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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Börse

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Börse (Börsenverkehr, Börsenordnungen, Winkel-, Sonntags-, Abendbörsen).

begründet die B. eine Teilung der Arbeit innerhalb der Zeit, indem die Interessenten sich gegen Gefahren schützen können, von welchen sie durch die Veränderung der Zeitverhältnisse bedroht sind. Sie ist das Theater, auf dem sich die eigentlichen Spekulationen abspielen. Schwankungen im Preise sind aber die verschiedenen Waren in ungleicher Weise ausgesetzt, und deshalb eignen sie sich auch nicht alle gleichmäßig als Objekt der Spekulation.

Gegenstände des Börsenverkehrs.

Besonders passende Gegenstände des Börsenverkehrs sind einerseits die Rohprodukte, die in den einzelnen Jahren, je nach der Witterung, in ungleicher Reichlichkeit produziert werden, vorausgesetzt, daß die Qualitäten nicht zu mannigfach sind (also Getreide, Spiritus, Öl, Kaffee u. dgl.), anderseits die zahlreichen Kreditpapiere (Wechsel, Staatspapiere, Aktien, Obligationen, Prioritäten, Pfandbriefe etc.). Danach unterscheidet man namentlich Warenbörse, Effektenbörse und Wechselbörse. So bestehen in London außer der königlichen B. (royal exchange) für den allgemeinen Waren- und Wechselverkehr eine Fondsbörse (stock exchange) für englische Papiere, eine solche für fremde Fonds (foreign stock exchange), eine Getreidebörse (corn exchange), eine Kohlenbörse (coal exchange) und eine Schiffahrts- und Versicherungsbörse, Lloyd's genannt. Auch Amsterdam hat eine besondere Kornbörse; Berlin eine Getreide- und Produktenbörse etc.; Leipzig neben der alten Wechsel- und Fondsbörse eine Öl- und Produktenbörse, eine Handels- und Industriebörse, dann die deutsche Buchhändlerbörse, wo jährlich einmal die Vertreter des gesamten deutschen Buchhandels sich vereinigen, um ihre gegenseitigen Rechnungsverhältnisse zu ordnen; Wien eine sogen. Geldbörse für die Geschäfte in Münzen und Papieren und seit 1859 eine Warenbörse für Waren-, Pfand-, Assekuranz-, Fracht- und Speditionsgeschäfte. Infolge der Produktion ihrer Umgegend Zentralpunkte für den Umsatz eines einzelnen wichtigen Artikels geworden, haben als besondere Börsen für denselben Frankfurt a. M., Augsburg, Stuttgart, Mannheim, Mainz, Lissa und Jüterbog eine Produktenbörse, Stuttgart zugleich eine Weinbörse, Döbeln eine Getreidebörse, Prenzlau eine Rapsbörse, Hagen eine Eisenbörse (halbjährlich), Bochum eine Kux- und Bergwerksaktien-Börse. Nach dem Vorgang der erwähnten englischen Lloyd's entstanden Börsenversammlungen für die Behandlung von Schiffs- und Seeversicherungsangelegenheiten in Triest (der österreichische Lloyd), Paris (Lloyd français), Nantes (Lloyd Nantais) und Hamburg (die Börsenhalle); eine Abteilung des österr. Lloyd betreibt auch Dampfschiffahrt unter Staatssubvention. Die Londoner und Pariser Anstalten sind zugleich Schiffsklassifikationsgesellschaften. Noch sind die in neuester Zeit an einigen deutschen Plätzen errichteten Industriebörsen zu erwähnen. Die zu Stuttgart 6. Febr. 1860 eröffnete ist der Baumwollindustrie Süddeutschlands gewidmet. An ihr beteiligen sich aber nicht nur Fabrikanten und Großhändler in dem bezeichneten Geschäftszweig, sondern außer Banken und Kreditanstalten auch Produzenten in Hopfen, Obst, Wein etc. Eine 4. Aug. 1860 zu Frankfurt a. M. eröffnete Industriebörse sollte den Vereinigungspunkt für das Verkehrs- und Industriewesen Nord- und Süddeutschlands abgeben, hat aber den gehegten Erwartungen wenig entsprochen. Der Grund hiervon liegt wohl darin, daß sich der Warenverkehr, der Börsen minder benötigt, leicht ohne deren Vermittelung zwischen den einzelnen Handlungshäusern abwickelt.

Börsenverkehr, Börsenordnungen.

Der Börsenverkehr, namentlich die Form des Geschäftsabschlusses, unterliegt überall gewissen Regeln, welche gewöhnlich nach den Anträgen der Handelsbehörde des betreffenden Orts von der Staatsregierung sanktioniert sind. Die Zusammenkünfte finden regelmäßig täglich, mit Ausnahme der Sonn- und Feiertage, nach Maßgabe besonderer Börsenordnungen statt. Die Börsenordnungen enthalten Vorschriften über die Zutrittsberechtigung, Zeit (Stunde) und Ort der Versammlungen und Geschäftsabschlüsse, Feststellung der Durchschnittspreise etc. und der Börsenbeiträge. Die Überwachung der Ordnung an der B. ist sogen. Börsenkommissaren anvertraut, die hier und da auch Börsen alte oder Börsenälteste heißen und aus dem Kaufmannsstand gewählt werden. Die Börsenbehörde oder ein Ausschuß derselben (Sachverständigenkommission) nimmt an vielen Orten den Charakter eines Handelsschiedsgerichts an. Zu den Obliegenheiten der Börsenkommissare gehören aber meist auch die Feststellung und Publikation der Preise, zu welchen Abschlüsse stattgefunden haben, auf den Börsenpreiskuranten und Börsenkurszetteln. Auch erteilt die Börsenbehörde bindende Vorschriften für den Verkehr, namentlich in Bezug auf Zeit und Form der Erfüllung der Verträge und auf Qualität der Leistungen. Der Zutritt zu den Börsenversammlungen, die sogen. Börsenfähigkeit, steht in der Regel allen unbescholtenen dispositionsfähigen Personen zu; Frauen und nicht rehabilitierte Falliten sind ausgeschlossen. Das Innere der Londoner Fonds- und Aktienbörse darf nur von den durch den Vorstand (committee for general purposes) als Mitglieder aufgenommenen Personen derselben, die entweder Spekulanten (jobbers und dealers) oder Makler (brokers) sind und eine Korporation bilden, betreten werden. Diese Mitgliedschaft kostet 21 Pfd. Sterl. Fast allenthalben muß für den Börsenbesuch eine Abgabe entrichtet werden und zwar entweder für einen bestimmten Zeitraum, wie in Berlin, Frankfurt a. M., Wien, oder für jedes einzelne Erscheinen, oder nach Belieben für einen Zeitraum oder für den Einzelbesuch, wie in Paris. Hier wurden die Börseneintrittsgelder (tourniquets), welche für 1861 zu 750,000 Frank veranschlagt waren, im November d. J. aufgehoben. Börsenzeit sind mit wenigen Ausnahmen die ersten Nachmittagsstunden. Beginn und Ende der Versammlungen werden durch Lauten mit einer Glocke verkündigt. Zu später Eintritt in die B. und zu langes Verweilen in derselben pflegen mit einer Geldstrafe belegt zu sein, deren Ertrag meist Wohlthätigkeitszwecken gewidmet ist. An manchen Plätzen bestehen auch sogen. Winkelbörsen (Nebenbörsen), die durch lästige Beschränkungen, namentlich enge Begrenzung der Börsenzeit, hervorgerufen worden sind. Man hat diese an einigen Orten (so namentlich Paris) zu unterdrücken gesucht, jedoch nicht immer mit Erfolg. Den Sonntagsbörsen und Abendbörsen (s. d.), welche sich ebenfalls leicht heranbilden, hatte man in Wien anfangs keine Schwierigkeiten in den Weg gelegt. Doch wurde 26. Sept. 1872 die Teilnahme an solchen Versammlungen mit der sofortigen Entziehung der Börsenkarte bedroht und durch das Gesetz über die B. vom 1. April 1875 verboten. In Berlin bestand lange als Sonntagsbörse der "Privatverkehr", der aber neuerdings polizeilich untersagt wurde, in Prag besteht zu gleichem Zweck die "Kaufmännische Ressource". In der Pariser Fonds- und Aktienbörse heißt Parkett (auch corbeille, Korb; in Wien "der