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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Bodenmelioration

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Bodenmelioration (rationelle Meliorationspolitik).

Privatwirtschaft entweder reines Naturprodukt oder zugleich Arbeits- und Kapitalprodukt. Die Menschen können die natürlichen Produktionsbedingungen desselben dauernd verändern; sie können diese Bedingungen verbessern, aber auch verschlechtern. Im allgemeinen findet bei einem wirtschaftlich fortschreitenden Volk das erstere statt. Der heutige landwirtschaftliche Boden ist das Ergebnis jahrhundertelanger Verbesserungsarbeiten. Man unterscheidet in jener Hinsicht Bodenmeliorationen (Bodenverbesserungen) und Bodendeteriorationen (Bodenverschlechterungen). Jene sind dauernde Verbesserungen der natürlichen Produktionsbedingungen des landwirtschaftlichen Bodens durch Verwendung von Arbeit und Kapital oder Bodenanlagen, durch welche der Bodenertrag dauernd gesteigert wird; diese sind dauernde Verschlechterungen der natürlichen Produktionskraft des landwirtschaftlichen Bodens durch Handlungen der Menschen, z. B. Raubbau, Abholzungen etc.

Bodenmeliorationen (s. oben, S. 111) können ein wichtiges Förderungsmittel der Landwirtschaft sein. Sie bilden einen Hauptgegenstand der Agrarpolitik, weil eine Reihe derselben eine besondere Gesetzgebung und ein besonderes Verhalten der Staatsverwaltung erheischt. Man kann sie von verschiedenen Gesichtspunkten in Arten unterscheiden: 1) nach dem Zweck der Anlage in Urbarungen (Umwandlung von Wald, Moorland, Ödland etc. in Ackerland), Ent- und Bewässerungsanlagen, Flußkorrektionen, Deichanlagen, Erdarbeiten zur Ausgleichung der Oberfläche, Mergelungen etc.; 2) nach dem Resultat in solche, durch welche neue Grundstücke für die landwirtschaftliche Produktion gewonnen werden, z. B. Flußkorrektionen, Entsumpfungen, Rodungen, Deichanlagen etc., und in solche, durch welche bereits der landwirtschaftlichen Produktion dienende Grundstücke nur in ihrer Produktivität erhöht werden, z. B. Drainage, Bewässerung, Mergelung etc., und 3) nach ihrer Durchführbarkeit bezüglich des Objekts, je nachdem sie schon auf einem Gut ausführbar sind oder nur auf mehreren Gütern zugleich ausgeführt werden können, und bezüglich der Personen, je nachdem sie durch einen Landwirt oder nur durch mehrere Landwirte oder allein durch den Staat vorgenommen werden können. Es ist hier nicht die Aufgabe, die Vorteile und Nachteile der einzelnen Bodenmeliorationen, die Bedingungen ihrer rationellen Durchführung und die Technik der Anlagen darzustellen (s. darüber die landwirtschaftlichen Spezialartikel und Bodenbearbeitung, S. 111). Hier sollen nur die Grundsätze der rationellen Politik und die Geschichte der thatsächlichen Politik in Bezug auf B. behandelt werden.

I. Rationelle Bodenmeliorationspolitik.

Für das richtige Verhalten des Staats in Bezug auf Bodenmeliorationspolitik, damit die im Interesse der Land- und Volkswirtschaft nützlichen Bodenmeliorationen nach Maßgabe der zur Verfügung stehenden Kapitalien in möglichst hohem Maß vorgenommen werden, kommt die vorher ad 3) erwähnte Unterscheidung der B. in Betracht, ob die B. schon auf einem Gut oder nur auf mehreren Gütern oder überhaupt nicht mehr von Privaten ausführbar ist.

A) Bei den Bodenmeliorationen, die schon auf Einem Gut ausführbar sind, hat nur der einzelne Grundbesitzer den Vorteil. Hier ist es die richtige Politik, dem Einzelnen es zu überlassen, ob er in seinem Interesse die B. vornehmen will oder nicht. Hier ist weder eine direkte Unterstützung mit Staatsmitteln noch der Zwang zur Vornahme gerechtfertigt. Denn der Staat hat erstens nicht die Aufgabe, die wirtschaftliche Lage des Einzelnen auf Kosten andrer zu verbessern, wenn der Einzelne selber dazu die Fähigkeit hat. Thut er es, so handelt er ungerecht gegen die Steuerzahler und gegen andre, die in gleicher Lage sind, und die er nicht unterstützt. Eine solche Politik hätte dazu den weitern Nachteil, daß der Staat dadurch einen der wichtigsten Hebel, um die Landwirte zur energischen Besserung ihrer Wirtschaftsverhältnisse anzutreiben, beseitigt, nämlich die Gewißheit, auf ihre eigne Kraft vertrauen und durch diese vorwärts kommen zu müssen. Und der Staat hat zweitens nicht das Recht, den Einzelnen zu zwingen, sich einen Vermögensvorteil zu schaffen, wenn derselbe diesen Vorteil nicht haben will. Nur ganz ausnahmsweise könnte bei solchen Bodenmeliorationen die Gewährung von Vorschüssen, resp. Zuschüssen aus Staatsmitteln gerechtfertigt werden, z. B. wenn es darauf ankäme, durch das Beispiel einer gelungenen B. in einer Gegend andre Bodenmeliorationen derselben Art zu veranlassen, und ohne staatliche Unterstützung ein solches Beispiel nicht zu bewerkstelligen wäre. Zur Förderung dieser B. hat sich die Wirksamkeit des Staats zu beschränken auf die allgemeine Fürsorge für die Hebung der landwirtschaftlichen Bildung, auf die nachher zu erwähnende Sorge für die Existenz von tüchtigen Kulturtechnikern, auf die wirkliche Erfüllung der allgemeinen Amtspflicht seiner Verwaltungsbeamten, ihren Einfluß und ihre Einsicht geltend zu machen zur Steigerung auch der privatwirtschaftlichen Thätigkeit der Bewohner ihres Bezirks, und auf die Sorge dafür, daß die Agrargesetzgebung der Vornahme solcher B. nicht hinderlich ist. Die Erlangung der für diese B. nötigen Kapitalien kann er endlich noch erleichtern durch die Errichtung von auch aus andern Gründen zweckmäßigen Landeskulturrentenbanken (s. d. und unten). Im übrigen aber muß es den Landwirten überlassen werden, ihr Interesse wahrzunehmen. Diese können ihrerseits durch landwirtschaftliche Vereine das meiste dazu beitragen, daß Bodenmeliorationen dieser Art, wo sie wünschenswert sind, zu stande kommen.

B) Eine andre Politik ist geboten, wenn Bodenmeliorationen nur möglich sind durch die gleichzeitige Beteiligung mehrerer Landwirte an denselben. Es handelt sich hier um größere, in der Regel kompliziertere und kostspieligere Unternehmungen; die hauptsächlichsten sind: die Entwässerung einer Gemeindemarkung, resp. größerer Teile derselben durch Drainanlagen, Abzugskanäle und Gräben, die regelmäßige Bewässerung von größern Wiesenkomplexen, die Kultivierung von gemeinsamen Hochmooren, die Entwässerung sumpfiger Ländereien oder Ableitung von Seen, welche gemeinsames Eigentum einer größern Zahl von Personen, resp. Gemeinden sind, die Anlagen zum Schutz einer größern Zahl von Ufergrundstücken gegen Überschwemmung etc. Bei diesen Bodenmeliorationen walten eigentümliche Verhältnisse ob. Sie sind einmal nur ausführbar in der Weise, daß die betreffenden Grundbesitzer eine Genossenschaft ad hoc (Meliorationsgenossenschaft) bilden, um gemeinsam nach einem vorher entworfenen, alle Grundstücke umfassenden einheitlichen Plan die B. vorzunehmen und die zur Sicherung der B. nötigen Anstalten dauernd zu unterhalten. Die Gründung solcher Genossenschaften ist aber bei voller Freiheit der Grundeigentümer, und wenn man sie lediglich den Einzelnen überläßt, sehr schwierig, in vielen Fällen geradezu unmöglich. Denn