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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Burg

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Burg.

vornehmlich in der norddeutschen Ebene. Die Höhenburgen, welche man vorzugsweise Burgen nennt, teilten sich wieder in Hofburgen oder in Fürstensitze von umfassender Anlage und in Burgställe oder eng zusammengedrängte, feste Wohnhäuser der Ritterschaft. Meist auf Bergkuppen oder steilen Vorsprüngen gelegen, waren sie von einem trocknen Graben umgeben, der den Burgfrieden von der Umgebung schied. Ein charakteristisches Beispiel dieser Höhenburgen ist Schloß Fleckenstein bei Weißenburg im Elsaß (Fig. 1). Die ersten Befestigungen dieser Art in Deutschland knüpfen an die aus der Römerzeit herrührenden Kastelle an, gehen aber seit dem karolingischen Zeitalter in einen selbständigen Burgenbau über, der, dem Zweck seiner Entstehung entsprechend, vorzugsweise auf die Sicherstellung, später zugleich auf die Behaglichkeit der Bewohner berechnet war. Zu diesem Zweck wurden die an steilen Abhängen oder auf schwer zugänglichen Bergkuppen angelegten Höhenburgen mit festen, meist aus dem Gestein des Bergs hergestellten Mauern umgeben, innerhalb welcher sich der Bergfried (Bergfrit), ein runder oder viereckiger Wart- und Verteidigungsturm, erhob, entweder ausgedehnt genug, um als Wohnung zu dienen, oder von besondern, anfangs hölzernen, später steinernen Wohngebäuden umgeben, an welche sich die zu einem größern Rittersitz erforderlichen Wirtschaftsräume und Stallungen anschlossen. Der Eingang zu dem als letzter Zufluchtsort dienenden Bergfried lag im ersten Stock und stand mit dem Wohngebäude durch die im Fall einer Belagerung leicht zerstörbare Holzbrücke in Verbindung, während der Burghof zur Herstellung einer zweiten Verteidigungslinie durch eine Scheide- oder auch eine Ringmauer in zwei Teile zerlegt ward. Beispiele geben die noch an römische Anlagen angeschlossenen Burgen Steinsberg bei Heidelberg (Fig. 2), Ebersteinschloß bei Baden-Baden und Godesberg bei Bonn.

Im Lauf des 12. Jahrh. entwickelten sich aus diesen ersten Anlagen die reicher ausgebildeten Burgen. Eine vollständige Hofburg hatte eine Umgebung von Mauerwerk oder Pfahlwerk (Zingeln, vom lat. cingere, "umgürten"), die in der Regel nicht mit Zinnen, sondern mit einfacher Brustwehr versehen und von einem oder mehreren Thoreingängen durchbrochen war, welche von zur Seite vorspringenden Türmen verteidigt wurden. Zwischen den Zingeln und der innern Mauer befand sich ein freier Raum, der Zwinger (Zwingelhof, Zwingolf), welcher zum Teil wohl auch Ställe, Wirtschaftsgebäude und den durch einzelne in der Umfassungsmauer angebrachte Thüren zugänglichen Viehhof enthielt, zum Teil aber den nötigen Raum zu ritterlichen Übungen darbot, immer aber nur als Vorhof der eigentlichen B. betrachtet ward, welche meist höher gelegen und stärker befestigt, auch durch einen Graben von dem Zwinger geschieden war. Eine Zugbrücke (Schiffbrücke) führte zu dem auf einem festen, in den Graben vorspringenden Mauerwerk ruhenden, ein Steingewölbe bildenden Thor (Porte), über dem die Mauer mit Zinnen versehen war, hinter denen sich ein bedeckter, nach dem Innern der B. zu offener Gang (die Wer oder Letze) hinzog, von wo aus man durch Luken mit Armbrüsten schießen oder mit Steinen werfen konnte. Durch die Porte gelangte man entweder unmittelbar in den Burghof oder zunächst in einen zweiten Zwinger, welcher, häufig kaum wegbreit, auf der einen Seite von der Burgmauer, auf der andern von den Gebäuden gebildet ward. Von diesem innern Zwinger, der manchmal nicht um die ganze B. herumlief oder auch zum Teil in einen Baumgarten umgeschaffen war, gelangte man durch einen offenen, hallenartigen, mittels Fallgittern (Slegetore) verschließbaren Durchgang, das Burgthor, in den innern Burghof (ballium, bayle). Von sämtlichen den letztern umgebenden Gebäuden nahm der Palas als das Hauptgebäude in der Regel eine ganze Seite des Hofs ein; fürstliche und königliche Burgen aber, welche für Hunderte von Rittern hinreichenden Raum bieten mußten, hatten mehrere solcher, gewöhnlich zweistöckiger Gebäude. Das gewölbte Parterre enthielt die Küche, Vorratskammern, Bier- und Weinkeller u. dgl., das obere Stockwerk den Saal, den Hauptraum der ganzen B., den Versammlungsort der Männer, wo sich nur bei festlichen Gelegenheiten, wie beim Empfang von Fremden etc., auch die Frauen einfanden. Eine Freitreppe (die Gräde) führte aus dem Hof zu dem Saal empor. An den beiden Langseiten, deren eine zuweilen in die äußere Burgmauer eingefügt sein mochte, war das starke Mauerwerk durch Fenster mit tiefen Nischen, welche Sitze enthielten, unterbrochen. Von der einen Fensterreihe sah man in den Burghof, von der andern auf den Reitplatz im Zwinger oder ins freie Land hinaus. Die Decke war in der Regel durch querübergelegte Balken gebildet, über denen sich das Dach erhob. Bisweilen war der Saal überwölbt und durch Holz-, im letztern Fall durch Steinsäulen unterstützt. Der Fußboden war mit Estrich, gebrannten oder behauenen Steinplatten belegt, über welche man Teppiche oder Binsen breitete. Bei reicherer Ausschmückung waren auch die Wände mit Teppichen oder Tapeten (Stuollachen) geschlagen. Statt der nur durch Kamine und kellerartige Anordnung notdürftig erwärmten untern Etagen der Palase wurde um die Mitte des 14. Jahrh. die Anlage einer Dirnitz, eines durch Öfen heizbaren, bequemern Versammlungs- und Wohnraums, wie ihn unter andern die Wartburg, die Burgen zu Meißen und Amberg enthalten, allgemein. An den Giebelseiten des Palas und mit demselben durch Thüren verbunden waren kleinere Gemächer, die öfters noch reicher ausgestattet waren als der Saal selbst und Kemnaten (Kemenaten) hießen, wenn sie heizbar waren. Einen prachtvollen Palasbau beschreibt Wolfram von Eschenbach im "Parzival". Für die Frauen war meist ein eignes Gebäude des Burghofs bestimmt, das vorzugsweise die Kemnate genannt wird und wenigstens drei Abteilungen enthielt: eine für die Herrin und deren nächste Angehörige, eine für die Dienerinnen und eine dritte, gewöhnlich das Wercgadem genannt, für Besorgung der weiblichen Arbeiten. Das zweite Hauptgebäude einer jeden B., der schon genannte Bergfried (Belfrid, beffroi), war ein hoher, meist runder oder viereckiger, aber auch drei- und fünfeckiger Turm, der, in der Regel frei stehend, auf einem kühnen Vorsprung des Burgraums errichtet war. Derselbe hatte zu ebener Erde keinen Eingang, sondern es führte nach dem ersten Stock von außen eine Leiter. Der untere, von außen nicht zugängliche Raum enthielt einen Brunnen oder ein Gefängnis, das Burgverlies, in welches die Gefangenen von oben herabgelassen wurden. Die obern Stockwerke enthielten Gemächer, welche als letzter Zufluchtsort der Belagerten dienten. Im Dachgeschoß wohnte der Turmwart. Die Küche war entweder im Erdgeschoß des Palas untergebracht oder in größern Burgen ein abgesonderter, geräumiger Bau, welcher zugleich als Wohnung des Küchengesindes diente. Außerdem umgaben den Burghof noch Vorratsgebäude, Wohnungen für die oft zahlreich einsprechenden Gäste, Rüstkammern,