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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Deutschland

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Deutschland (Reichsbürgerrecht; Rechtspflege).

das preußische Kriegsministerium und die Verwaltung der Marineangelegenheiten durch das preußische Marineministerium erfolgten. Aber schon zur Zeit des Norddeutschen Bundes wurde das preußische Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten in ein Auswärtiges Amt des Norddeutschen Bundes (jetzt des Deutschen Reichs) umgewandelt. Das neue Reich brachte eine kaiserliche Admiralität zur Verwaltung der Kriegsmarine. Als zuständige Behörde für die dem Bundeskanzler obliegende Verwaltung und Beaufsichtigung der Gegenstände der Bundesverwaltung war bei der Gründung des Norddeutschen Bundes dem Bundeskanzler ein Bundeskanzleramt, nachmals Reichskanzleramt, beigegeben worden. Der Erwerb von Elsaß-Lothringen machte eine besondere Abteilung des Reichskanzleramts für die Reichslande nötig. Die Verwaltung des Reichsinvalidenfonds, das Reichseisenbahnamt und die Reichsbank mit ihren Zweig- und Nebenanstalten traten ins Leben. Für die Justizverwaltung kam ein Reichsjustizamt hinzu. Einzelne Zweige der Reichsverwaltung wurden demnächst von dem Reichskanzleramt losgelöst, um besondern Reichsämtern überwiesen zu werden, so insbesondere die Reichspost- und -Telegraphenverwaltung, welche nunmehr dem Reichspostamt übertragen ist. Die gesamte Finanzverwaltung des Reichs ward dem Reichskanzleramt abgenommen und einem besondern Reichsschatzamt zugewiesen. Ebenso trat für die Verwaltung der Reichseisenbahnen ein besonderes Reichsamt ins Leben. Aus der Abteilung des Reichskanzleramts für Elsaß-Lothringen ging ein besonderes Reichskanzleramt für Elsaß-Lothringen hervor, und auch dieses ward aufgehoben, nachdem ein Statthalter an die Spitze der reichsländischen Verwaltung gestellt worden war, welchem ein besonderes Ministerium für Elsaß-Lothringen beigegeben ist. Das Reichskanzleramt aber erhielt 24. Dez. 1879 die offizielle Bezeichnung "Reichsamt des Innern". Von dieser Behörde ressortieren wiederum wichtige Reichsbehörden, wie das Bundesamt für das Heimatswesen, das Oberseeamt, das statistische Amt, Gesundheitsamt, Patentamt, Reichsversicherungsamt etc. (s. Reichsbehörden). Einer Zentralstelle des Reichs nicht unterstellt ist die Reichsmilitärverwaltung. Die Kriegsministerien von Preußen, Sachsen und Württemberg besorgen die Militärverwaltung der einzelnen Kontingente. Dem Reichskanzler ist eine Reichskanzlei unmittelbar untergeben, welche als dessen Zentralbüreau den amtlichen Verkehr des erstern mit den Chefs der einzelnen Ressorts vermittelt.

Daß das Deutsche Reich ein wirklicher Staat ist, geht auch aus der Unterthaneneigenschaft seiner Angehörigen hervor. Diese stehen nämlich in einem Doppelverhältnis. Sie sind Unterthanen ihrer Einzelregierung und Bürger des Einzelstaats, dem sie jeweilig angehören. Aber sie sind auch zugleich Bürger und Angehörige des deutschen Gesamtstaats, so daß die Unterthanen der verschiedenen deutschen Einzelstaaten nicht mehr wie zur Zeit des frühern deutschen Staatenbundes im Verhältnis zu einander als Ausländer erscheinen. Ihr gemeinsames Reichsbürgerrecht (Bundesindigenat), verbunden mit dem Grundsatz der Freizügigkeit, sichert ihnen in jedem deutschen Staat ebendieselbe rechtliche Stellung zu, wie sie dem Inländer gegeben ist. Die Regierungen der Einzelstaaten aber sind in ihrer Souveränität insoweit beschränkt, als dies durch ihre Zugehörigkeit zu dem Gesamtstaat verfassungsmäßig bedingt ist. Wenn Bundesglieder ihre Bundespflichten nicht erfüllen sollten, so können sie dazu im Weg der Exekution angehalten werden (Art. 19). Dieselbe ist vom Bundesrat zu beschließen und vom Kaiser zu vollstrecken. Streitigkeiten zwischen verschiedenen Bundesstaaten werden, insofern sie nicht privatrechtlicher Natur sind und ebendarum vor die Gerichte gehören, auf Anrufen des einen Teils vom Bundesrat erledigt. Auch hat der Bundesrat nötigen Falls Verfassungsstreitigkeiten in einem Bundesstaat gütlich auszugleichen oder, wenn dies nicht gelingt, im Weg der Reichsgesetzgebung zur Erledigung zu bringen (Art. 76). Auch Beschwerden über gehemmte oder verweigerte Rechtshilfe können aus den einzelnen Bundesstaaten heraus an den Bundesrat gebracht werden, wofern auf gesetzlichem Weg ausreichende Hilfe nicht zu erlangen sein sollte (Art. 77). Über die Litteratur des deutschen Reichsstaatsrechts vgl. Staatsrecht.

Rechtspflege.

Eine der wichtigsten Errungenschaften des neuen Reichs ist die einheitliche Justizorganisation desselben, welche durch die Justizgesetze von 1877 und 1878 erfolgte (s. Gericht). Die Privat- oder Patrimonialgerichtsbarkeit ist vollständig beseitigt, der geistlichen Gerichtsbarkeit die bürgerliche Wirksamkeit entzogen und die Trennung der Justiz von der Verwaltung vollständig durchgeführt. Die Voraussetzungen der Fähigkeit zum Richteramt sind für ganz D. in einheitlicher Weise bestimmt. Für die Unabhängigkeit des Richterstandes sind die nötigen Garantien gegeben. Das Laienelement ist in ausgedehntem Umfang zur Rechtsprechung herangezogen, so insbesondere in den Schöffengerichten, welche zu den Schwurgerichten hinzukamen, sowie in dem Institut der Handelsrichter und der Schiedsmänner. Die richterliche Thätigkeit soll sich möglichst auf das Gebiet der eigentlichen Rechtsprechung konzentrieren. Darum ist die Mobiliarexekution Sache der Gerichtsvollzieher und die Einleitung und Vorbereitung der richterlichen Entscheidung Sache der Gerichtsschreiber. Das Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten wird, ebenso wie das Hauptverfahren im Strafprozeß, durch die Grundsätze der Öffentlichkeit und Mündlichkeit, der Unmittelbarkeit der Verhandlung und der freien Würdigung der Beweisergebnisse durch den Richter beherrscht. Ausnahmegerichte, abgesehen von Kriegsgerichten und Standrechten, sind unstatthaft. Die oberste Gerichtsbarkeit wird durch das Reichsgericht in Leipzig ausgeübt. Diese Reichsbehörde, deren Mitglieder (Präsident, Senatspräsidenten und Räte) auf Vorschlag des Bundesrats vom Kaiser ernannt werden, sichert die Wahrung der Rechtseinheit und die gleichmäßige Auslegung der deutschen Reichsgesetze. In beschränktem Umfang war dies zuvor die Aufgabe des Reichsoberhandelsgerichts gewesen. Alle niedern Instanzen sind Landesbehörden. Das Reichsgericht entscheidet in erster und letzter Instanz über die gegen Kaiser und Reich gerichteten Verbrechen des Hochverrats und des Landesverrats. Im übrigen ist der Instanzenzug folgender: In bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten entscheiden in erster Instanz die Amtsgerichte (Einzelrichter) in minder wichtigen Rechtssachen, namentlich in allen vermögensrechtlichen Streitigkeiten, deren Gegenstand den Wert von 300 Mk. nicht übersteigt. Für alle andern Rechtsstreitigkeiten sind die kollegialischen Landgerichte zuständig, welche zugleich die Berufungs- und Beschwerdeinstanz für die Amtsgerichte bilden. Bei den Landgerichten können zur Entscheidung von Handelsstreitigkeiten Kammern für Handelssachen errichtet werden, bestehend aus einem Berufsrichter als Vorsitzendem und zwei Han-^[folgende Seite]