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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Deutschland

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Deutschland (Reichsverwaltung, Gesetzgebung).

mentlich noch Aachen, Krefeld, Elberfeld, Barmen, Solingen, Remscheid, Chemnitz, Sonneberg u. a. anschließen; in Süddeutschland Nürnberg, Regensburg, Augsburg, Stuttgart, Mainz, Mannheim, Straßburg und Mülhausen. Der Mittelpunkt des deutschen Buchhandels (s. d.) ist Leipzig.

IX. Verfassung und Verwaltung.

Die Verfassung des Deutschen Reichs.

Das deutsche Kaisertum hat keinen universellen, sondern einen nationalen Charakter. Es ist nicht, wie das ehemalige Deutsche Reich, eine Wahlmonarchie, sondern die Kaiserwürde ist erblich mit der Krone Preußen verbunden. Indessen ist der Kaiser nicht der Monarch des Reichs, denn letzteres ist kein Einheitsstaat, sondern ein Bundesstaat, ein Gesamtreich, zusammengesetzt aus den verbündeten deutschen Einzelstaaten. Träger der Reichsgewalt sind vielmehr nach der Reichsverfassung vom 16. April 1871, welche im wesentlichen mit derjenigen des frühern Norddeutschen Bundes übereinstimmt, die verbündeten Regierungen. Dem Kaiser steht nur eine Vollzugsgewalt zu, indem er allerdings als König von Preußen die erste Stelle unter den deutschen Fürsten einnimmt. Als Kaiser übt derselbe die ihm übertragenen Befugnisse "im Namen des Reichs" oder "im Namen der verbündeten Regierungen" aus. Auf der andern Seite bedeutet der Übergang der deutschen Gesamtverfassung von derjenigen eines Staatenbundes, wie es der Deutsche Bund (s. d.) war, zur bundesstaatlichen Verfassung den wichtigsten und erheblichsten Fortschritt auf der Bahn unsrer nationalen Entwickelung. Das Deutsche Reich hat das Gesetzgebungsrecht eines wirklichen Staats. Die Reichsgesetze, welche innerhalb des Kompetenzkreises der Reichsgesetzgebung erlassen werden, gehen den Landesgesetzen der Einzelstaaten vor und erhalten ihre rechtsverbindliche Kraft durch die Verkündigung von Reichs wegen, welche im Reichsgesetzblatt durch den Kaiser erfolgt. Die Gesetze selbst kommen durch den übereinstimmenden Mehrheitsbeschluß des Bundesrats, welcher sich aus den instruierten Vertretern der deutschen Regierungen zusammensetzt, einerseits und des Reichstags, der deutschen Volksvertretung, anderseits zu stande. Daß der Kaiser gegenüber einem vom Bundesrat und vom Reichstag beschlossenen Gesetz ein Vetorecht nicht besitzt, wird von denjenigen, welche eine möglichst kräftige Zentralgewalt an der Spitze des Reichs sehen möchten, freilich als ein wesentlicher Mangel der Reichsverfassung bezeichnet, zumal selbst dem Präsidenten der Vereinigten Staaten wenigstens ein suspensives Veto zusteht. Auch in der Reichsverfassung, welche 1849 von dem Frankfurter Parlament beschlossen wurde, war ein suspensives Veto des Kaisers vorgesehen. Hierunter versteht man nämlich die Befugnis der Staatsregierung, den Vollzug eines Gesetzes durch einmaligen Widerspruch und das Inkrafttreten desselben so lange zu hemmen, bis etwa ein nochmaliger Beschluß der gesetzgebenden Faktoren ebendasselbe Gesetz aufrecht erhält. Allerdings wird in der deutschen Reichsverfassung jener Mangel einigermaßen durch das bedeutende Stimmgewicht ersetzt, welches der Krone Preußen im Bundesrat zusteht, woselbst sie 17 von 58 Stimmen führt. Damit ist dem Kaiser als König von Preußen die Macht gegeben, jede Veränderung der Reichsverfassung abzulehnen. Denn nach Artikel 78 der Verfassungsurkunde gilt eine Verfassungsänderung als abgelehnt, wenn sie im Bundesrat 14 Stimmen gegen sich hat. Ebenso kann der Kaiser in den wichtigsten Fragen der Reichsgesetzgebung wie der Reichsverwaltung Neuerungen verhindern, wofern er die Präsidialstimme für die Aufrechthaltung der bestehenden Einrichtungen abgeben läßt. Dies ist der Fall bei Gesetzesvorschlägen über das Militärwesen, die Kriegsmarine und das Zollwesen sowie über die Besteuerung von Salz, Tabak, Branntwein, Bier und Zucker, die dem Reiche gebührt. Ebenso gibt die Präsidialstimme im Bundesrat stets dann den Ausschlag, wenn es sich um Verwaltungsvorschriften und Einrichtungen handelt, welche ebendiese Gegenstände betreffen, wofern sich die Präsidialstimme für die Aufrechthaltung der bestehenden Vorschriften oder Einrichtungen ausspricht (Reichsverfassung, Art. 5, 35,37).

Schärfer tritt der monarchisch-staatliche Charakter der Reichsverfassung auf dem Gebiet der Reichsverwaltung hervor. Denn der Kaiser hat nicht nur das ausschließliche Recht, die vom Bundesrat in seiner Mehrheit gebilligten Gesetzentwürfe an den Reichstag zu bringen, sowie das Recht der Verkündigung der Reichsgesetze, sondern er hat auch ihre Ausführung zu überwachen (Art. 17). Diese letztere Bestimmung begründet für den Kaiser in denjenigen Angelegenheiten, welche in den Kompetenzkreis der Reichsgesetzgebung gehören, das Recht, die zur Ausführung der Reichsgesetze erforderlichen Verordnungen zu erlassen, ein Recht, welches die Verfassung ausdrücklich in Ansehung des Militärwesens, der Kriegsmarine, der Post- und Telegraphenverwaltung und des Konsulatwesens hervorhebt. Da aber auch der Bundesrat ein Verordnungsrecht besitzt, so wird bei dem Erlaß eines Reichsgesetzes in der Regel in diesem Gesetz selbst eine Bestimmung darüber getroffen, welche Stelle die Vollzugsbestimmungen erlassen soll, ob Kaiser, Bundesrat, Reichskanzler oder die Regierungen der Einzelstaaten; immer vorbehaltlich des Rechts des Kaisers, die Ausführung der Reichsgesetzgebung in jedem Fall zu überwachen. Dem Kaiser gebührt ferner die Oberaufsicht über das gesamte Verwaltungswesen des Reichs. Er ernennt die Reichsbeamten, läßt dieselben vereidigen und verfügt erforderlichen Falls ihre Entlassung (Reichsverfassung, Art. 18). Er ernennt auch insbesondere den Reichskanzler, den einzigen verantwortlichen Minister des Reichs, welcher zugleich den Vorsitz im Bundesrat führt (Art. 15). Der Kaiser hat das Recht, den Bundesrat und den Reichstag zu berufen, zu eröffnen und zu schließen (Art. 12). Eine etwanige Auflösung des Reichstags erfolgt auf Grund eines Bundesratsbeschlusses mit Zustimmung des Kaisers (Art. 24). Als ein wirklicher Staat hat das Reich ferner andern Staaten gegenüber den notwendigen diplomatischen Verkehr zu unterhalten; es hat das Gesandtschaftsrecht eines Staats, und die deutschen Einzelstaaten haben, mit Ausnahme von Bayern, Württemberg, Sachsen und Braunschweig, darauf verzichtet, sich bei den auswärtigen Kabinetten noch besonders vertreten zu lassen. Der Kaiser hat das Reich völkerrechtlich zu vertreten. Er hat im Namen desselben Krieg zu erklären und Frieden zu schließen, Bündnisse und andre Verträge mit fremden Staaten einzugehen und Gesandte zu beglaubigen und zu empfangen. Zur Erklärung des Kriegs im Namen des Reichs bedarf es der Zustimmung des Bundesrats, es sei denn, daß ein Angriff auf das Reichsgebiet oder dessen Küsten erfolgt ist. Was das Vertragsrecht anbetrifft, so ist die Beschränkung beigefügt, daß Verträge mit fremden Staaten, welche sich auf Gegenstände beziehen, die in den Bereich der Reichsgesetzgebung gehören, zu ihrem Abschluß der Zustimmung