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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Festung

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Festung (neupreußisches System).

zwei solche Forts ca. 1300 m voneinander entfernt, kleinere einfache, fünfseitige Redouten in der Mitte dazwischen zur Bestreichung der langen, geraden Walllinien, ja schon mit detachierten Forts und Unterbringung der Besatzung in Kasematten sowie stets mit Einrichtung des gedeckten Wegs zur aktiven Verteidigung. Die Vorschläge von Montalembert und Carnot sowie die Gedanken der ältern deutschen Ingenieure (Dürer, Speckle etc.) fanden bei fortschreitender Verbesserung der Feuerwaffen die aufmerksamste Beachtung. So entwickelte sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrh., hauptsächlich durch die Generale v. Aster, v. Brese und v. Prittwitz, die sogen. neupreußische Befestigung (Fig. 10). Die großen Neubauten von Koblenz, Köln, Posen und Königsberg (v. Brese), Linz, Verona, Mainz, Rastatt, Ulm (v. Prittwitz), Germersheim und Ingolstadt, zuletzt Spandau (v. Mertens) etc. sind schon zum Teil in der Art angelegt. Grundgedanke des Systems ist: Möglichkeit der Verteidigung durch geringe Besatzung und Begünstigung der Offensive zur Verwendung größerer Truppenmassen auf vorbereitetem Kampffeld. Letzterm diente ein Gürtel von 500 bis etwa 800 m vorgeschobenen Forts. Vermieden wurde ein ängstliches Kleben an bestimmtem System; man bediente sich zwar vorzugsweise des Kaponnieresystems, aber auch des bastionären, wie es gerade für den vorliegenden Fall das Terrain und sonstige Umstände erheischen. Die Grundlage der regelmäßigen Polygonalfronte ist eine Linie von ca. 800 m, mit einer großen mehrstöckigen Kaponniere K als Reduit und Abschnitt in der Mitte, die Linie unter Umständen leicht nach innen oder nach außen gebrochen, die Kaponniere durch ein großes Ravelin R gedeckt, dessen Graben, bestrichen durch kasemattierte Batterien B, im Hauptwall A mit der verteidigungsfähigen, meist frei stehenden Eskarpenmauer E E zusammenhängt. Zur Unterstützung des Geschützkampfes dienen kasemattierte Mörserbatterien M M in den ausspringenden Winkeln. Die Verteidigungseinrichtung der Eskarpenmauer E E dient zur Bekämpfung des Gegners auf dem gedeckten Weg und im Graben. Blockhäuser P P bestreichen den erstern. Die detachierten Forts sollten die Angriffsarbeiten weiter in das Vorfeld hinausschieben. Ihr Grundriß ist meist der einer stumpfen Lünette (Fig. 11), mit Grabenkaponnieren und Reduit, ähnlich den Festungsfronten, ausgestattet. Im Profil ist bei allen Werken vollständige Deckung des Mauerwerks gegen Sicht von außen, jedoch nicht gegen den indirekten Schuß, nötigenfalls durch Vertiefung der Gräben und höhere Anschüttung des Glacis, erreicht. Die gemauerte Eskarpe ist stets sturmfrei. Die Kaponnieren gestatten aus ihren Stockwerken die Grabenverteidigung durch Geschütz- und Gewehrfeuer, während Geschütze auf der obern Erddecke in das Vorterrain wirken. Gleichzeitig bergen sie Besatzung und Ausrüstung und sollen auch nach Wegnahme der vorliegenden Werke noch längere Zeit haltbare Punkte sein. Die Neubauten der Engländer, Russen, Dänen, Schweden, Holländer, Türken etc. gehören fast sämtlich dem Prinzip der deutschen Schule an. Der Umbau der Festung Antwerpen durch Brialmont übertrug die neuen Befestigungsgrundsätze nach den Niederlanden, wo wieder Erdbau mit 60-100 m breiten nassen Gräben die Verteidigungslinie bildet und Mauerwerk nur zu den Kaponnieren und Kasematten verwendet ist. Hier auch fand zuerst Eisenbau in Panzerdrehtürmen bei der Landbefestigung Anwendung. Neben einfachem Grundriß der durch Inundation gedeckten Fronten ist besonders der Grundriß der geschlossenen detachierten Forts (Fig. 12) zu bemerken. In gepanzerter Drehkuppel stehende Geschütze beherrschen das Vorterrain.

Bald indes machte sich der Einfluß der gezogenen Geschütze, namentlich durch die Überlegenheit ihres indirekten Feuers, durch welches alles bisher erbaute Mauerwerk schon aus größerer Ferne zerstört werden konnte, geltend; die Erfolge der deutschen Belagerungsartillerie im Krieg 1870/71 lieferten den Beweis hierfür und riefen eine neue Epoche im Festungsbau hervor. Die Zwecklosigkeit kleiner Festungen ohne vorgeschobene Forts, wenn ihre Verteidigungsfähigkeit nicht durch ihre Lage auf Höhen etc. sich gründete, war ebenso erkannt wie die Unentbehrlichkeit großer Festungen mit weit von der Hauptumwallung abliegenden Forts als Stützpunkte für die Operationen großer Armeen. Die Forts sollen durch ihre vorgeschobene Lage ein Bombardement der Stadt erst dann möglich machen, wenn der Angreifer dieselben genommen hat oder bis in ihre Nähe vorgedrungen ist. Anfänglich ging man, in der Furcht vor der Möglichkeit eines Bombardements, hierin sehr weit. Die Franzosen haben viele Forts 6-7 km, bei Paris sogar bis 15 km vor die Hauptenceinte vorgeschoben. Man

^[Abb.: Fig. 10. Fronte des neupreußischen Systems.]

^[Abb.: Fig. 11. Neupreußisches Fort.]

^[Abb.: Fig. 12. Detachiertes Fort Antwerpen.]