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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: China

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China (Staatsverwaltung).

thänigen Landschaften: Mongolei, Dsungarei, Kuku-Nor, Chinesisch-Turkistan und Tibet, unter dem Namen Lisanjüan zusammengefaßt, stehen unter einem besondern Ministerium, von dem die Gouverneure in Urga, Kobdo, Uliassutai, Tarbagatai, Kuku-Nor sowie die Statthalter der Thianschan-Länder (chines. Sintsiang, "neues Gebiet") ressortieren. Für die 18 Provinzen des eigentlichen C. gibt es 8 Generalgouverneure oder Vizekönige (Tsungtu), von welchen die von Petschili und Setschuan über eine Provinz, der von Liangkiang über drei, die übrigen über zwei Provinzen gebieten; in den Provinzen Schantung, Schansi und Honan ist ein Gouverneur (Sünsu) die oberste Zivilstelle, doch hat auch von den unter einem Generalgouverneur stehenden Provinzen jede ihren besondern Gouverneur. Oberbefehlshaber über die Truppen ist der Vizekönig oder Gouverneur, mit Ausnahme der tatarischen Truppen, die als Gegengewicht gegen das rein chinesische Element unter einem unabhängigen Tatarengeneral stehen. Unter dem Provinzialverwalter steht als erster General der Landtruppen der Lulutitu, als erster Admiral der Schuischititu. Das Finanzwesen leitet ein Schatzmeister; der Justiz steht der Provinzialrichter vor, der seine Sitzungen zeitweise auf Rundreisen abhält; eigne Behörden sind bestellt für die Prüfungen der Gelehrten, für Ackerbau, Accisen, Salzmonopol etc. Das Wort Mandarin für einen Beamten der neun Rangstufen, in die der gesamte Beamtenstand geteilt wird, ist nach Schott aus dem indischen mantrin ("Ratgeber, Minister") abzuleiten, im Chinesischen bezeichnet das Wort Kuan einen Beamten; die neun Rangstufen werden durch kleine Kugeln von verschiedenem Stoff und Farbe (rot, blau, kristall, weiß, gold) unterschieden, die oben auf der Mütze getragen werden. Die Beamten sind zahllos; der ewige Wechsel hat sie ihren Pflichten und ihrer Aufgabe so sehr entfremdet, daß ihr Bestreben nur darauf gerichtet ist, in der kurzen Zeit ihrer Amtsthätigkeit ihre Kassen zu füllen. Da die Besoldungen der öffentlichen Diener lächerlich niedrig sind, so bleibt diesen nichts übrig, als sich das nötige Geld durch Erpressungen zu verschaffen und Übergriffe ihrer Untergebenen zu dulden. Bei der Anstellung der Mandarinen gilt das Prinzip, daß keiner in der Provinz dienen darf, in der er geboren ist; auch werden höhere Beamte meist nach einer Anzahl von Jahren versetzt, damit ihr Einfluß sich bei der Bevölkerung nicht allzusehr geltend mache. Der Tod eines seiner Eltern zwingt den Mandarin, auf drei Jahre sein Amt niederzulegen. Die disziplinarische Verwaltung des Beamtenpersonals ist streng; Strafen sind an der Tagesordnung, besonders Gehaltsabzüge, so daß mancher Beamte aus Furcht vor einer seine Ansprüche übersteigenden Gegenrechnung an Strafgeldern seinen Gehalt nie einfordert, sondern sich mit den viel bedeutendern Nebeneinkünften in Gestalt von Erpressungen begnügt. Da in C. einfache Verordnungen nicht genügen, die Staatsmaschine in Ordnung zu halten, gilt hier das Prinzip, daß jeder für die unter seiner Verwaltung entstehenden Vorkommnisse verantwortlich ist; so trifft den unschuldigsten Regierungsbeamten eine empfindliche Strafe, wenn in seinem Distrikt sich eine große Feuersbrunst ereignet; die Folge ist, daß Präventivmaßregeln mit ängstlicher Sorgfalt ergriffen werden, was durch das bloße Erteilen von Instruktionen von oben herab nie zu erreichen wäre. Höchst schwierig wird die Stellung des Mandarins in Zeiten allgemeiner Landplagen; er wird für Überschwemmungen, Hungersnot etc. verantwortlich gemacht, auch wenn die Abwendung des Naturereignisses außerhalb seiner Macht lag; schon mancher Beamte verlor hierdurch seine Stelle. Vgl. F. Hirth, Über das Beamtenwesen in C. ("Verhandlungen der Gesellschaft für Erdkunde", Berl. 1882).

Jede Provinz zerfällt in Distrikte: Fu, die noch immer durchschnittlich eine Bevölkerung von 2 Mill. umfassen, Tschou, Hien (von durchschnittlich über 300,000 Einw.), Sse u. a.; letztere zählen 100 und mehr Lokalgemeinden. Die Vorsteher dieser Abteilungen führen den Titel Tschi mit Beisatz Fu, Tschou, Hien etc. Vom Tschifu appelliert man an den Provinzialrichter oder Schatzmeister; Kollegialsitzungen präsidiert der Gouverneur. Für Polizeizwecke ist in der Aufstellung eines niedern Polizeibeamten, einer Art Konstabler, für mehrere Gemeinden eine uralte Institution auf die Gegenwart übertragen worden. Diese Konstabler (Tipau) werden als Gelderpresser gefürchtet; es wird ihnen häufig gestattet, ihr Amt auf den Sohn zu vererben. Sie haben die Ruhe aufrecht zu erhalten, kleinere Streitigkeiten dem Distrikts- (Sse-) Chef anzuzeigen und seine Verordnungen den Gemeindegliedern bekannt zu machen. Die Behörde zur Verwaltung der eigentlichen Gemeindeangelegenheiten hat auf dem Land mehr einen privaten als einen offiziellen Charakter. Die vielen oft von dem nämlichen Vorfahr abstammenden, manchmal ganze Dörfer bevölkernden Familien besitzen ihre eignen Häupter und alle zusammen wieder einen Patriarchen. Dieser wird von den Regierungsbeamten als Vertreter der Dorfgenossenschaft angesehen; eine Anzahl Vertrauensmänner, meist aus den ältern Einwohnern durchs Los bestimmt, steht ihm zur Seite. Die Erhaltung der Tempel, die Regelung des Gottesdienstes und der herkömmlichen festlichen Umzüge, die Gewinnung von Lehrern und die Einhebung der nötigen Beisteuern an Geld und Naturalien zu diesen Ausgaben ist ihre Hauptaufgabe. Die Lokalpolizei steht unter dem Patriarchen, dem die Gemeinde (von oft 8000 und mehr Einwohnern) die nötige Polizeimannschaft zu stellen hat. Berüchtigte und im Ort gefürchtete Helfershelfer der Mandarinen, eine Art Privatbeamter derselben, sind die Winkelsachwalter, die sich das Vermittelungsrecht vom Mandarin erkaufen und die Streitigkeiten mittels Überredung und Drohung mit Denunziation u. dgl. beizulegen suchen; ein öffentlicher Steuereinnehmer fehlt in keiner größern Gemeinde. Die Städte haben aus Wahl hervorgegangene Munizipalräte, deren Thätigkeit von kaiserlichen Kommissaren überwacht wird. Die Sicherheitspolizei liegt trotz der Munizipalgarde und eines ansehnlichen Korps von Polizisten sehr im argen. Vgl. A. Pfizmaier, Darlegung der chinesischen Ämter (Wien 1879).

Das chinesische Kriminalgesetzbuch (Tatsing Lüli, übersetzt von Staunton, engl., Lond. 1810) verliert sich in Kasuistik und belegt eine große Menge von Handlungen mit Strafe. Es sondert Verbrechen und Vergehen und unterscheidet Thaten, die mit Vorbedacht, und Thaten, die ohne Absicht begangen wurden. Vieles in der chinesischen Kriminalpolitik widerstreitet unsern Anschauungen und Sitten. Tötung eines Menschen, Raub, Diebstahl gelten zwar für Verbrechen, aber bei weitem nicht für die größten; sehr hart werden dagegen Verfehlungen gegen Moral und Impietät gestraft, weil sie nicht wie Diebstahl unter dem mildernden Umstand des Dranges der äußern Verhältnisse verübt werden, sondern aus schlechtem Charakter entspringen. Bemerkenswert ist, daß ein Recht des Aufstandes gegen Tyrannen anerkannt ist.

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