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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Deutschland

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Deutschland (Geschichte 1777-1792. Joseph II., Leopold II.).

tation des Reichskammergerichts ganz fruchtlos, und auch die Mißbräuche des Reichshofrats konnten nicht abgestellt werden. Er entschloß sich nun, den kaiserlichen Einfluß durch Vergrößerung des territorialen Besitzes in D. zu vermehren. Er leitete zu diesem Zweck Verhandlungen mit dem Kurfürsten Karl Theodor von der Pfalz, welcher nach dem Erlöschen der bayrischen Wittelsbacher (1777) auch das Kurfürstentum Bayern geerbt hatte, über die Abtretung dieses Landes ein. Jedoch Friedrich II. war entschlossen, dies nicht zu dulden, damit nicht das österreichische Kaisertum ein allzu großes Übergewicht im Reich erlange und seiner eignen Selbständigkeit gefährlich werde. Als Verteidiger der deutschen Reichsverfassung nahm er sich der Rechte des präsumtiven Nachfolgers Karl Theodors, des Herzogs Karl von Pfalz-Zweibrücken, an und protestierte gegen die österreichischen Vergrößerungspläne. Als Joseph II. nicht von diesen Abstand nehmen wollte, kam es zum bayrischen Erbfolgekrieg (1778-79, s. d.). Zwei preußische Heere rückten in Böhmen ein, doch vermieden beide Teile Entscheidungskämpfe und knüpften bald Verhandlungen an, in welche Friedrich II. seine Verbündete, Katharina II. von Rußland, als Vermittlerin hineinzog. Unter russischer Vermittelung ward der Friede 13. Mai 1779 zu Teschen abgeschlossen: Österreich erhielt von Bayern nur das Innviertel, Preußen sicherte sich den Anfall der fränkischen Fürstentümer.

Rußland fuhr seitdem fort, sich in die innern Angelegenheiten Deutschlands einzumischen und zwischen den rivalisierenden deutschen Großmächten eine dominierende Stellung zu beanspruchen. Und die Eifersucht zwischen Österreich und Preußen steigerte sich noch, als Joseph II. durch den Tod Maria Theresias (29. Nov. 1780) unbeschränkter Herr über die Erblande geworden war. Indem er seinem jüngsten Bruder, Maximilian, die Stifter Köln und Münster verschaffte, wozu noch eine Reihe andrer geistlicher Fürstentümer kommen sollten, indem er ferner die Reichsgrafen und Reichsritter enger an den Wiener Hof kettete, alte kaiserliche Vorrechte wieder geltend machte und durch mancherlei Eigenmächtigkeiten die Rechte von Reichsständen verletzte, endlich die österreichischen Bistümer aus der Abhängigkeit von Passau und Salzburg zu befreien suchte, zugleich aber neben andern revolutionären Änderungen die Macht der Kirche in seinen Erblanden durch weitgreifende Säkularisationen verringerte: gab er deutlich seinen Plan kund, einmal den österreichischen Staat zu einem modernen Einheitsstaat umzugestalten, dann diesem das Deutsche Reich zu unterwerfen. Die Reichsfürsten, weltliche wie geistliche, sahen ihre Selbständigkeit hierdurch ernstlich bedroht und wurden noch mehr besorgt, als Joseph mit Karl Theodor über einen Austausch Bayerns gegen einen Teil der österreichischen Niederlande, die ihm wertlos waren, verhandelte; die östlichsten Provinzen derselben (Namur und Luxemburg) sollten als Tauschobjekt für das Erzstift Salzburg dienen, durch dessen Erwerbung er seinen süddeutschen Besitz völlig abzurunden gedachte. Frankreich hatte gegen die Errichtung eines burgundischen Königreichs, das es leicht seinem Einfluß unterwerfen konnte, nichts einzuwenden. Rußlands Zustimmung gewann Joseph, indem er den russischen Eroberungen am Schwarzen Meer nicht entgegentrat. Da traten eine Anzahl Reichsfürsten, wie Hannover, Sachsen, Braunschweig, Baden, Mecklenburg, Anhalt, die thüringischen Staaten, Hessen-Kassel, Pfalz-Zweibrücken, Ansbach, Kurmainz, Würzburg u. a., zum Schutz der Reichsverfassung zu einer Association zusammen, dem sogen. Fürstenbund (1785), an dessen Spitze sich Friedrich II. stellte, der durch die russisch-österreichische Allianz isoliert und bedroht war. Es bezeichnete die veränderten Verhältnisse, daß Preußen, welches im Kampf gegen die Reichsverfassung seine Großmachtstellung errungen, diese Macht gegen die das bestehende Reichssystem gefährdenden Pläne des Kaisers aus dem Haus Österreich wendete, und daß gleichzeitig die vier deutschen Erzbischöfe sich gegen die päpstliche Anmaßung und Einmischung in die kirchlichen Dinge in D. zu der Emser Punktation vereinigten (1786), in welcher sie eine erhebliche Erweiterung der Rechte und der Unabhängigkeit des Episkopats forderten.

Dieser kühne Anlauf blieb allerdings ohne Resultat, und auch der Fürstenbund zerfiel, nachdem er seinen nächsten Zweck, den Verzicht Josephs auf seine bayrischen Pläne, erreicht hatte. Preußische Staatsmänner, wie Stein und Hardenberg, und patriotische Reichsfürsten, wie Herzog Karl August von Weimar, hegten allerdings die Absicht einer förmlichen Union der deutschen Stände unter Preußens Führung mit dauernden politischen, gerichtlichen und militärischen Institutionen. Indes war weder die Mehrzahl der Fürsten dazu geneigt noch Friedrichs II. Nachfolger Friedrich Wilhelm II. (1786 bis 1797), welcher die preußische Politik nicht nach wohlerwogenen Grundsätzen der Staatsräson, sondern nach Laune und Willkür leitete. Preußen gab die Unionspolitik wieder auf, unternahm persönlicher Interessen wegen 1787 die Expedition nach Holland, die zu einem mehr hemmenden als vorteilhaften Bund mit den Seemächten führte, und stürzte sich unter Hertzbergs Leitung in eine große, aber die Kräfte des Staats und seiner Lenker übersteigende politische Kombination, welche ihm neben territorialen Vergrößerungen die Rolle eines Schiedsrichters in Europa verschaffen sollte. Als nämlich Rußland und Österreich 1787 die Türkei mit Krieg überzogen, nach dessen siegreicher Beendigung beide Mächte wohl auch Polens Schicksal ohne Rücksicht auf preußische Interessen entschieden haben würden, schloß Preußen außer mit den Seemächten auch mit Schweden, Polen und der Türkei Bündnisverträge und rüstete sich, den kriegführenden Mächten seine Vermittelung aufzuzwingen, während es selbst von Polen für Galizien, das Österreich gegen Entschädigung durch türkische Provinzen an Polen zurückgeben sollte, Danzig und Thorn, vielleicht auch Posen und Kalisch zu erwerben hoffte. Indes der Gang der Kriegsereignisse, die wohl für Rußland, keineswegs aber für Österreich glücklich verliefen, und der plötzliche Tod Josephs II. (1790) durchkreuzten den preußischen Plan. Der neue Kaiser, Leopold II. (1790-92), nahm auf dem Reichenbacher Kongreß den Schein an, als ob er nicht durch den unglücklichen Verlauf des Kriegs und die innern Unruhen in Österreich, sondern bloß durch Preußens Intervention genötigt, auf jede Vergrößerung durch türkisches Gebiet verzichte, und zwang dadurch den König Friedrich Wilhelm II. im Reichenbacher Vertrag (27. Juli 1790), ebenfalls auf jede Gebietserweiterung zu verzichten, gegen welche sich übrigens auch die Seemächte erklärt hatten. Dieser Mißerfolg führte 1791 Hertzbergs Sturz herbei. Unter dem Einfluß Bischoffwerders suchte Friedrich Wilhelm II. eine Annäherung an Österreich, welcher sich dieses auch geneigt zeigte. Dies Ergebnis schien um so wichtiger, als D. jetzt neuen Gefahren durch die Stürme der französischen Revolution ausgesetzt war.