der sikyonisch-argivischen Schule, Polykletos von Sikyon (ca. 450-410 v. Chr.). Unter seinen Werken verdienen das Kolossalbild der Hera im Tempel von Argos, von dessen Kopftypus uns der schöne Herakopf zu Neapel, aber nicht der bekannte der Hera Ludovisi (s. Tafel II, Fig. 12), eine Vorstellung gibt, Statuen des Hermes, des Zeus, des Herakles und andrer Götter und Heroen, vor allen aber seine zahlreichen Standbilder aus dem Athletenkreis Erwähnung. In einer der letztern Figuren, dem Speerträger (Doryphoros), schuf er eine Normalgestalt des Jünglingskörpers, die andern Künstlern als Muster diente und daher den Beinamen Kanon erhielt. Sowohl von dieser als von dem sogen. Diadumenos, der Statue eines Jünglings, der sich die Siegerbinde um das Haupt schlingt, sind uns Nachbildungen erhalten, in denen sich die eigentümlich schweren, gedrungenen Formen des Polykletischen Stils ausprägen. Eine große Anzahl von Künstlern gruppiert sich um diesen Meister. Der bedeutendste von ihnen war Naukydes von Argos, der Götter- und Athletenstatuen schuf und seinerseits Schüler (Polyklet den jüngern, Alypos) heranbildete.

In der zweiten Blüteperiode der griechischen B. ist zunächst wiederum die Schule von Athen bedeutend. Sie bleibt insofern ihrer frühern Richtung getreu, als es auch in dieser Zeit vorzugsweise die Gestalten der idealen Welt, die Kreise der Götter- und der Heroenmythen sind, in denen ihre Leistungen sich bewegen. Aber die großen Veränderungen im griechischen Leben, welche durch den Peloponnesischen Krieg hervorgerufen worden waren, bewirkten auch in der bildenden Kunst eine wesentlich verschiedene Auffassung und Behandlung. Ein tiefer erregtes Gefühl, eine mehr innerliche Leidenschaft, ein stärkeres Pathos oder eine feinere Empfindung, ein Zurücktreten des strengen Ernstes der Auffassung hinter einer weichern Anmut machen sich jetzt in den Gebilden der Kunst bemerklich. Demgemäß treten viele der früher behandelten Gegenstände, die den Ausdruck einer höhern Ruhe forderten, von dem künstlerischen Schauplatz zurück; und andre, in denen die neue Richtung sich angemessener ausdrücken konnte, rücken an ihre Stelle. In letzterer Beziehung sind namentlich diejenigen Gottheiten, deren Verehrung aus jener tiefern Erregung des Gefühls entspringt, Dionysos und Aphrodite, und der Kreis der Gestalten, die sich um sie bewegen (Eros, Silene, Satyrn und Mänaden), zu nennen: sie werden jetzt von den Meistern der athenischen Schule mit besonderer Vorliebe gebildet, und es wird ihnen das ganze Gepräge gegeben, welches denselben die ganze folgende Zeit der klassischen Kunst hindurch geblieben ist. Ebenso machen sich auch manche Veränderungen in der technischen Ausführung bemerklich. Es wird auf eine noch weichere, flüssigere Behandlung hingestrebt. Die glänzende Pracht der aus Elfenbein und Gold gebildeten Statuen verschwindet oder erscheint nur noch in vereinzelten Leistungen; auch das Erz ist weniger beliebt, dagegen wird das ebenmäßig klare Material des Marmors (von seiten der attischen Künstler) in den meisten Fällen angewandt, die Darstellung auf die eigentümliche Wirkung des Stoffes berechnet. Den Übergang von der ältern zur jüngern Schule bildet Kephisodotos, Praxiteles' Vater, von dessen Gruppe der Irene mit dem Plutoskind die Glyptothek zu München eine Nachbildung besitzt (s. Tafel II, Fig. 5). Als die bedeutendsten Meister dieser Schule werden Skopas und Praxiteles genannt. Skopas, aus Paros gebürtig und etwa 390-350 thätig, war Architekt und Bildhauer zugleich. So erbaute er den Tempel der Athene Alea in Tegea, einen der größten und prächtigsten im Peloponnes, und versah ihn zugleich