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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Deutschland

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Deutschland (Geschichte 1835-1848. Gründung des Zollvereins. Aufstände 1848).

die freisinnige Preßgesetzgebung aufgehoben werden, und die Vorkämpfer des Liberalismus, Rotteck und Welcker, wurden ihrer Professuren an der Freiburger Universität entsetzt. Der schamlose Rechtsbruch, mit welchem 1837 König Ernst August von Hannover aus Eigennutz die Verfassung von 1833 umstieß und an deren Stelle eine neue, "den wahren Bedürfnissen des Landes" und dem Vorteil seiner Zivilliste entsprechende verhieß, wurde vom Bundestag geradezu gebilligt, indem er sowohl den Protest der sieben Göttinger Professoren, welche dafür aus Hannover ausgewiesen wurden, als die Bitte der hannöverschen Kammer um seine Intervention gegen die Rechtsverletzung ablehnte.

Auch in der Wahrung der äußern Interessen Deutschlands leistete der Bundestag nichts. Die Deutschen im Ausland fanden höchstens den Schutz, den ihnen Österreich oder Preußen leihen konnte und wollte. Die Einrichtung einer Kriegsflotte zum Schutz des deutschen Handels und die Befestigung der Küsten hat der Bundestag nie auch nur erwogen. Die Verbesserung der Kriegsverfassung kam trotz wiederholter Anträge Preußens nicht zu stande; die Frage namentlich über den Oberbefehl wurde nicht entschieden. Der Ausbau der Grenzfestungen am Rhein verzögerte sich von Jahr zu Jahr, obwohl bereits 1829 von neuem die Gefahr eines französischen Angriffs, um die Rheinlande D. zu entreißen, gedroht hatte; die Mittel dazu lagen aus der französischen Kriegsentschädigung von 1815 bereit, der Bund ließ sie aber dem Haus Rothschild gegen 2 Proz. Zinsen. Den gehässigen Schwierigkeiten, welche die selbstsüchtigen Holländer der freien Entwickelung der Rheinschiffahrt bereiteten, wußte der Bund ebensowenig ein Ende zu machen wie den Rheinzöllen. Als Belgien sich von den Niederlanden losriß und auch den deutschen Staat Luxemburg beanspruchte, verstand sich der Bund zu einer Teilung und nahm das ohne die Festungen Maastricht und Venloo militärisch ganz wertlose Limburg zur Entschädigung. Als die schleswig-holsteinischen Stände sich über die Verletzung ihrer Privilegien durch die dänische Krone beschwerten und König Christian VIII. in seinem "offenen Brief" (8. Juli 1846) die rechtmäßige Thronfolgeordnung in den Herzogtümern und ihre untrennbare Vereinigung bedrohte, verwies der Bund die Stände 17. Sept. auf ihre Bitte um Schutz auf die Erklärung des dänischen Königs, der die Rechte aller zu beachten versprochen habe. Den Frieden, den D. 1815-48 genoß, dankte es also nur der nachgiebigen Schwäche des Bundestags.

Nicht einmal auf dem ganz neutralen Gebiet des Zollwesens vermochte derselbe etwas zu leisten. Als 1817 nach einer Mißernte eine große Teurung eintrat, welche infolge des durch Zollschranken zwischen den einzelnen Staaten, ja durch Binnenzölle zwischen Provinzen gehemmten Verkehrs zu einer furchtbaren Hungersnot anwuchs, ging Preußen mit der Aufhebung der Wasser- und Binnenzölle in seinem Gebiet voran, proklamierte 1818 das Prinzip der Handelsfreiheit und eröffnete 1821 mit der Konvention über Befreiung der Elbschiffahrt die Reihe von Verträgen, welche 1833 zur Begründung des Deutschen Zollvereins führten; derselbe umfaßte mit Ausschluß Österreichs fast sämtliche deutsche Staaten, und seine segensreichen Wirkungen für Industrie und Handel machten sich bald bemerklich. Als 1840 der geistreiche, schwungvolle König Friedrich Wilhelm IV. den preußischen Thron bestieg, knüpfte man in D. daran noch weitere Hoffnungen auf eine freiheitliche Entwickelung in den Einzelstaaten und auf Erfüllung des allgemeinen Wunsches nach nationaler Einheit. Wirklich regte Friedrich Wilhelm in Wien eine Reform der Bundesverfassung wiederholt an, da die Nation mit Recht erwarte und verlange, daß ihre gemeinsamen Interessen, ihre unabweisbaren Bedürfnisse volle Befriedigung fänden. Er erließ eine allgemeine politische Amnestie, welche die Opfer der Demagogenverfolgungen befreite, und milderte die Zensur. Aber sein Zaudern, Preußen eine Verfassung zu geben, die enge Beschränkung der Rechte des Vereinigten Landtags, der endlich 1847 berufen wurde, seine mit Vorliebe kundgegebenen mittelalterlich-ständischen Ansichten und seine Hinneigung zur kirchlichen Orthodoxie ernüchterten die Nation. Das Metternichsche System schien dauernd begründet zu sein, und dennoch hatte niemand ein festes Vertrauen auf seinen Bestand. Der Bundestag befriedigte außer Österreich weder Fürsten noch Volk, obwohl man ihn nicht zu reformieren wußte. Unter den Liberalen nahmen teils partikularistische, teils republikanische Neigungen zu und vermehrten die allgemeine Gärung, welche zum zweitenmal durch eine Umwälzung im westlichen Nachbarland, durch die Pariser Februarrevolution 1848, zum Ausbruch kam.

Die Frankfurter Nationalversammlung und die deutschen Einheitsbestrebungen.

Unmittelbar auf die erste Nachricht von der Pariser Revolution stellte 27. Febr. 1848 Heinrich v. Gagern in der darmstädtischen Kammer den Antrag auf Errichtung einer deutschen Zentralgewalt mit Volksrepräsentation, und bereits 5. März faßte eine zu Heidelberg aus eignem Antrieb zusammengetretene Versammlung von 51 angesehenen deutschen Männern, meist Mitgliedern deutscher Kammern, den Beschluß, die deutschen Regierungen auf das dringendste anzugehen, so bald wie möglich eine Vertretung der deutschen Nation ins Leben zu rufen. Zugleich wurde eine Siebenerkommission beauftragt, Vorschläge über eine angemessene Volksvertretung vorzubereiten und die Grundlagen für eine neue deutsche Verfassung zu beraten, und 12. März forderte diese die frühern oder gegenwärtigen deutschen Landtagsmitglieder auf, 30. März sich zu einer Vorberatung in Frankfurt a. M. zu versammeln. Der Bundestag trat dem nicht entgegen, beschloß vielmehr selbst 10. März, eine Revision der Bundesverfassung unter Zuziehung von 17 Vertrauensmännern, welche die bedeutendsten Staaten deputieren sollten, vorzunehmen. Die Regierungen hatten mit einemmal alles Selbstbewußtsein und allen Mut verloren und wichen fast überall ohne Widerstand den stürmischen Forderungen des Volkes. Römer, ein Mitglied der Siebenerkommission, wurde in das württembergische, Gagern in das hessische, Stüve in das hannöversche Ministerium berufen. In Wien wurde Metternich durch einen Volksaufstand gestürzt und vertrieben. König Ludwig von Bayern, dessen Stellung durch den Lola Montez-Skandal erschüttert war, dankte 20. März zu gunsten seines Sohns Maximilian II. ab, der sofort ein liberales, den Volkswünschen geneigtes Ministerium berief.

Auch in Berlin hatte sich Friedrich Wilhelm IV. durch die stürmischen Weltereignisse und die Volksdemonstrationen bestimmen lassen, den Vereinigten Landtag sofort zusammenzuberufen und in dem Ausschreiben auch die Errichtung eines deutschen Bundesstaats mit Nationalrepräsentation, gemeinsamer Heeresverfassung, deutscher Flotte, Bundesgericht, Freizügigkeit, Preßfreiheit u. a. als Programm seiner Regierung aufzustellen. Aber der Straßenauf-^[folgende Seite]