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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Frankreich

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Frankreich (Geschichte: Napoleon III.).

und der dringende Wunsch nach Wiederherstellung des Kaisertums. Das Senatskonsult vom 7. Nov. 1852 legte diese Frage dem französischen Volk vor, welches 21. u. 22. Nov. mit 7,801,321 Stimmen gegen 251,781 das Kaisertum annahm. An dem verhängnisvollen 2. Dezember wurde der Prinz-Präsident in St.-Cloud unter dem Namen Napoleon III. als Kaiser proklamiert. Eine lange Reihe von Großwürdenträgern, meist aus der Zahl der Getreuen des Bonapartismus, wurde ernannt; sämtliche Angehörige des Hauses Bonaparte erhielten den Rang französischer Prinzen.

Das zweite Kaiserreich 1852-1870.

Nur zögernd erkannten die fremden Mächte das zweite Kaiserreich an, da sie dessen volkstümlichen Ursprung mißbilligten und seine kriegerischen Überlieferungen fürchteten; am wenigsten konnte sich der Zar Nikolaus mit der Erneuerung des Kaisertums befreunden. Napoleon wurde daher auch mit seinen Heiratsanträgen von mehreren fürstlichen Familien zurückgewiesen und vermählte sich deshalb 29. Jan. 1853 mit der spanischen Gräfin Eugenie von Montijo und Teba. Ein glänzender Hofstaat wurde eingerichtet, und der Luxus und die Pracht der Tuilerien bildeten das eifrig nachgeahmte Muster der vornehmen Welt. Der Wohlstand hob sich, Handel und Verkehr blühten, die Regierung widmete den wirtschaftlichen Dingen eine eifrige Fürsorge, und das Volk schien mit dem neuen System wohl zufrieden. Die Verhandlungen des Senats und des Gesetzgebenden Körpers verliefen friedlich; bei den Adreßdebatten wurde das Kaiserreich verherrlicht, und eine Opposition machte sich gar nicht bemerkbar. Namentlich verstand es Napoleon, seine Popularität durch eine geschickte auswärtige Politik zu steigern. Im Krimkrieg (1854 bis 1856) trat er im Bund mit dem liberalen England als Schützer der Türkei gegen Rußland auf, welches als der Hort des Despotismus galt, dessen Kaiser der ingrimmigste Feind der Revolution war und Napoleon bisher nicht als ebenbürtigen Monarchen hatte anerkennen wollen. Die französischen Truppen errangen sich wieder in größern Kämpfen, als die in Algerien waren, blutige Lorbeeren, u. wenn F. auch für seine bedeutenden Opfer an Geld und Menschen keinen direkten Vorteil zog und keine Vergrößerung seines Gebiets erwarb, so führte es doch auf dem Pariser Friedenskongreß das entscheidende Wort; die europäischen Souveräne besuchten den kaiserlichen Hof in Paris, die Regierungen, selbst die russische, wetteiferten in den Bewerbungen um die Gunst Napoleons; die Heilige Allianz war durch den Krimkrieg völlig zersprengt worden, und F. war wieder die erste Macht des Kontinents, sein Herrscher der angesehenste Fürst, dessen Worten man gespannt lauschte. Als 16. März 1856 der kaiserliche Prinz geboren wurde und die Dynastie von neuem gefestigt schien, stand der Kaiser auf der Höhe seiner Popularität im Innern und seines Ansehens im Ausland.

Da führte ein plötzlich eintretendes Ereignis neue Verwickelungen im Innern und nach außen herbei. Ein früherer italienischer Karbonaro, Felix Orsini, der Napoleon für seinen Abfall von den italienischen Einheitsideen bestrafen wollte, verschwor sich gegen ihn mit drei Genossen: Pieri, Rudio und Gomez. Am 14. Jan. 1858 abends, als das Kaiserpaar aus der Großen Oper kam, warfen sie Handbomben, welche unter dem kaiserlichen Wagen explodierten und viele Umstehende verwundeten, ohne das kaiserliche Paar zu verletzen (Orsinisches Attentat). Orsini und Pieri wurden hingerichtet, die beiden andern nach Cayenne deportiert. Aber die Regierung wollte in dem Verbrechen jener vier Ausländer das Werk der republikanischen Partei in F. sehen und benutzte jenes, um gegen diese maßlos zu wüten. Dem sofort einberufenen Gesetzgebenden Körper wurde ein "Gesetz der allgemeinen Sicherheit" vorgelegt, welches alle diejenigen, die sich irgend eines Aktes der Opposition gegen die Regierung schuldig machten, dem Gefängnis, der Verbannung und der Deportation nach Belieben der Regierung preisgab; am 18. Febr. 1858 wurde dieses Gesetz mit 217 gegen 24 Stimmen angenommen. Die Ausführung desselben übernahm als Minister des Innern der General Espinasse; er verhängte über 2000 politisch Verdächtige, die sich keines besondern Vergehens schuldig gemacht hatten, die Deportation. Dieser militärisch-polizeiliche Terrorismus wurde erst allmählich gemildert.

Das Orsinische Attentat hatte die weitere Folge, daß der Kaiser die Ausführung des Plans, Italien von der Herrschaft Österreichs zu befreien und politisch zu einigen, beschleunigte. Schon während des Krimkriegs und auf dem Pariser Friedenskongreß hatte er das aufstrebende Sardinien und seinen kühnen Staatsmann begünstigt. Nun lud er im Juli 1858 Cavour zu einer Zusammenkunft im Bad Plombières ein, wo eine geheime Konvention abgeschlossen wurde, der zufolge Sardinien in ein die Lombardei, Venetien, Toscana, Parma, Modena und den nördlichen Teil des Kirchenstaats umfassendes Königreich Norditalien verwandelt werden, dafür aber Nizza und Savoyen an F. abtreten sollte. Die äußere Ankündigung der neuen Kriegspolitik gab die Ansprache des Kaisers an den österreichischen Botschafter, Baron Hübner, bei dem Neujahrsempfang 1859, welche durch ihre Herbheit allgemeines Aufsehen erregte. Zur Befestigung der französisch-sardinischen Allianz wurde die Tochter des Königs Viktor Emanuel, Klothilde, mit dem Vetter des Kaisers, dem Prinzen Napoleon, vermählt (30. Jan. 1859). England und Preußen bemühten sich, den drohenden Krieg durch ihre Vermittelung zu verhindern. Österreich aber durchkreuzte diese Verhandlungen durch ein Ultimatum an Sardinien, nach dessen Zurückweisung es mit Überschreitung der sardinischen Grenze 29. April 1859 den Krieg begann. Sofort überschritt ein französisches Heer die Alpen, um sich unter des Kaisers Befehl mit den Sarden zu vereinigen. Die gänzliche Unfähigkeit der österreichischen Generale sowie die innern Schäden der habsburgischen Herrschaft in Ober- und Mittelitalien führten mehr als die Strategie der französischen und italienischen Befehlshaber die übrigens hart bestrittenen Niederlagen der Österreicher bei Magenta (4. Juni) und Solferino (24. Juni) herbei. Nach letzterer Schlacht schlossen F. und Österreich 11. Juli plötzlich den Frieden von Villafranca, ohne daß Napoleon sein Programm: Italien frei bis zur Adria! durchgeführt hätte. Die Besorgnis vor Preußens drohender Haltung wirkte dabei ebenso mit wie der Wunsch, Italien nicht allzu unabhängig werden zu lassen. Die Präliminarien von Villafranca sowie der definitive Friede von Zürich (10. Nov. 1859) bestimmten deshalb bloß die Abtretung der Lombardei an Sardinien und die Vereinigung aller italienischen Staaten, auch Venetiens, zu einem Bund unter Vorsitz des Papstes. Aber dieser Bund bewies sich als eine Unmöglichkeit, der Papst weigerte sich, demselben anzugehören, und die mittelitalienischen Länder Toscana, Parma, Modena und Romagna proklamierten, anstatt ihre vertriebenen Herrscher wieder aufzunehmen, ihren Anschluß an Sardinien. Gegen die sofortige