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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Börse

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Börse (Fix-, Differenzgeschäfte, Agiotage, Prämiengeschäfte).

daher "Ultimogeschäft") rechnet, mithin à la baisse spekuliert, verkauft à découvert (ungedeckt) oder in blanco, er "fixt", d. h. er verkauft Objekte, die er noch gar nicht besitzt, und der Käufer spekuliert umgekehrt à la hausse, will die Differenz zwischen dem niedrigen Abschluß und dem gestiegenen Stichtagkurs gewinnen.

Von den gewöhnlichen Zeit- oder Lieferungsgeschäften unterscheiden sich die an der B. geschlossenen Zeitgeschäfte oder sogen. Fixgeschäfte zunächst durch eine juristische Eigentümlichkeit, indem auch das formelle Recht bei letztern die Differenz als das Punctum saliens des gesamten Börsenverkehrs anerkennt (vgl. Art. 354-357 des Reichshandelsgesetzbuchs). Um die Differenz drehen sich alle Lieferungsgeschäfte, und wenn die Bestimmungen des Art. 357, Abschn. 3 des Reichshandelsgesetzbuchs zur Anwendung kommen, dann wird schon nach diesen nicht mehr und nicht weniger als die Kursdifferenz bezahlt. Diese bloße Zahlung der Differenz statt des vollen Kaufpreises kann aber auch die Folge der an den Börsen eingeführten Form der Abwickelung sein. Da nämlich die Spekulanten am Erfüllungstag meist bereits ihre Spekulation wieder realisiert haben, so lassen sie ihre Verpflichtung durch denjenigen erfüllen, der durch das Realisationsgeschäft an ihre Stelle getreten, und treten selbst nur so weit ein, als die Preisdifferenz zwischen den beiden Abschlüssen in Betracht kommt. Wenn jemand von A zu 100 gekauft und dem B zu 105 verkauft hat, so kann er den B anweisen, von A in Empfang zu nehmen, und da A nur 100 zu bekommen hat, kann er den Überschuß 5 an sich zahlen lassen. Auch derjenige, mit dem das Realisationsgeschäft gemacht wurde, kann dieses seinerseits als Spekulations- oder Realisationsgeschäft gemacht haben und durch die weitere Person, mit der er noch außerdem kontrahiert hat, erfüllen lassen. So finden die Ablieferungen zwischen ganz andern Personen statt als zwischen den Kontrahenten, indem den Empfangsberechtigten immer neue Firmen genannt (wie der übliche Ausdruck lautet: "Adressen gegeben") werden, mit welchen sie abzuwickeln haben. Die Abwickelungen zwischen diesen Parteien aber, die ja unter sich gar nicht abgeschlossen, also auch keinen Preis vereinbart haben, finden der Bequemlichkeit halber zu einem gleichmäßigen, am Erfüllungstag vom Börsenvorstand festgesetzten Kurse statt (sogen. Kompensationskurs). Die eigentlichen Kontrahenten haben dann untereinander nochmals abzurechnen wegen der Differenz, die zwischen dem von ihnen ursprünglich vereinbarten Kurs und dem Ablieferungskurs sich ergeben hat. Wenn A von B zu 102 gekauft und an C zu 104 verkauft hat, und am Erfüllungstag wird der Kompensationskurs auf 100 festgesetzt, so liefert B an C zu 100, hat aber noch 2 von A zu bekommen, während C noch 4 an A zahlen muß. So kann jedes Zeitgeschäft, ja sogar auch ein Kontantgeschäft teilweise oder ausschließlich durch Zahlung einer Differenz ausgeglichen werden. Man nennt nun aber gewöhnlich speziell Differenzgeschäfte diejenigen Spekulationsgeschäfte, bei denen es nur auf den Gewinn der Differenz abgesehen ist, zu deren Abschluß keinerlei Motiv treibt außer der Hoffnung auf diesen Gewinn. Der Sache nach nähert sich das Differenzgeschäft in diesem Sinn sehr stark dem Hasardspiel und der Wette. Man könnte nur dann dasselbe günstiger beurteilen, wenn sich zeigen ließe, daß dasselbe notwendig ist, damit künftige Ereignisse schon im voraus bei der Preisgestaltung Berücksichtigung finden und somit übermäßige Preisschwankungen verhindert werden. Allein einerseits könnte wohl meistens diese Funktion von dem reellen, des wirklichen Ankaufs, resp. Verkaufs wegen unternommenen Geschäft mit besorgt werden, anderseits sind die Bestimmungsgründe der Preise oft solche, daß sie gar nicht durch Nachdenken und Erfahrung vorher zu berechnen sind, das Erraten daher nur Sache des Zufalls ist. Trotzdem kann es nicht wundernehmen, daß gerade in unsern Tagen so außerordentlich viel in Differenzen spekuliert wird (nach G. Cohn, "Die B. und die Spekulation", Berl. 1868, verhalten sich im Getreidehandel der Berliner B. die Differenzgeschäfte zu dem effektiven Warenumsatz jährlich wie 20:1, 2 Mill. Wispel Roggen zu 100,000 Wispel effektiv). Man streitet nun viel über Rechtsbeständigkeit und Wirksamkeit dieser Geschäfte und über die Frage ihrer gesetzlichen Regelung. Man hat auch wohl ein allgemeines Verbot der Differenzspekulation verlangt; doch hatten die gegen dieselbe in einzelnen Staaten ergriffenen Maßregeln wenig Erfolg, weil das effektive Umsatzgeschäft und das Differenzgeschäft praktisch nicht voneinander zu scheiden, denn reelles Geschäft und Differenzgeschäft bewegen sich genau in denselben Formen. Die zwischen beiden Kontrahenten abgeschlossene Vereinbarung enthält keineswegs immer etwas Unmögliches oder etwas Unsittliches. Weiter ist zu erwägen, daß dasselbe Geschäft für den einen der Kontrahenten ein Spiel, für den andern Teil eine reelle Anlage oder Realisierung des Besitzes sein kann. Ist auch nicht zu leugnen, daß das reine Differenzgeschäft den Charakter der Wette und des Spiels trägt und vielfach auch ganz die gleichen Folgen hat wie diese, so gehen doch die Angriffe gegen dasselbe oft zu weit und werden ungerecht. Auch die Gesetzgebung hat neuerdings darauf verzichtet, die Differenzgeschäfte ganz zu unterdrücken; ja, in Frankreich, wo dieselben bisher nicht klagbar waren, ist man gerade nach der Börsenkrisis vom Januar 1882 zu dem Entschluß gekommen, sie als bindende Verträge zu behandeln, um auf diesem Weg zu größerer Vorsicht beim Eingehen derselben zu veranlassen. Denn allerdings müssen dieselben als durchaus bedenklich und unratsam bezeichnet werden. Namentlich der Kleinkapitalist ist in der That aufs dringendste vor der Differenzspekulation zu warnen; die Vorteile, welche der große Verkehr von den Differenzgeschäften zieht, sind nicht selten den Nachteilen zu danken, die der Kleinspekulant erfährt. Wenn das bloße Differenzspiel überwuchert, so artet die Spekulation aus in Börsenspiel oder, wie man es auch bezeichnet, in Agiotage und Börsenschwindel (vgl. hierüber wie über Börsenkrisis den Art. "Handelskrisis").

Weit weniger gefährlich als die Differenzgeschäfte sind die Prämiengeschäfte. Hat jemand Papiere, sei es effektiv, sei es nur als Differenzobjekt gemeint, zu liefern versprochen, und ist deren Kurs am Stichtag (statt, wie er kalkulierte, gefallen) um 3 gestiegen, so wäre er wohl froh, wenn er sich mit Zahlung von 1 oder 1½ der ganzen Differenzzahlung entschlagen, oder einen Aufschub oder das Recht zur Lieferung einer geringern Quantität erlangen, oder das verabredete durch ein ganz andres Geschäft ersetzen könnte. Das Prämiengeschäft gestattet ihm dies; laut vorgängiger Vereinbarung (am Abschlußtag) ist dem einen der Kontrahenten, dem Prämiengeber, ein Wahlrecht eingeräumt, das er am Stichtag auszuüben hat; der andre Kontrahent räumt dieses Wahlrecht ein, weil er die Prämie erhält und